Atlantia überprüft Situation
bl Mailand – Der Aufsichtsrat der börsennotierten italienischen Infrastrukturgesellschaft Atlantia prüft die Auswirkungen der vielfachen Äußerungen von Regierungsvertretern auf das Unternehmen, aber auch die Folgen eines in einem Brief des Verkehrsministeriums angedrohten Lizenzentzugs für die Tochter Autostrade per l’Italia. Das gab die Gesellschaft nach einer Aufsichtsratssitzung am Mittwoch bekannt. Atlantia wird zu 30 % von der Holding der Familie Benetton kontrolliert und ist mit 88 % an dem Autobahnbetreiber Autostrade beteiligt. Der Aktienkurs von Atlantia ist infolge des Einsturzes einer Autobahnbrücke in Genua mit 43 Todesopfern massiv unter Druck geraten und hat binnen einer Woche etwa ein Viertel verloren. Am Mittwoch gab die Notierung bis zum Spätnachmittag weitere 1,9 % auf 18,48 Euro nach.Das Atlantia-Aufsichtsgremium erklärte, zum Schutz des Marktes und der Anleger zu handeln. Auch die möglichen Folgen eines Entzugs der bis 2042 laufenden Lizenz für den Betrieb des 3 000 Kilometer langen Autobahnnetzes, den auch Regierungschef Giuseppe Conte androhte, würden genau untersucht. Ohne die Klärung der Schuldfrage könnte ein solch einseitiger Schritt den italienischen Steuerzahlern laut Mediobanca bis zu 22 Mrd. Euro kosten. Der Atlantia-Aufsichtsrat unterstützt die von den Autostrade per l’Italia angekündigten Maßnahmen zugunsten der Opfer des Brückeneinsturzes, der Stadt Genua und für den Wiederaufbau der Brücke. Insgesamt will der Autobahnbetreiber für diese Maßnahmen 500 Mill. Euro zur Verfügung stellen. Autostrade bestätigte den Eingang eines Schreibens des Verkehrsministeriums und will innerhalb der gesetzten Frist von 15 Tagen auf entsprechende Fragen antworten. Unterdessen ermitteln die zuständigen Behörden sowie eine Expertenkommission über die Verantwortlichkeit nicht nur des Autobahnbetreibers, sondern auch innerhalb der Regierung. Die Finanzpolizei Guardia di Finanza beschlagnahmte am Mittwoch an mehreren Standorten sowohl bei Atlantia als auch bei Autostrade Unterlagen.Die italienische Regierung denkt offenbar nach wie vor ernsthaft über eine Verstaatlichung des Autobahnbetreibers nach. Neben der staatlichen Straßenbaugesellschaft Anas, die bereits Autobahnen betreibt, wird dabei intern offenbar auch eine Mehrheitsübernahme durch die mehrheitlich staatliche Bank Cassa Depositi e Crediti (CDP) diskutiert. Unterdessen brachte Staatssekretär Giancarlo Giorgetti in einem Interview sogar den möglichen Entzug aller Konzessionen an private Unternehmen ins Spiel, also etwa auch in den Bereichen Energie, Wasser, TV- und Mobilfunkfrequenzen, Flughäfen etc. Ein solcher Schritt hätte gewaltige Folgen, weil davon eine Vielzahl auch börsennotierter Unternehmen betroffen wäre.