DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: MARTIN BABILAS

Altana nimmt Schuldscheinmarkt ins Visier

Finanzchef taxiert Synergiepotenzial aus Übernahme der Rockwood-Sparte auf 10 Prozent des Umsatzes - Goodwill macht bis zur Hälfte des Kaufpreises aus

Altana nimmt Schuldscheinmarkt ins Visier

– Herr Babilas, Altana hat kürzlich die Übernahme des Additiv-Geschäfts von Rockwood angekündigt, die nach Eckart zweitgrößte Akquisition der Firmengeschichte. Angesichts der weltwirtschaftlichen Großwetterlage überrascht der Zeitpunkt. Was gab den Ausschlag?Den Ausschlag gab, dass es eine sehr, sehr interessante Erweiterung für unsere größte Division Additives & Instruments bzw. Byk ist. Die Akquisition ist komplementär, wir ermöglichen der Byk, in einem wichtigen Bereich der Additive künftig eine führende Stellung einzunehmen. Damit verbunden sind Wachstums- und Synergiepotenziale. Erwägungen mit Blick auf den Konjunkturzyklus haben keine wesentliche Rolle gespielt, zumal wir bezüglich des Potenzials bei Additiven weiterhin optimistisch sind.- Wie lange haben sie denn verhandelt, es gab vor einigen Jahren doch schon einmal enge Kontakte zu Rockwood. War der Kontakt nie abgerissen?Es gab über die vergangenen Jahren keine Gespräche über dieses oder andere Akquisitionsthemen. Ohne weitere Prozessdetails offenzulegen, ist das ein Thema, das in relativ kurzer Frist zwischen uns und Rockwood besprochen wurde.- Waren Sie der einzige Kaufinteressent?Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wie viele Interessenten es zu diesem Thema gab. Ich bin aber relativ sicher, dass es weitere gab, denn das Geschäft ist sehr attraktiv. Am Ende sind wir zufrieden, dass wir mit Rockwood zum Abschluss gekommen sind.- Sie zahlen 635 Mill. Dollar für einen Jahresumsatz von 191 Mill. Dollar. Welches Vielfache des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) legen Sie auf den Tisch?Seit wir nicht mehr börsennotiert sind, veröffentlichen wir keine Segmentergebnisse mehr. Dabei bleiben wir. Ich kann Ihnen nur eine Indikation geben: Schaut man sich die Akquisitionspreise der letzten Monate und die Werte börsennotierter Unternehmen an, reden wir von Multiples bezogen auf das Ebitda, die in den zweistelligen Bereich hineingehen. In unserem Fall spiegelt das Multiple sicher auch das Wachstumspotenzial und den Spezialitätencharakter des Geschäfts wider.- Dr. Wolfgruber, der Altana-Vorstandsvorsitzende, sagte im vergangenen Jahr, dass das Additivgeschäft mit 30 % die höchste Marge im Portfolio erwirtschaftet.Dazu möchte ich nichts sagen. Altana hat eine Ebitda-Marge von knapp 20 % und die Akquisition verwässert dieses Margenniveau nicht. Wir liegen durchaus ein bisschen darüber.- Müssten die Kaufpreise angesichts des schwierigen makroökonomischen Umfelds nicht langsam zurückkommen?Ein Multiple bildet mehrere Parameter ab. Das eine sind die Wachstumserwartungen für Umsatz und operatives Ergebnis, das andere ist der Zinssatz. Bei der Unternehmensbewertung werden die künftig erwarteten Überschüsse auf die Gegenwart abgezinst. Entsprechend trägt das niedrige Zinsniveau dazu bei, dass sich die Preise auf einem hohen Niveau bewegen. Die Wachstumserwartungen und der Zinssatz führen als Amalgam zu einem bestimmten Multiple. Es ist richtig, dass das Umfeld im Moment keine großen Wachstumszahlen hergibt. Aber mit Blick in die Zukunft bin ich optimistisch, dass wir aus diesem Tal auch wieder herauskommen. Das gilt es auch zu berücksichtigen.- Das hört sich so an, als seien Sie bei der Bewertung an den Rand des Machbaren gegangen.Wir müssen das Preisniveau rechtfertigen können. Daher haben wir Akquisitionskriterien definiert. Dabei geht es um Aspekte wie die überzeugende strategische Weiterentwicklung unseres Portfolios, aber auch um finanzielle Kriterien hinsichtlich Bewertung und Ergebnisbeitrag. Diese Kriterien sind in der Rockwood-Transaktion zu 100 % erfüllt. Am Ende müssen wir Wert schaffen. Ich bin überzeugt, dass das mit dem Zukauf des Additivgeschäfts von Rockwood auch gelingt.