Nachhaltigkeit

Aufsichtsräte setzen auf breite ESG-Expertise

Das Wissen zu ESG-Themen haben einige Unternehmen bislang in speziellen Nachhaltigkeitsausschüssen gebündelt. Doch diese scheinen zum Auslaufmodell zu werden.

Aufsichtsräte setzen auf breite ESG-Expertise

Aufsichtsräte setzen auf breite ESG-Expertise

Nachhaltigkeitsausschüsse werden zum Auslaufmodell – Spezifisches Wissen als „Must-have“-Kriterium

sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

An Herausforderungen mangelt es im aktuellen Wirtschaftsumfeld nicht – das Thema ESG ist dennoch nicht von der Agenda der Aufsichtsräte verschwunden. 75% der Befragten geben an, dass ESG durch die jüngsten Krisen eine unveränderte oder sogar noch höhere Bedeutung einnimmt, hat das Aufsichtsrats-Radar 2023 des Beratungshauses Alix Partners ergeben. In die Untersuchung sind Daten zu ESG-Ratings von 200 börsennotierten Unternehmen sowie Tiefeninterviews mit rund 30 Aufsichtsratsmitgliedern eingeflossen. Dabei zeigt sich auch: Die Mehrheit der befragten Aufsichtsräte schreiben dem „E“ in ESG, dem Umweltfaktor, die größte Bedeutung zu. Zugleich sehen viele dort auch größeren Nachholbedarf als in den Bereichen Soziales und Governance. Auch die Regulatorik zielt bisher stark auf den Umweltaspekt ab. Die Zahl der Unternehmen, die in der EU verpflichtend zu Nachhaltigkeitsinformationen berichten müssen, wird sich in den nächsten Jahren vervierfachen, auch kleinere Unternehmen trifft es zunehmend.

ESG als übergreifendes Leitbild

Die Industrie habe noch nicht verstanden, was für eine Regulatorik-Welle da anrolle, glaubt Florian Funck, langjähriger Haniel-Finanzchef und Aufsichtsratsmitglied bei Ceconomy, Vonovia und Takkt. „Die Diskussion fängt in den Aufsichtsräten erst jetzt richtig an, nachdem die EU-Taxonomie eingeführt wurde.“ Dabei geht es auch um die Frage, wie ESG-Kompetenz im Aufsichtsgremium am besten sichergestellt und verteilt werden kann. Die Ansätze gehen da auseinander: Von den 40 Dax-Unternehmen haben 20 einen Nachhaltigkeitsausschuss im Aufsichtsrat, die andere Hälfte verzichtet darauf. Kritiker des Ausschussmodells monieren, die ESG-Aspekte ließen sich nicht gesondert in einem Ausschuss abhandeln. Florian Funck gibt sich überzeugt: „Nachhaltigkeitsausschüsse werden in den nächsten Jahren wieder verschwinden.“

Jan Kantowsky, Partner und Managing Director bei Alix Partners und einer der Autoren des Aufsichtsrats-Radars, meint: „Es zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab wie seinerzeit beim Thema Digitalisierung.“ Auch in diesem Punkt sei anfangs versucht worden, dies in speziell dafür geschaffenen Ausschüssen und Ressorts abzudecken. „Mittlerweile lässt sich ein klarer Trend beobachten, dass Nachhaltigkeit als übergreifendes Leitbild im gesamten Unternehmen eine zentrale Rolle spielt, und Gleiches gilt für den Aufsichtsrat“, sagt er.

Hendrik Otto

Auch unterhalb der Dax-Liga setzen viele Unternehmen darauf, die ESG-Kompetenz breit zu streuen. Melanie Thomann-Bopp, Geschäftsführerin bei Nolte Küchen und Express Küchen, erlebt dies als Aufsichtsrätin bei Hornbach: „Bei Hornbach werden wir das Thema Nachhaltigkeit im Prüfungsausschuss kontinuierlich auf die Agenda nehmen und auch die jeweiligen Verantwortlichen, die die einzelnen Themenbereiche E, S und G vorantreiben, im Rahmen der Ausschusssitzungen berichten lassen“, erklärt sie. „Da es sich aus unserer Sicht um ein übergreifendes Thema handelt, haben wir uns dagegen entschieden, einen separaten Ausschuss zu bilden.“

Hendrik Otto, Berater bei der Personalberatung Egon Zehnder und seit 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Beteiligungs AG, erlebt es ähnlich: „Die Einrichtung eines eigenen Nachhaltigkeitsausschusses ist aus heutiger Sicht nicht geplant.“

