Atomkonzerne hoffen auf Mega-Entschädigung

Streit um fast 19 Mrd. Euro - Verfassungsgericht urteilt am Dienstag, ob beschleunigter Kernenergieausstieg eine Enteignung war

Atomkonzerne hoffen auf Mega-Entschädigung

Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob der beschleunigte Atomausstieg Eon, RWE und Vattenfall enteignet hat oder ihr Eigentumsrecht nur einschränkte. Als Staatskonzern hat Vattenfall geringe Chancen auf Entschädigung. Ebenfalls offen sind die Milliardenklagen gegen die Brennelementesteuer und das AKW-Moratorium.Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfFür die Energiekonzerne Eon, RWE und Vattenfall geht es am Dienstag um 18,7 Mrd. Euro. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann über die Verfassungsbeschwerde der Unternehmen gegen die Bundesregierung. Zu klären ist, ob der 2011 nach dem Atomunfall von Fukushima beschlossene beschleunigte Ausstieg aus der Kernenergie eine Enteignung war, die in die Substanz des Eigentumsrechts eingreift. Dann müsste die 13. Novelle des Atomgesetzes für nichtig erklärt und die Konzerne für die ihnen entgangenen Einnahmen wegen der Verkürzung der Laufzeiten und für die im Vertrauen auf die vereinbarten Laufzeiten in den Jahren 2010/11 getätigten Investitionen entschädigt werden.Oder aber das Verfassungsgericht entscheidet, dass es sich beim beschleunigten Ausstieg nur um eine sogenannte Inhalts- und Schrankenbestimmung handelte, die das Eigentumsrecht der Konzerne nur einschränkt. Allerdings könnte auch dann eine Entschädigung erforderlich sein – je nachdem wie gravierend aus Sicht des Gerichts das Eigentumsrecht eingeschränkt wurde und aus welchem Motiv heraus.Allein Eon beziffert ihren Schaden auf mehr als 8 Mrd. Euro. RWE hat keine Summe genannt, Analysten gehen von 6 Mrd. Euro aus. Vattenfall will 4,7 Mrd. Euro und klagt zudem vor einem internationalen Schiedsgericht in den USA. EnBW war aus naheliegenden politischen Gründen als Unternehmen in Landesbesitz nicht vor Gericht gezogen. Chance für Vattenfall geringUnter Fachleuten gilt es als wahrscheinlich, dass die Klage von Vattenfall abgeschmettert wird, weil es sich bei dem schwedischen Energieversorger um einen Staatskonzern handelt, der sich als solcher nicht auf Grundrechte in Deutschland berufen kann. “Es würde uns überraschen, wenn Vattenfall als schwedischer Staatskonzern sich erfolgreich auf deutsche Grundrechte berufen könnte”, sagt Peter Rosin, Energierechtsfachmann bei der Kanzlei White & Case, die in den Fall nicht als Vertreter einer der Parteien involviert ist, sondern nur beobachtet.Es wird zudem erwartet, dass das Verfassungsgericht voraussichtlich keine Enteignung konstatiert, sondern nur eine “Inhalts- und Schrankenbestimmung”. Die Folge wäre, dass die Novelle des Atomgesetzes nicht für nichtig erklärt wird, sondern das Gesetz rechtens bleibt. Einen Sonderfall könnte der Streit um die Übertragung der Reststrommengen des Kraftwerks Mülheim-Kärlich auf andere Reaktoren darstellen.Grundsätzlich ist vom Bundesverfassungsgericht jede Verfassungsbeschwerde einzeln zu betrachten und zu entscheiden. “Es wird also nicht nur ein Urteil, sondern drei Urteile geben”, sagt Energieexperte Rosin von White & Case. Allein deswegen könne es gut sein, dass es aufgrund individueller Verfahrensfragen zu unterschiedlichen Urteilen komme.Es kommt also eine Reihe von Entscheidungsmöglichkeiten mit den sich daraus jeweils ergebenden Rechtsfolgen in Betracht. “Der Ausgang ist offen”, sagt Fachmann Rosin. Für die Kraftwerksbetreiber dürfte es schon als Erfolg zu bewerten sein, wenn das Verfassungsgericht urteilen würde, dass es sich zwar nicht um eine Enteignung handelt, jedoch um eine Einschränkung, die eine Entschädigungspflicht auslöst.Um eine Rückabwicklung des Atomausstiegs geht es den Konzernen jedenfalls nicht. “Es geht nicht um Atomenergie. Es geht am Ende um eine faire Entschädigung”, hatte Eon-Chef Johannes Teyssen bei der Anhörung in Karlsruhe Mitte März betont. Den Aktionären sei ein erheblicher Vermögensschaden entstanden, der nicht ausgeglichen worden sei. “Die Risiken der Kernenergie hatten sich mit Fukushima nicht verändert, sondern die Risikowahrnehmung”, hatte RWE-Kraftwerkschef Matthias Hartung argumentiert.Wie es im Fall einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde weitergeht, hängt vom Tenor des Urteils ab. “Sollte das Verfassungsgericht eine Inhalts- und Schrankenbestimmung feststellen, die ausnahmsweise eine Entschädigungspflicht auslöst, käme es darauf an, ob das Verfassungsgericht diese Konstellation von § 18 Atomgesetz erfasst sieht”, sagt Experte Rosin. In diesem Fall könnten die Kraftwerksbetreiber vor den ordentlichen Gerichten auf Grundlage von § 18 Atomgesetz auf Zahlung einer entsprechenden Entschädigung klagen, soweit eine Einigung über die Höhe der Entschädigung scheitert. Bis am Ende Gelder fließen, vergeht in jedem Fall viel Zeit. Die Energiekonzerne brauchen aber schon jetzt dringend Geld. Bis zum Spätsommer 2017 müssen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall 23,6 Mrd. Euro in bar an einen staatlichen Fonds überweisen, der damit die Entsorgung des Atommülls finanziert. Ihre Hoffnung setzen die Energiekonzerne deshalb auch noch auf zwei weitere Klagen zum sogenannten AKW-Moratorium und zur Brennelementesteuer. Weitere MilliardenklagenEon, RWE und EnBW klagen auf eine Befreiung und Rückzahlung der 2011 eingeführten Brennelementesteuer. Eon hat nach eigenen Angaben bislang rund 2,7 Mrd. Euro an den Fiskus gezahlt, RWE 1,7 Mrd. Euro und EnBW 1,4 Mrd. Euro. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) billigte im Juni 2015 die Steuer. Das Bundesverfassungsgericht könnte sie aber noch kippen.Außerdem klagen Eon, RWE und EnBW gegen Bund und Länder wegen des nach der Atomkatastrophe von Fukushima verhängten dreimonatigen Betriebsverbots für die sieben ältesten der damals 17 deutschen Atomkraftwerke und des damals geschlossenen Kernreaktors Krümmel. Das Moratorium lief von März bis Juni 2011 und mündete schließlich im Sommer in den endgültigen Ausstiegsbeschluss. Es geht dabei für Eon, RWE und EnBW um addiert 876 Mill. Euro.