- Wann wird das zugekaufte Geschäft erstmals einen positiven Ergebnisbeitrag abliefern?Mit Blick auf den Ergebnisbeitrag dürfen wir nicht nur den operativen Beitrag anschauen, sondern müssen auch Belastungen aus Zinszahlungen und Abschreibungen der entsprechenden Kaufpreisbestandteile berücksichtigen. Wir rechnen innerhalb von zwei bis drei Jahren mit einem positiven Beitrag zum Nettoergebnis.- Ist das identisch mit dem Zeitrahmen, den Sie für die Integration veranschlagen?Die Integration muss natürlich schneller erfolgen. Wir haben schon das Ziel, dieses Geschäft sehr zügig zu integrieren, um schnell die erwarteten Synergien realisieren zu können. Die Synergien spielen sich hauptsächlich auf der Umsatzseite ab. Sie resultieren daraus, dass die Vertriebsmannschaften beider Unternehmensteile künftig das gesamte Produktprogramm vermarkten. Um diese Synergien zu heben, braucht man aber etwas mehr Zeit. Es dauert sicherlich fünf Jahre und länger, bis das volle Synergiepotenzial ausgeschöpft ist.- Lassen sich Umsatzsynergien beziffern?Ja. Wir haben einen guten Überblick über unsere Vertriebsstruktur und kennen die Produkte beider Seiten. Da kann man schon sehr genau Ziele setzen, in welchen Märkten man mit welchen Produkten zusätzliche Umsätze erzielen möchte.- Um welche Größenordnung geht es?Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: In Asien hat die Byk eine gute Infrastruktur und eine sehr gute Marktposition. Rockwood ist in dieser Region dagegen noch nicht so stark aufgestellt. Unsere Zielsetzung ist nun, die Rheologieprodukte von Rockwood über unsere asiatische Vertriebsmannschaft stärker zu vertreiben und dadurch Zusatzumsatz zu generieren. Es ist sicher nicht vermessen zu sagen, dass wir über alle Märkte und Produkte 10 % des heutigen Rockwood-Umsatzes an Synergien erwarten.- Wie sieht es mit Kostensynergien aus?Kostensynergien sind in dieser Transaktion von untergeordneter Bedeutung. Das hat zwei Gründe. Zum einen haben die Produkte eine völlig andere Rohstoffbasis, so dass von dieser Seite keine Synergien zu erwarten sind. Zum anderen kaufen wir eine Aktivität, die sehr schlank aufgestellt ist, so dass wir keinen großen administrativen Überbau haben.- Wie setzt sich der Kaufpreis von 635 Mill. Dollar zusammen? Übernehmen Sie Schulden?Das ist eine reine Bartransaktion. Es gibt die üblichen Kaufpreisanpassungen mit Blick auf das Working Capital und andere Komponenten. Wir übernehmen aber keine Finanzschulden. Die Bilanz zum Closing sollte sozusagen “sauber” sein, es sind weder Finanzaktiva noch Finanzpassiva enthalten.- Wie setzt sich der Kaufpreis auf der Aktivseite zusammen, über welchen Goodwill sprechen wir?Das erarbeiten wir derzeit noch. Die genaue Aufteilung steht zur Erstkonsolidierung fest. Wenn kartellrechtlich alles glatt läuft, wovon wir ausgehen, wird das Geschäft erstmals im Oktober einbezogen. Von daher kann ich heute noch keine detaillierten Angaben machen. Aber bei Transaktionen dieser Größenordnung ist sicher davon auszugehen, dass der Goodwill einen erheblichen Teil des Kaufpreises ausmachen wird.- Haben Sie eine prozentuale Daumengröße?Ich gehe ganz grob von einer Größenordnung zwischen 40 und 50 % aus. Aber: Die Kaufpreisallokation ist noch nicht abgeschlossen und muss insbesondere auch mit unserem Wirtschaftsprüfer diskutiert werden. Es ist also nur eine grobe Indikation.- Sie wollen die Akquisition bzw. einen Teil davon langfristig am Kapitalmarkt refinanzieren. Geht das konkreter?Wir haben eine Akquisitionsfinanzierung in einer Größenordnung von 325 Mill. Euro vereinbart. Diese ermöglicht uns, die Kaufpreiszahlung zum Closing zu leisten. Die Akquisitionsfinanzierung ist in zwei Tranchen aufgeteilt. Der eine Teil ist eine kurzfristige Brückenfinanzierung, die wir im Anschluss über eine Kapitalmarkttransaktion refinanzieren möchten.