RECHT UND KAPITALMARKT

Alternativen für Emittenten beim Börsengang

Gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der Unternehmen - Vorabplatzierungen verringern Risiken - Beispiele Kion und Evonik

Alternativen für Emittenten beim Börsengang

Von Reinhold Ernst und Wolfgang Groß *)Ein Börsengang bedarf sorgfältiger Vorbereitung. Dabei ist die zeitaufwendige Erstellung des Prospekts und dessen Billigung durch die Aufsichtsbehörden nur ein Baustein. Das Gelingen hängt von vielen Faktoren ab, die Unternehmen und Berater nicht beeinflussen können. Volks- und weltwirtschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Finanzmärkte bestimmen den Erfolg zumindest ebenso wie eine schlüssige Equity Story und die Vermarktung insbesondere bei institutionellen Investoren.Da die durchschnittliche Kursentwicklung von Neuemissionen in den letzten Jahren eher negativ war, versteht sich die Bereitschaft der Investoren zum Erwerb von Aktien nicht von selbst. Wie der Fall der Evonik belegt, deren Börsengang im September 2011 und nochmals im Juni 2012 abgesagt wurde, können auch externe Umstände dazu führen, dass alle Vorbereitungen sorgfältig abgeschlossen sind, das Unternehmen aber feststellen muss, dass nicht genügend Interesse im Markt zum Erwerb der Aktien besteht. Fatale FolgenTritt diese Situation ein und muss das Unternehmen den angekündigten Börsengang kurzfristig absagen, hat das fatale Folgen: Die Finanzplanung des Unternehmens wird Makulatur, sofern über den Börsengang insbesondere auch neue Mittel zugeführt werden sollten, ein geplanter Abverkauf von Aktien durch die bisherigen Gesellschafter ist aufgeschoben und ein erneuter Anlauf an die Börse kommt erst geraume Zeit später wieder in Betracht. Dies führt zu einem erheblichen Bedürfnis des Unternehmens, die Sicherheit der Platzierung zu erhöhen, diese Sicherheit möglichst frühzeitig zu erlangen und damit den Zeitraum für ein “Exposure am Markt” zu verringern. Vor diesem Hintergrund gibt es vermehrt Überlegungen, Alternativen zum klassischen Pfad des Börsengangs sowohl hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs als auch von seiner Struktur her zu entwickeln.Bei einem klassischen Börsengang beginnt die Kommunikation mit den Investoren und dem Kapitalmarkt damit, dass man – zumeist nach einer ersten Sondierung der Investitionsbereitschaft von Investoren, sogenannten Early Investor Meetings – die Absicht zum Börsengang bekannt gibt, sogenannte Intention to Float. Danach beginnt der intensive Dialog mit den Investoren, zunächst im Rahmen einer Investor Education, bei der Gespräche mit ausgewählten Investoren geführt werden. Dazu werden im Regelfall die Research Reports der Analysten der begleitenden Banken verwendet. Daran schließt sich die eigentliche öffentliche Vermarktung des Börsengangs an, nachdem ein Wertpapierprospekt gebilligt und veröffentlicht worden ist. Die Anleger haben dann die Möglichkeit, im Rahmen eines sogenannten Bookbuilding innerhalb einer festgesetzten Angebotsspanne Angebote für den Kauf der Aktien abzugeben.Ergibt sich während der Angebotsphase, dass die Nachfrage im Markt nicht oder jedenfalls nicht zu dem angestrebten Preis besteht, dann können nur das Volumen und der Preis reduziert oder der Börsengang abgesagt werden. All dies geschieht im vollen Lichte der Öffentlichkeit, so dass die Abhängigkeit des Unternehmens von der Nachfrage der Investoren und damit deren Nachfragemacht im Laufe des Prozesses zunimmt. Das mag in Zeiten, in denen sich der Kurs von Aktien nach einem Börsengang zumeist nur positiv entwickelte, weniger relevant gewesen sein, weil dann die Investoren aufgrund der voraussichtlich positiven Kursentwicklung quasi gezwungen waren, sich an dem Börsengang zu beteiligen. In einem volatileren Kapitalmarktumfeld bleibt aber die Nachfrage entscheidend.Dieses Umfeld führt bei Emittenten zu dem Wunsch, eine größere Platzierungssicherheit im IPO-Prozess herzustellen. Eine Möglichkeit ist hierbei, bereits vor