Bedeutung für Besetzung steigt

Bei der Zusammenstellung von Mitgliedern für die Aufsichtsgremien ist das Thema ESG inzwischen zentral, beobachtet Jan Kantowsky von Alix Partners. „Die Bedeutung von ESG-Expertise bei der Besetzung nimmt spürbar zu und wird mehr und mehr vom ‚Nice-to-have‘- zum ‚Must-have‘-Kriterium, mit einem ähnlich hohen Stellenwert wie Branchenkompetenz, Erfahrung im Top-Management oder im Finanzbereich.“

Hornbach-Aufsichtsrätin Thomann-Bopp findet es wichtig, dass die Aufsichtsräte mit Personen besetzt sind, die auch operativ in anderen Unternehmen – idealerweise ähnlicher Größenordnung und Branchenzugehörigkeit – tätig sind, „um auch die Herausforderungen und Anforderungen des ESG-Themas gut zu verstehen“. Sie könnten dann auch Erfahrungen mit der Verankerung von ESG-Themen in einem Unternehmen einbringen.

Melanie Thomann-Bopp sitzt im Aufsichtsrat von Hornbach. Foto: privat

Dem Aufsichtsrats-Radar zufolge sehen die meisten Befragten die größere Kompetenz für ESG-Themen derzeit noch im Vorstand beziehungsweise in der Geschäftsführung des Unternehmens. 83% der Gesprächspartner bescheinigen dem Management eine gute oder sehr gute Expertise, im Aufsichtsrat sehen nur 67% eine gute bis sehr gute ESG-Kompetenz.

Hendrik Otto setzt bei ESG-Themen auch auf Fortbildung der bestehenden Aufsichtsräte. „Mehrere Aufsichtsratsmitglieder nahmen zum Beispiel an einer Veranstaltung mit Investoren der DBAG-Fonds teil, bei denen ESG-Themen eine wichtige Rolle spielten“, berichtet er.

Punkte für strategische Umsetzung

In einigen Unternehmen steht im nächsten Schritt die Aufgabe an, ESG-Aspekte stärker mit der operativen Tätigkeit zu verzahnen. Nicht alle Branchen sind dabei schon gleich weit: „Tendenziell kann man sagen: Je unmittelbarer eine Branche betroffen ist, desto stärker die strategische Verankerung“, sagt Kantowsky. Besonders intensiv setzten sich etwa die Chemie-, Automobil- und Konsumgüterindustrie mit dem Thema auseinander.

Für Hornbach-Aufseherin Thomann-Bopp ist es wichtig, Strategie und Regulatorik stärker in Einklang zu bringen: Die Hornbach-Gruppe habe sich in der Vergangenheit schon „aus Überzeugung“ mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Man könne aber nicht alle künftigen Reporting-Anforderungen wie die Erfassung der Scope-3-Emissionen schon bereitstellen. „Es gilt nun, die strategischen Themen und die Reporting-Anforderungen zu erfüllen und so für das Unternehmen ein stimmiges Bild anzustreben. Dies ist sicherlich die Herausforderung für die nächsten Jahre.“

Hendrik Otto setzt auf Fortbildung zu ESG-Themen. Foto: Egon Zehnder

Auch im DBAG-Aufsichtsrat wird laut Otto die Integration von ESG-Themen in die Entscheidungsprozesse diskutiert. Das Unternehmen frage seit mehreren Jahren bei den Portfoliounternehmen Informationen zu einer Reihe von ESG-Handlungsfeldern ab. Für das Geschäftsjahr 2022/23 sollen ESG-Steuerungskennzahlen auf Basis einer mehrjährigen Entwicklung in die Budgetplanung der Portfoliofirmen einfließen. Otto gibt zu bedenken: „Investments in braune Assets sind fast unmöglich geworden, wenn nicht eine glaubhafte ESG-Turnaround-Story dahintersteht.“

Das Wissen zu ESG-Themen haben einige Unternehmen bislang in speziellen Nachhaltigkeitsausschüssen des Aufsichtsrats gebündelt. Doch diese scheinen zum Auslaufmodell zu werden. Stattdessen gehen Unternehmen verstärkt dazu über, ESG-Expertise als übergeordnetes Thema zu betrachten.

Melanie Thomann-Bopp

Foto: Egon Zehnder

Foto: Privat

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.