- Größenordnung?Etwa fifty-fifty. Aus heutiger Sicht möchten wir diesen Teil mit einem weiteren Schuldschein refinanzieren. Der Rest der Akquisitionsfinanzierung bleibt im Kreis der Banken, die die Finanzierung zur Verfügung stellen. Wir haben die Möglichkeit, diesen Betrag in den nächsten drei Jahren aus dem Cash-flow zu tilgen. Ein Teil wird also langfristig finanziert und der andere Teil über einen Zeitraum von drei Jahren flexibel gestaltet, bis dann 2016 der Schuldschein aus dem vergangenen Jahr teilweise fällig wird. Dadurch haben wir über die nächsten Jahre eine sehr schön gestaffelte Fälligkeitenstruktur.- Verlangt der Kapitalmarkt nicht zunehmend nach einem Rating?Da muss man genauer hinschauen, über welchen Teil des Kapitalmarkts man spricht. Es ist sicherlich so, dass bei regelmäßigen Auftritten am Bondmarkt ein Rating von Vorteil ist und teilweise auch verlangt wird, vor allem wenn man den Bonitätsbereich des Investment Grade verlässt. Wir haben aber eine andere Situation. Wir haben ein solides Bilanzbild. Daran ändert auch die Rockwood-Akquisition nichts. Mit Schuldscheinen betreten wir außerdem einen Bereich des Kapitalmarkts, in dem ein Rating nicht zwingend erforderlich ist.- Wollen Sie aus diesem Grund über einen Schuldschein refinanzieren?Nein. Der Grund ist vielmehr, dass der Schuldschein ein sehr effizientes Instrument mit einer liquiden Investorenbasis ist. Die Größenordnung, um die es hier geht, können wir mit dem Schuldschein zu sehr günstigen Konditionen in einem effizienten Prozess sicherstellen. Der Betrag ließe sich auch mit einem Bond darstellen, das bringt uns derzeit aber keine Vorteile.- Auch nicht mit Blick auf die Konditionen?Ich sehe keine großen Vorteile auf der Konditionenseite, dafür aber gewisse Nachteile im Prozess. Damit schließe ich aber keineswegs aus, dass wir uns nicht auch irgendwann einmal über Anleihen finanzieren.- Hat Altana das Pulver mit der Rockwood-Akquisition verschossen?Das kann man so nicht sagen. Auch nach der Übernahme sind wir solide aufgestellt – sowohl mit Blick auf die Eigenkapitalquote als auch gemessen am Verhältnis der Nettoschulden zum Ebitda. Von daher ist weiterer Spielraum für Akquisitionen, aber auch für organisches Wachstum vorhanden. Nun steht aber erst einmal die Integration an. Denn den Wert, den wir schaffen wollen, erreichen wir nur, wenn wir sauber integrieren und an den Synergiepotenzialen arbeiten. Darauf liegt der Fokus in den nächsten Jahren. Ich gehe zwar davon aus, dass wir weiterhin kleinere Übernahmen wie jüngst das Speziallack-Geschäft von Henkel tätigen. Die Wertschaffung auf Basis der Rockwood-Transaktion steht aber im Vordergrund.- Nehmen Sie damit fürs Erste Abschied von der Idee, ein fünftes Geschäftsfeld aufzubauen? Mit Eckart haben sie 2005 ja ein neues Geschäftsfeld begründet.Wir stärken unsere größte Division und haben dadurch natürlich größere Synergiepotenziale im Vergleich zum Aufbau eines neuen Geschäftsfelds.- Aber zugleich kumulieren sich jetzt die Risiken. Risikodiversifikation ist doch der Sinn einer breiteren Aufstellung.Wir haben ja schon besprochen, dass das Geschäft komplementär ist. Wir bewegen uns in eine neue Technologie hinein, angefangen von der Rohstoffbasis bis hin zum Portfolioausbau. Innerhalb der Byk können wir die Risiken jetzt auf einer breiteren Basis steuern. Von daher würde ich nicht von einer Risikokumulierung sprechen. Aber sie haben recht, der Ansatz für eine fünfte Division ist schon, die Altana breiter aufzustellen. Diese Zielsetzung geben wir nicht auf. Das Ziel steht nach wie vor, die Frage ist der Zeithorizont.