Alles, nur kein Weiter so

Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Lehner gefragt - Großaktionäre Cevian und Stiftung müssen sich arrangieren

Alles, nur kein Weiter so

Neuer Chef und neue Strategie: Thyssenkrupp hat die Chance für einen Neuanfang, wenn die Großaktionäre Krupp-Stiftung und der Finanzinvestor Cevian an einem Strang ziehen. Fraglich ist, ob das mit dem bisherigen Aufsichtsratschef Ulrich Lehner geht. Von Walther Becker, FrankfurtNach dem Rücktritt des langjährigen Vorstandschefs Heinrich Hiesinger in der vorigen Woche ist noch längst nicht absehbar, wie es strategisch und personell mit dem Investitionsgüterkonzern Thyssenkrupp weitergeht. Hinter den Kulissen erhobene gegenseitige Vorwürfe prägen das Bild bisher. Klar ist lediglich: Die Krupp-Stiftung mit ihren 21 % und der Finanzinvestor Cevian (18 %) müssen sich näher kommen, damit die Gruppe aus der Krise kommt.Und ein CEO, der bereit ist, die Aufgaben in dieser Gemengelage zu übernehmen, wird ein neues Konzept exekutieren müssen. Bisher wurde im Zuge der langen Verhandlungen über die Stahlfusion mit Tata kaum an einer Wachstumsstrategie der übrigen Sparten gearbeitet. Nach dem Motto “Weiter so” kann es nicht mehr laufen. Das ist allen Akteuren klar. Der Abgang Hiesingers bietet die Chance für eine grundlegende Neuausrichtung. Dabei wird es darum gehen, nicht um jeden Preis weiter alles zusammenzuhalten, was unter dem Konzerndach steht. Ein Umdenken der Stiftung – so es nicht längst begonnen hat – dürfte Cevian in die Hände spielen.Fraglich ist, ob für die anstehenden Aufgaben der 72-jährige Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner, der auch als Moderator bei dem Chaos in Essen keine gute Figur gemacht hat, der Richtige ist. Einige halten ihn für einen “Kuschelkontrolleur”, der es gemächlich angehen lässt und von Aktionärsaktivisten wenig hält. Kein Plan BLehner hatte für die Nach-Hiesinger-Zeit keinen Plan B und verteilte die Arbeit auf die übrigen Vorstände – nachdem CFO Guido Kerkhoff schon als Interims-CEO gehandelt worden war. Nur mit den Arbeitnehmerstimmen im Aufsichtsrat konnten Lehner und Hiesinger zuvor die Tata-Fusion durchpauken. Doch so ist ein Konzern auf Dauer nicht zu führen. René Obermann, der frühere Telekom-CEO, hat die Faxen offenbar dicke und möchte als Aufsichtsrat zurücktreten. Die Aktie, die nach Hiesingers Abgang zulegte, gab gestern nach und ging als einer der schwächsten Dax-Werte aus dem Handel. Einzig die seit 2013 engagierte Cevian hatte ihr strikt Shareholder-Value-basiertes Konzept vorgelegt mit einer größeren Verselbständigung der Sparten und einem Schleifen der Konzernzentrale – und will es nun erst recht umgesetzt sehen. Die Stiftung aber hat laut der Satzung, so heißt es, die Aufgabe, “im Geiste des Stifters” darauf zu achten, dass “die Einheit dieses Unternehmens möglichst gewahrt und seine weitere Entwicklung gefördert wird”. Wie diese Einheit zu managen ist und ob es immer und ewig um die Bewahrung des Status quo geht, darüber wird nun neu gesprochen werden müssen. Während sich der auf dem Ticket der Stiftung in das Kontrollgremium eingerückte Lehner auch öffentlich hinter den vormaligen Vorstandschef gestellt hatte, sei die Stiftung, in deren Kuratorium auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sitzt, im Clinch um die Stahlfusion mit Tata und in den Auseinandersetzungen Hiesingers mit den Aktionärsaktivisten auf Tauchstation gegangen. So wird es ihr jedenfalls inzwischen in einem bemerkenswerten “Spin” der Meinungsmache angelastet. Dabei hatte sie sich hinter die Stahlfusion gestellt – wohl trotz deutlicher Zweifel an der Werthaltigkeit für den Konzern. Stand lange die “Heuschrecke” Cevian im Zentrum öffentlicher Kritik, so ist nun plötzlich die Stiftung Stein des Anstoßes. Hiesinger, der seinen Abgang medial glänzend zelebriert hat, fühlte sich im Regen stehen gelassen und schmiss hin, wird kolportiert. Als Konglomerat gescheitertDie Finanzinvestoren verfechten die Ansicht, die Zeit der Mischkonzerne sei vorbei. Zwar sind beide im Grundsatz für eine neue Zukunft des Stahlgeschäfts, kritisierten aber die von Hiesinger mit Tata festgezurrten Bedingungen. Zwischen den Konzernteilen von Thyssenkrupp, vom Aufzugsgeschäft bis zur Autozulieferung, gebe es keine Synergien. Cevian, die einen längeren Atem mit ihren Investments hat als Elliott, das Vehikel des US-Milliardärs Paul Singer, strebt eine stärkere Performance des Konzerns an und will den einzelnen Einheiten dafür mehr Eigenständigkeit geben, dort wird das Wort Zerschlagung aber nicht in den Mund genommen. Nach Cevian-Lesart ist die Konzernführung unter Hiesinger mit “der Strategie des Konglomerats und seiner Matrixorganisation gescheitert”. Jetzt müsse für jede der Sparten konsequent geprüft werden, welche Struktur und welche Eigentumsverhältnisse am besten geeignet seien. Die Gründung des Stahl-Joint-Ventures und die Ausgliederung des Stahlgeschäfts aus der Bilanz seien “ein Schritt, um die hohe Komplexität der Konglomeratsstruktur zu reduzieren”, hieß es von Cevian. Jetzt müsse “die erhebliche und andauernde Underperformance der Industriesparten beseitigt werden”. Maßgabe für Entscheidungen und für die Restrukturierung solle industrielle Logik sein – “und nicht Tabus, geschichtliche Entwicklung, Emotionen oder persönliche Ambitionen”. Die Aktivitäten können nach Einschätzung von Cevian nur dann überleben und Erfolg haben, “wenn sie schlank und effizient aufgestellt sind und sich ohne die überzogenen Kosten und Bürokratie der Zentrale entfalten können”. Die Aktie könne bei Umsetzung einer solchen Neuordnung mit 50 Euro und nicht wie zur Zeit um die 21 Euro bewertet werden, meint Cevian. Dabei handele es sich nicht um ein Zerschlagungsszenario, also eine Berechnung der Summe der Teile. Vielmehr werfe das Industriegeschäft eine Durchschnittsmarge von etwa 3,5 % ab, Rivalen kämen aber im Schnitt auf mehr als 7 %. Eine Verdopplung treibe den Kurs entsprechend.