Aktivisten demonstrieren ihre Macht
Von Walther Becker, FrankfurtNiemandem ist es bekanntlich verboten, in Deutschland Aktien zu kaufen und, wenn er eine Position erreicht hat, sich Gedanken zu machen, welche Wertsteigerung möglich wäre – und, so es sich um einen institutionellen Investor handelt, zu versuchen, darüber mit Management und Aufsichtsrat in einen Dialog zu treten. Wenn man Elliott heißt, reicht schon die Kommunikation über Stimmrechtsmitteilungen, den Aktienkurs zu treiben. Der wenig zimperliche Fonds des US-Milliardärs Paul Singer, der sich – wiewohl nicht namentlich genannt – angesprochen fühlt, wenn bestimmte Hedgefonds allgemein des “Psychoterrors” bezichtigt werden, kann darauf bauen, dass sich immer mehr traditionelle Institutionelle den Kampagnen anschließen. Da können sie im Hintergrund bleiben und von Kurssteigerungen profitieren. Fest steht: Die seit langem erwartete Welle von Shareholder-Aktivismus ist in Europa und Deutschland inzwischen voll angekommen. Global aktiv”Aktivisten sind global aktiv und suchen Situationen für einen Einstieg. Viele von ihnen sind angelsächsischen Ursprungs und haben dort ihre Opportunitäten genutzt”, weiß Ken Oliver Fritz, der Co-Deutschland-Chef von Lazard. Das Feld ist jenseits des Großen Teichs ziemlich abgegrast, einige Emittenten waren schon mehrfach Ziel von Attacken. Gleichzeitig haben sich Manager auf die Kampagnen eingestellt und Maßnahmen ergriffen, die einen Einstieg weniger lukrativ machen. Der Blick richtet sich daher auf Europa und somit auch nach Deutschland. Und das bei einer zunehmend größeren Feuerkraft der Fonds. Waren es früher deutlich weniger als 20 % des Kapitals, die in Europa investiert wurden, stieg dieser Wert 2017 auf 35 %. Und Größe schützt schon lange nicht mehr. Ob Nestlé, einer der schwersten Werte Kontinentaleuropas, TIM (Telecom Italia), ob der Bergbauriese BHP Billiton oder Barclays, Rolls-Royce und der Halbleiterhersteller NXP oder hier Stada, Thyssenkrupp, Gea, VW und Uniper – sie alle sind ins Fadenkreuz einer Investorenspezies geraten, die den einen als Krawallmacher gilt, den anderen als nützlicher Spieler der Finanzmärkte. Und es sind nicht mehr irgendwelche Cowboys, die hier schnell schießen wollen. Die Fonds kennen inzwischen die zweistufige Governance, Mitbestimmung und wissen, wer wo Drähte zieht. Sind die Vorstände und Aufsichtsräte inzwischen gewappnet für Attacken der wenig zimperlichen Investoren? “Viele Vorstände und Aufsichtsräte haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen einen medienwirksamen Einstieg zu vermeiden, indem sie proaktiv mögliche Angriffspunkte adressieren”, beobachtet Fritz. Sie versuchen, ihr Unternehmen durch die Aktivistenbrille zu analysieren – eine der Folgen ist die Welle an Spin-offs und Carve-outs, also der Verselbständigung von Konzernaktivitäten, um eine höhere Bewertung der Summe der Teile zu erreichen. Während etwa Hartmut Krause, Partner der Kanzlei Allen & Overy, davon ausgeht, dass die Unternehmen alles in allem in Analyse und Vorbereitung für eine Auseinandersetzung präpariert sind, hat eine Umfrage von Unternehmensjuristenverband und CMS ergeben, dass es immer noch “an der notwendigen Aufmerksamkeit fehlt, um eine Umgestaltung des Unternehmens von außen zu verhindern”. Shareholder-Aktivismus mache sich vor allem in immer intensiveren Auskunftsbegehren bemerkbar, heißt es.Das den Fonds zur Verfügung stehende Kapital und die Zahl der Kampagnen nehmen stetig zu. Im ersten Halbjahr 2018 wurden laut Lazard global 40,1 Mrd. – Gesamtjahr 2017: 62 Mrd. – Dollar in 136 (i.V. 94) Unternehmen investiert. Die beiden vergangenen Quartale waren insofern die beiden aktivsten überhaupt, was zu einem Rekord von 145 neuen Kampagnen in den ersten sechs Monaten führte. Elliotts 17 neue Attacken sind fast dreimal so viel wie die des nächstbesten Aktivisten. Und der Fluss versiegt nicht, von den 104 Investoren sind allein 20 “Newcomer”, die an den Start gingen. Passive springen aufGing es bisher in Deutschland vor allem um die Ausnutzung der für Retail-Aktionäre gedachten Vorschriften bei M & A – Stichpunkte Wella, Techem, Kabel Deutschland, Celesio und viele andere -, so werden die Fonds zunehmend auch in der Corporate Governance aktiv, wie die Fälle Gea und Thyssenkrupp zeigen. Stada demonstriert beides: erst Aktivisten, die angreifen und dann Kasse machen, dann Elliott, die versucht, aus der laufenden Übernahme noch mehr für sich herauszuholen. Steigbügelhalter der Aktivisten sind die passiven Indexfonds mit BlackRock an der Spitze. Sie haben in Europa ein Gesamtvermögen von 700 Mrd. Euro aufgehäuft. Sie verstärken die Schlagkraft der Aktivisten, weil sie entweder ihre Stimmrechte nicht ausüben und somit den votierenden Aktionären prozentual mehr Gewicht geben oder über Proxyberater wie Glass Lewis und ISS zunehmend häufiger Kampagnen folgen. Zu Sorglosigkeit besteht kein Anlass. Für die Angriffe gilt: Es gehören immer mindestens zwei dazu. Angreifer und Unternehmen, die Kritikern offene Flanken bieten. Sie sind keineswegs immer unschuldige Opfer der Attacken.