Auch in Brasilien fahren Lastwagen autonom und vernetzt
Von Joachim Herr, Sao PauloDie Erntemaschine verschlingt gierig die Zuckerrohrstauden: Reihe für Reihe schneidet sie die hohen Pflanzen aus der roten Erde, bläst und spuckt die Blätter hinter sich aufs Feld und fördert das gehäckselte Zuckerrohr auf einem Band in einen riesigen Gitteraufbau des Lastwagens. Das Besondere dieses Mercedes-Benz Axor ist nicht nur der extra breite Radstand, der die Reifen an vier Achsen in voller Breite sichtbar macht. Das Fahrzeug wird autonom gesteuert und bleibt so im richtigen Abstand parallel neben der Erntemaschine. Die Route ist mit GPS auf den Zentimeter genau berechnet. Eingesetzt wird diese Technik hier auf einer riesigen Farm knapp 200 Kilometer nordwestlich der brasilianischen Metropole Sao Paulo.Mercedes-Benz hat den selbstfahrenden Lkw mit Grunner Tec entwickelt, einem hiesigen Hersteller von Landwirtschaftstechnik. Rund zwei Dutzend der Spezial-Axor sind inzwischen im Einsatz, 20 wurden in diesen Tagen neu bestellt. Mateus Belei, der Vertriebsleiter von Grunner Tec, zählt eine ganz Reihe von Vorteilen im Vergleich mit einem normalen Lkw oder Traktor auf: weniger Verbrauch von Kraftstoff und Schmieröl, geringere Kosten für Instandhaltung und dank der präzisen Streckenführung eine deutlich höhere Produktivität. “Und für den Lkw-Fahrer ist die Arbeit weniger anstrengend”, fügt Belei hinzu. Der Fahrer nimmt die Hände nur ans Lenkrad, wenn er am Ende einer Reihe wendet und die vollen Ladungen auf den Anhänger eines anderen Lastwagens kippt. Er sitzt in einer gut gekühlten Kabine, draußen sind es 38 Grad im Schatten.Brasilien ist der größte Zuckerrohrproduzent mit mehr als 700 Mill. Tonnen im Jahr. Indien folgt mit weniger als der Hälfte. Verarbeitet wird es in dem südamerikanischen Land überwiegend zu Ethanol, mit dem fast alle dort hergestellten Pkw betankt werden können. Erntezeit ist von April bis November. Zuerst in den USA Noch ist der autonom fahrende Axor als Erntehelfer eine Nischentechnik. Belei meint, das könnte sich dank der Vorteile bald ändern – trotz des höheren Kaufpreises. Bis selbständig fahrende Lastwagen auch auf öffentlichen Straßen in Brasilien unterwegs sind, dürfte es freilich noch sehr lange dauern. Damit rechnet Stefan Buchner, der Leiter von Mercedes-Benz Lkw, zuerst in den USA, wo es Beispiele für gelungene Tests gebe. “Auf den Highways dort ist autonomes Fahren am besten beherrschbar”, sagt er. Zudem sei in den USA die Offenheit für diese Technik am größten.Viel weiter und auch wesentlich leichter durchzusetzen ist die Vernetzung von Lkw, um zum Beispiel Leerfahrten zu vermeiden und einen Wartungsbedarf rechtzeitig zu erkennen. “Das ist inzwischen weltweit ein Thema”, berichtet Buchner. “Künftig wird kein Fahrzeug mehr ohne ein solches System verkauft.” Das gilt auch für den neuen Actros, einen schweren Lkw, der seit kurzem in Deutschland und der Türkei für Europa produziert wird. Die Möglichkeiten der Vernetzung wurden in der neuen Version des Flaggschiffs von Mercedes-Benz Lkw verbessert.Die in Brasilien hergestellte Variante des neuen Actros, die etwas robuster ausfällt, soll im nächsten Jahr auf den Markt kommen. Auf der Fenatran in Sao Paulo, der größten Messe in Lateinamerika für Nutzfahrzeuge und Transport, stellte Mercedes den neuen Truck mit grellen Lichteffekten und lauter Musik vor. Die Manager der brasilianischen Tochterfirma preisen das Fahrzeug als sichersten Lkw des Landes an, der zum Beispiel Hindernisse erkenne und etwa vor Fußgängern automatisch bremse. Philipp Schiemer, der Chef von Mercedes-Benz do Brasil, bezeichnet den Actros “als ersten digitalen Truck” in dem Land.Der kommt gerade rechtzeitig, denn der Optimismus für den brasilianischen Markt ist groß. Dieser erholt sich von einer schweren Krise, in der die Zulassungszahlen in wenigen Jahren auf ein Drittel abgestürzt waren (siehe Grafik). Die internationalen Hersteller sehen sich bestätigt, dass es richtig war, an dem Markt festzuhalten. “Die Investitionen hier werden sich auszahlen”, sagt Mercedes-Benz-Manager Buchner.Brasilien strahlt dank des Nachholbedarfs von Kunden wie des Einzelhandels und der Bauindustrie nun wieder heller, während es in anderen Regionen angesichts der abgekühlten Konjunktur dunkler wird. In diesen Tagen berichtete Volvo, der Auftragseingang für Lastwagen sei im vergangenen Quartal um 45 % geschrumpft. Zurückhaltend sind vor allem die Kunden in Europa und Nordamerika. Ähnliches dürfte der Daimler-Konzern mit den Quartalszahlen an diesem Donnerstag für seine Truck-Sparte berichten. “Ein Umweltproblem”Von Brasilien verspricht sich Daimler, dass es im nächsten Jahr weiter aufwärts geht. Wie stark, hänge von der Politik ab, meint Länderchef Schiemer. Immerhin sei die wichtige Rentenreform auf den Weg gebracht. Zudem hält er es für notwendig, das sehr komplizierte Steuersystem zu vereinfachen und mehr in Infrastruktur zu investieren. Schiemer fügt hinzu: “Brasilien hat ein Umweltproblem.” Das gilt aus seiner Sicht nicht nur für illegale Brandrodungen im Regenwald, sondern beginnt auf der Straße. Lkw, die älter als zehn Jahre sind, sind von der Steuer befreit. So will der Staat kleinere Unternehmen fördern. Das geht jedoch zulasten der Umwelt und der Sicherheit im Verkehr.