- Kommen wir zur konjunkturellen Situation. Altana hat sich im ersten Halbjahr ein wenig von der Branche abgekoppelt. Woran liegt das?Unsere Geschäfte sind Spezialitäten und es kommt darauf an, welche Produkte man in welche Anwendung hineinliefert. Abgesehen von der tiefen Krise 2008/09, in der alle Geschäfte eingebrochen sind, haben wir es in der Vergangenheit geschafft, Belastungen in einzelnen Geschäften durch erhöhte Dynamik in anderen Bereichen zu kompensieren. Dazu trägt nicht zuletzt die fortlaufende Investition in Forschung & Entwicklung bei. Dadurch gelingt es uns immer wieder, mit neuen Produkten für unsere Kunden Mehrwert zu schaffen.- Wie sieht es bei Ihnen mit der Branchenabhängigkeit aus? Manche Chemieunternehmen sind beispielsweise sehr stark von der Automobilindustrie abhängig.Die Automobilindustrie ist auch bei uns eine wichtige Abnehmerindustrie, auch wenn wir sie kaum direkt beliefern. Als Endkunde macht die Automobilindustrie bei uns etwa 15 % des Geschäfts aus. Andere wichtige Industrien sind für uns die Bau- und Schwerindustrie, die Elektro- und Elektronikindustrie sowie die grafische Industrie/Verpackungsindustrie.- Wo liegen hier die Umsatzanteile?Bei der Schwer- und Bauindustrie geht es in die 20 %, bei Elektro/Elektronik sind es 10 bis 15 % und in der Verpackungsindustrie ist der Anteil mit 20 bis 25 % sogar noch etwas größer. Das bedeutet, dass wir wichtige Branchen beliefern, das Portfolio insgesamt aber ausgewogen ist. Dadurch gelingt uns in diesem Umfeld ein Ausgleich.- Während sich andere Chemieunternehmen über die jüngste Entwicklung in Asien enttäuscht zeigten, ist Altana in der Region und speziell in China kräftig gewachsen. Was haben Sie anders gemacht?Es liegt daran, dass die sektorale Differenzierung heute größer ist. Man kann nicht mehr von einer gleichförmigen Entwicklung der Industrie in China sprechen. China zeigt auch 2013 ein Wachstum von 7,5 % oder mehr. Aber es gibt auch dort Industrien, die um 10 % zurückgehen. Das hat mit Branchenentwicklungen zu tun, aber auch mit Lagereffekten, die von Erwartungen geprägt sind. In unserem Chinageschäft war die Dynamik in der Electrical Insulation (Elektroisolierung, Anm. d. Red.) groß, in anderen Bereichen fiel das Wachstum dagegen geringer aus. Dramatische Rückgänge hatten wir allerdings in keinem Bereich zu verzeichnen.- Bleibt China der Wachstumsmarkt der Zukunft?Wir sind weiterhin sehr positiv gestimmt. Deshalb investieren wir bei Elantas (Electrical Insulation) auch kräftig in das Chinageschäft, wir bauen Produktionskapazitäten auf. Wir erwarten, dass das Trendwachstum in China über dem Wachstum der Weltwirtschaft liegt und insbesondere über dem Wachstum in Europa. Davon wollen wir in den nächsten Jahren profitieren. Es gibt immer einmal Abweichungen vom Trend und diese sind wiederum ausgeprägter als in der Vergangenheit.- Stichwort Europa. Wann glauben Sie, wird die Erholung einsetzen?Das ist schwierig einzuschätzen. Wir hatten in den vergangenen Wochen ein paar positive Makrodaten. Ich persönlich leite daraus noch keine nachhaltige Trendwende ab. Das sehen wir übrigens auch nicht in unserem Geschäft. Ich bin zuversichtlich, dass wir irgendwann die Kurve kriegen. Nach meiner Ansicht sind die strukturellen Probleme aber noch zu tiefgreifend, als dass man sie in kurzer Zeit beheben könnte.- Welche Konsequenzen zieht eine Unternehmen, das 44 % seines Umsatzes in Europa erwirtschaftet, daraus?Die Konsequenz heißt, in Europa alles zu tun, um die Marktstellung als solider, nachhaltig ausgerichteter Wettbewerber zu halten und möglichst auszubauen. Darüber hinaus gilt es, die Geschäfte außerhalb der Heimatregion zu stärken. In der Vergangenheit stand dabei nicht unbedingt die konjunkturelle Schwäche in Europa im Vordergrund, sondern das Ziel, sich aus der starken Abhängigkeit von der Heimatregion zu lösen. Das zahlt sich heute aus. Heute liegt unser Asienanteil bei 30 % und er wird in den kommenden Jahren steigen. Gleichzeitig wachsen wir in Nordamerika, dem Kernmarkt unserer jüngsten Akquisitionen. Letztlich wird sich der Europaanteil weiter verkleinern in Richtung 40 % und darunter.—-Das Interview führte Annette Becker.