Aufstand der italienischen Autoindustrie
bl Mailand – Gewerkschaften und Autoindustrie laufen Sturm gegen die Pläne der italienischen Regierung, eine Ökosteuer mit Bonus-Malus-Regelung für den Kauf von Autos einzuführen. Fiat-Chrysler-Europa-Chef Pietro Gorlier droht in einem Brief an die Regionalregierung in Turin mit der Rücknahme des gerade vorgestellten Investitionsprogramms für Italien, das bis 2021 Investitionen von 5 Mrd. Euro vorsieht. Die Pläne hätten massive Auswirkungen auf die Branche, so Gorlier in seinem Brief an Regionalpräsident Nino Boeti.Im Haushalt sind Anreize für den Kauf von Autos mit alternativen Antrieben vorgesehen, die 2017 etwa 11 % zu den 2 Mill. Neuzulassungen beitrugen. Der Großteil waren gasbetriebene Fahrzeuge. Nur 66 000 Autos hatten Hybridantriebe, 2 000 waren reine Elektroautos. Fahrzeuge mit Diesel- und Benzinmotoren würden mit bis zu 2 000 Euro Mehrkosten pro Jahr belastet. Für den Kleinwagen Fiat Panda würden 300 bis 400 Euro mehr Kfz-Steuer fällig. Lega-Chef Matteo Salvini will auf die Malus-Regelung verzichten. Dem Staat entgingen damit Einnahmen von 340 Mill. Euro. Koalitionspartner 5 Stelle, auf dessen Betreiben die Maßnahme in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, verspricht eine akzeptable Lösung.Experten erwarten einen Absatzrückgang um 100 000 Einheiten, sollten die Pläne umgesetzt werden. Italiens Autoindustrie wäre besonders betroffen. Denn Fiat Chrysler (FCA) hat die Fahrzeuge mit dem höchsten Schadstoffausstoß, muss als Marktführer mit besonders hohen Rückgängen rechnen und hat keine Elektro- und Hybridantriebe anzubieten. Die Autoindustrie ist seit Jahren im Niedergang. FCA wird 2018 wohl erstmals seit Jahren weniger als eine Million Autos in Italien produzieren. Die Tochter Lancia existiert praktisch nicht mehr. Die Produktionszahlen der Töchter Maserati und Alfa Romeo fallen dramatisch. Reifenhersteller Pirelli und Pininfarina sind chinesisch. Lamborghini, Ducati und Italdesign gehören zu Volkswagen.Die Region um Turin, wo 1899 Fiat gegründet wurde, ist mit zwei FCA-Werken, dem Landmaschinen- und Nutzfahrzeughersteller CNH Industrial, Italdesign, Pininfarina und vielen Zulieferern immer noch Herzstück der Autoindustrie. Fast 40 % des Umsatzes der Branche werden hier erzielt. Während in den 70er-Jahren allein bei Fiat in Turin noch 50 000 Mitarbeiter beschäftigt waren, zählte die Region 2017 nur noch 58 000 Mitarbeiter in der ganzen Autoindustrie. Insgesamt hat die Branche in Italien 162 000 Beschäftigte (mit nachgeordneten Bereichen: 258 000) und kam 2017 auf einen Umsatz von 75 Mrd. Euro. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Lombardei, wo renommierte Zulieferer wie Brembo und Pirelli sitzen.An Reputation aufnehmen mit Piemont kann es das “Motor Valley” um Modena in der Emilia-Romagna, das viel stärker spezialisiert ist und nach Auffassung von Giuseppe Berta, Autoexperte und Professor an der Mailänder Bocconi-Universität, mit Unternehmen wie Ferrari, Lamborghini oder Ducati gut aufgestellt ist. Piemont, Lombardei und Emilia-Romagna stehen für drei Viertel des Umsatzes der Autoindustrie des Landes. Alberto Bombassei, Chef des börsennotierten Zulieferers Brembo, fürchtet, dass mit der Elektrifizierung und alternativen Antrieben 25 bis 30 % der Stellen wegfallen.FCA hat eben angekündigt, die Elektroversion des Fiat 500, die ab 2020 auf den Markt kommen soll, in Mirafiori bei Turin zu produzieren. Bis dahin müssen die mehr als 3000 Mitarbeiter im Werk Mirafiori bei Turin, wo derzeit nur der Maserati Levante gebaut wird, kurzarbeiten. Im Werk Grugliasco, wo Maserati-Modelle vom Band laufen, sinken die Produktionszahlen dramatisch. Berta ist sehr besorgt: “Die Fertigung des Fiat 500 Elettrica wird nicht ausreichen, um Vollbeschäftigung zu sichern.”