Auftakt zum Mammutprozess gegen den Ex-Chef von Audi
Von Stefan Kroneck, MünchenGroßes Kino in der einstigen Filmhochburg München: Am Mittwoch steht erstmals mit Rupert Stadler (57) ein ehemaliger Vorstandschef aus dem Volkswagen-Reich wegen der Dieselabgasmanipulationen vor Gericht. Neben dem früheren Audi-CEO müssen sich der Ex-Leiter der Audi-Motorenentwicklung und ehemalige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz (61) und zwei Entwicklungsingenieure vor einer Strafkammer verantworten. Die zuständige Staatsanwaltschaft aus der bayerischen Landeshauptstadt wirft dem Quartett “Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung” vor.Die 5. Strafkammer des Landgerichts München unter Vorsitz von Richter Stefan Weickert führt das Verfahren. Es wird ein Mammutprozess. Weickert setzt zunächst 181 Hauptverhandlungstermine an. Der Prozess dürfte damit frühestens im Dezember 2022 beendet sein. Aufgrund der Komplexität des Falls könnte das Gerichtsverfahren aber noch länger dauern. Der aufwendige Prozess findet diesmal nicht – wie bei einer solchen Dimension sonst üblich – in einem Gebäude der Behörde in der Münchner Innenstadt statt, sondern am südlichen Rand des weiß-blauen Ballungszentrums in einem Sitzungssaal ganz in der Nähe der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Denn das Medieninteresse ist dermaßen hoch, dass die Kapazitäten der Justizbehörde an ihre Grenzen stoßen. Doch in Zeiten der Corona-Pandemie inmitten der zweiten Welle ist die Zahl möglicher Zuschauer aufgrund wieder stärkerer Kontaktbeschränkungen kürzlich begrenzt worden.Stadler steht aber dennoch nach wie vor im Rampenlicht, ist er doch der Ansicht, dass er sich zu Unrecht vor Gericht für die illegalen Mauscheleien verantworten soll. Hält er auch während des Prozesses an diesem Standpunkt zu seiner Verteidigung fest, wird es auf das Beweismaterial der Strafermittler ankommen, das Gericht von der Mitschuld des Ex-Vorstandsvorsitzenden der Autoschmiede aus Ingolstadt zu überzeugen. Auch für den beschuldigten Stadler und die drei Mitangeklagten gilt zunächst nach deutschem Recht das Prinzip der Unschuldsvermutung. Somit liegt es in der Hand des Vorsitzenden Richters, die Frage nach ihrer Verantwortung zu klären, um darauf basierend sein Urteil zu fällen. Die juristische Aufarbeitung der Dieselaffäre erfolgt fünf Jahre nach ihrer Aufdeckung in den USA. Den Wolfsburger Dax-Konzern kosteten die Verfahren im Zusammenhang mit der Causa bislang gut 30 Mrd. Euro. Davon entfiel ein Großteil auf Nordamerika.Ohne ein Schuldeingeständnis von VW und von Audi vor der US-Justiz wären die Aufwendungen für den Mehrmarkenkonzern möglicherweise noch höher ausgefallen. Im Herbst 2018 beendete die Audi AG das Strafverfahren gegen sich in Deutschland mit der Zahlung einer Geldbuße von 800 Mill. Euro. Die Staatsanwaltschaft begründete die Strafe im Rahmen einer Ordnungswidrigkeit seinerzeit damit, dass bei Audi die Aufsichtspflicht verletzt worden sei. Das habe vorsätzliche Straftaten aus dem Unternehmen ermöglicht.Für Stadler steht in dem Prozess persönlich viel auf dem Spiel. Ohne einen Freispruch entfällt seine Abfindung. Die Rede ist von rund 20 Mill. Euro. Es ist zugleich die Geschichte eines Mannes, der im Unternehmen eine steile Karriere gemacht hatte und später tief fiel. Der 2019 verstorbene Firmenpatriarch Ferdinand Piëch und der frühere, ebenfalls angeklagte ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn waren seine Förderer. Der studierte Betriebswirt war zunächst Finanzvorstand von Audi, 2007 stieg er zum Vorstandsvorsitzenden der VW-Tochter auf. Im September 2015, als die Manipulationen aufflogen, begann sein Abstieg. Stadler schob die Verantwortung auf die Ingenieure. Diese hätten ihn über die Machenschaften nicht informiert, sagte er im Herbst 2015. Er selbst habe davon nicht gewusst. An dieser Version hielt er fest.Nach Razzien in der Audi-Zentrale und Durchsuchungen in seinem Haus kam Stadler im Frühsommer 2018 wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Diese dauerte fast fünf Monate. Danach war für ihn bei Audi auch offiziell Schluss. Er verlor den Rückhalt der Unternehmerfamilien Porsche und Piëch. Vor zwei Jahren beendete der Aufsichtsrat das Dienstverhältnis. Seitdem ist Stadler ohne berufliche Beschäftigung, in der Autoindustrie ist er nicht mehr vermittelbar. Er kämpft nur noch um seinen Ruf. Dieser ist aber ohnehin ruiniert – egal, wie das Gerichtsverfahren ausgeht.Womöglich dienen die Erkenntnisse aus dem Prozess in München dem Landgericht Braunschweig, wo das Verfahren gegen Winterkorn an-steht. Während aber die Strafermittler den 73-Jährigen beschuldigen, von den Manipulationen gewusst zu haben, bevor diese in den USA ans Tageslicht kamen, werfen diese Stadler vor allem vor, nach Bekanntwerden der Vergehen nicht durchgegriffen zu haben, um die Manipulationen zu unterbinden. Er, Stadler, habe die Täuschung der Autokäufer billigend in Kauf genommen und erlaubte den Weiterverkauf der betroffenen Fahrzeuge. Anfang September ließ das Landgericht Braunschweig die Anklage gegen Winterkorn zu, da ein Tatverdacht “wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs” bestehe.Im Fall von Stadler stehen in der Anklage 27,6 Mill. Euro als Schaden, den er persönlich zu verantworten habe. Diese Summe setzt sich zusammen aus jenen ermittelten 120 398 Audi-Fahrzeugen, die noch verkauft wurden, als Stadler längst gewusst haben soll, dass diese nicht hätten auf den Markt gebracht werden dürfen. Die Kosten dafür berechnet die Staatsanwaltschaft mit 228,82 Euro je Auto. Im Vergleich zum berechneten Schaden von 3,3 Mrd. Euro, den die übrigen drei Angeklagten zu verantworten haben sollen, ist das zwar ein geringerer Betrag, eine Haftstrafe schlösse das aber nicht aus.