RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: JENS STEGER

Auch im Kartellrecht zahlt sich Compliance aus

Urteil des Bundesgerichtshofs im Steuerrecht strahlt auf Bußgeldpraxis aus

Auch im Kartellrecht zahlt sich Compliance aus

– Herr Dr. Steger, es gibt ein neues Urteil des Bundesgerichtshofes. Was hat es damit auf sich?Das ist korrekt. Es handelt sich um ein Urteil, das der BGH unter dem Aktenzeichen 1 StR 265/16 in einem Steuerstrafverfahren erlassen hat.- Was hat das Steuerrecht mit dem Kartellrecht zu tun?Das Steuerrecht hat mit dem Kartellrecht nicht viel zu tun. Allerdings ging es in dem besagten Urteil um die Bebußung eines Unternehmens auf Grundlage des Ordnungswidrigkeitenrechts. Genau diese Rechtsgrundlage wendet auch das Bundeskartellamt bei der Bebußung von Unternehmen an, wenn Unternehmen gegen geltendes Kartellrecht verstoßen haben. Insoweit gibt es im Hinblick auf die Rechtsanwendung sehr interessante Parallelen, die äußerst praktische Fragen provozieren.- Welche Schlüsse lassen sich aus dem Urteil ziehen?Der BGH hat im Urteil unter anderem ausgeführt, dass es für die Bemessung der Geldbuße auch von Bedeutung ist, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss. Eine zentrale praktische Frage lautet damit, ob das Bundeskartellamt diesen höchstrichterlichen Grundsatz künftig in der Bußgeldpraxis berücksichtigen muss.- Wie hat das Amt solche Fälle denn bislang behandelt?Die Behörde steht bislang auf dem Standpunkt, wenn ein Compliance Management System (CMS) besteht und es dennoch zu einem Kartellverstoß kommt, hat das CMS versagt. Wenn das CMS dagegen funktioniere, ebne es bestenfalls den Weg zum Kronzeugenantrag und sichere auf diesem Weg Bußgeldfreiheit.- Wieso sollte das Amt nun umschwenken?Wie bereits gesagt, das Amt bebußt auf derselben Grundlage, nämlich des Ordnungswidrigkeitenrechts. In Deutschland gilt der durch die Verfassung garantierte Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Dies bedeutet, dass die gesamte Rechtsordnung als Einheit betrachtet wird, die sich nicht widerspricht. Würde man im Steuerstrafrecht andere Grundsätze in der Bußgeldpraxis anwenden als im Kartellrecht, wäre dies schwerlich mit dem Einheitsgedanken in Einklang zu bringen.- Was bedeutet das für Unternehmen?Bei börsengelisteten Gesellschaften gehört ein effizientes kartellrechtliches CMS als State of the Art zum absoluten Pflichtenprogramm. Aber gerade Mittelständler scheuen sich häufig, die zur CMS-Implementierung notwendigen Kosten in die Hand zu nehmen, da die Argumentation des Amtes hierzu auf den ersten Blick keinen Anreiz schafft. Aber auch bei großen Unternehmen muss die Rechtsabteilung zunächst intern ein Budget verhandeln, das ausreicht, um ein effizientes CMS zu schaffen. Hier wird das Urteil des BGH ein weiteres gewichtiges Argument sein, ein solches CMS zu implementieren.- Warum hat der Gesetzgeber nicht schon reagiert und das Bundeskartellamt verpflichtet, CMS in der Bußgeldpraxis anzuerkennen?Zu Beginn der Vorbereitungen für die 9. GWB-Novelle gab es ein kleines Expertentreffen im Bundeswirtschaftsministerium. Genau dieses Thema haben wir dort diskutiert. Der Gesetzgeber hat sich jedoch gegen eine solche Rechtspflicht für das Amt entschieden. Die kürzlich in Kraft getretene 9. GWB-Novelle enthält eine solche Regelung nicht.- Wie sieht die Praxis anderer Kartellbehörden aus?In den USA war das für die Kartellverfolgung zuständige Department of Justice (DoJ) lange Zeit derselben Meinung wie das Bundeskartellamt. 2015 hat das DoJ seine strikte Meinung dann aber aufgegeben und berücksichtigt seither grundsätzlich CMS bei der Bußgeldbemessung.- Gibt es ein zusätzliches Argument für eine Änderung der Bußgeldpraxis des Amtes?Ja! Rechtspolitisch würde die Anerkennung von CMS im Rahmen der Bußgeldbemessung die Kartellverfolgung durch die Behörden flankieren und zu einer weitaus flächendeckenderen Durchsetzung des Kartellrechts führen als die bloß repressive behördliche Kartellverfolgung.—-Dr. Jens Steger ist Rechtsanwalt bei Arnold & Porter Kaye Scholer. Die Fragen stellte Walther Becker.