der Veröffentlichung von Plänen für den Börsengang bei potenziellen Investoren zumindest einen Großteil der zum Verkauf stehenden Aktien vorab zu platzieren. Diesen Weg hat Evonik Anfang dieses Jahres gewählt. In zwei Stufen wurden vorab ca. 12 % des Grundkapitals bei institutionellen Investoren privat platziert. Erst danach folgte ein sehr kleines Angebot von rund 2 % zu einem fixen Preis. Danach wurden alle Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen und werden dort seit dem 25. April 2013 gehandelt. Rechtlich unproblematischRechtlich ist diese Vorgehensweise unproblematisch. Wichtig ist, dass mit den Investoren bei der Privatplatzierung Vertraulichkeit vereinbart wird, um die Sicherheit der Transaktion nicht durch Diskussionen in der Öffentlichkeit zu gefährden. Außerdem muss grundsätzlich sichergestellt werden, dass der Inhalt der zur Verfügung gestellten Informationen mit dem Inhalt des (später zu veröffentlichenden) Wertpapierprospekts übereinstimmt. Wichtig dürfte es den Investoren auch sein, Sicherheit hinsichtlich der zukünftigen Börsenzulassung ihrer Aktien zu erhalten. Das kann vertraglich geregelt werden.Anstelle der bei Evonik gewählten Vorabplatzierung bei institutionellen Investoren kann auch eine “Vorabplatzierung” bei einem strategischen Investor erfolgen. Die “Öffnung” für Investoren wird dadurch erreicht, dass bereits deutlich vor einem IPO ein großes Aktienpaket (zum Beispiel 10 bis 30 %) bei einem strategischen Investor platziert wird – so geschehen im Falle des IPO von Kion (Beteiligung von Weichai Power). Für die eigentliche Platzierung im Rahmen des IPO muss dann nur noch ein geringeres Volumen vermarktet werden (Free Float bei Kion nach IPO: ca. 17 %). Eine solche Platzierung bei einem strategischen Investor zu einem bestimmten Preis signalisiert dem Markt eine gewisse Bewertung und gibt damit Preissicherheit.Eine Verringerung des Risikos, nicht sogleich das angestrebte “IPO-Volumen” am Markt platzieren zu können, kann technisch in allen Strukturmodellen auch durch eine Verkleinerung der Transaktion erreicht werden. Das anfängliche Platzierungsvolumen wird dabei reduziert, das heißt, es werden in einem ersten Schritt beispielsweise nur 10 bis 20 % des Aktienkapitals platziert. Weitere Aktien können dann nach der Börsenzulassung, zum Beispiel über sogenannte Block Trades, kurzfristig an ausgewählte institutionelle Investoren platziert werden.Gleichgültig, welcher Weg beschritten wird, in jedem Fall muss insgesamt nach dem Börsengang ein für den Börsenhandel ausreichender Free Float bestehen. Dies ist nach der einschlägigen Börsenzulassungsverordnung (BörsZulV) zwingende Voraussetzung für eine Börsenzulassung. Im Ausgangspunkt bestimmt § 9 BörsZulV, dass eine ausreichende Streuung der Aktien des Emittenten, gewährleistet ist, wenn mindestens 25 % des Aktienkapitals vom Publikum erworben, also entsprechend platziert wurden. Eine Zulassung ist aber auch unterhalb der 25-%-Schwelle möglich, wenn gleichwohl ein ordnungsgemäßer Börsenhandel gewährleistet ist.Entscheidend für einen ordnungsgemäßen Börsenhandel ist dabei nicht allein der relative Anteil der frei handelbaren Aktien vom Aktienkapital, sondern deren Gesamtvolumen. Daher hat die Frankfurter Wertpapierbörse nunmehr in Einzelfällen auch eine Zulassung ermöglicht, in denen nur knapp 10 bis 15 % der Aktien in Streubesitz gelangten, zum Beispiel bei den Börsengängen der Talanx (Free Float nach IPO ca. 11 %) und der Deutschen Annington Immobilien SE (16 %).Es bleibt abzuwarten, ob die jüngsten Transaktionsbeispiele eine Trendwende bei der Strukturierung von IPOs signalisieren oder ob das “klassische” IPO der Regelfall bleibt – letztlich eine Frage der allgemeinen Lage an den Kapitalmärkten und ihrer weiteren Entwicklung. Die Handlungsalternativen für Emittenten sind in jedem Fall flexibler geworden.—-*) Dr. Reinhold Ernst (Düsseldorf) und Dr. Wolfgang Groß (Frankfurt) sind Partner für Kapitalmarktrecht bei Hengeler Mueller.