ANSICHTSSACHE

Auszeit für Vorstände: Wann kommt ein Gesetz?

Börsen-Zeitung, 28.11.2020 Ob Bill McDermott bei SAP, Jürgen Großmann von RWE oder Bernhard Günther bei Innogy - Vorstände sind keine Übermenschen. Auch sie sind mit den Widrigkeiten des Lebens konfrontiert, können verunglücken oder krank werden und...

Auszeit für Vorstände: Wann kommt ein Gesetz?

Ob Bill McDermott bei SAP, Jürgen Großmann von RWE oder Bernhard Günther bei Innogy – Vorstände sind keine Übermenschen. Auch sie sind mit den Widrigkeiten des Lebens konfrontiert, können verunglücken oder krank werden und damit vorübergehend nicht mehr einsatzfähig sein. Doch es muss nicht unbedingt ein Unfall oder eine Erkrankung sein, die eine vorübergehende Wahrnehmung der Vorstandsaufgaben und -pflichten verhindert. Auch die Geburt eines Kindes oder andere ganz persönliche Gründe können einer ununterbrochenen Mandatsausübung entgegenstehen. Initiative #stayonboardSo unvermeidbar die Umstände, so kompliziert das begleitende Problem: Dem deutschen Aktiengesetz liegt das Konzept der Gesamtverantwortung des Vorstands zugrunde. Vereinfacht gesprochen trägt jedes Vorstandsmitglied – trotz Ressortverteilung – die umfassende Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung der Gesellschaft. Nach geltendem Recht bleibt es auch dann dabei, wenn das Vorstandsmitglied für längere Zeit daran gehindert ist, seiner Tätigkeit nachzugehen. Im Einzelnen ist vieles unklar, daher birgt die Situation erhebliche Haftungsrisiken. Nicht selten trennen sich an diesem Punkt Vorstand und Unternehmen. Die Unternehmen verlieren damit Top-Führungskräfte, die im Wettbewerb einen Unterschied machen können und die sie trotz temporären Ausfalls vielleicht doch lieber länger an sich gebunden hätten.Tatsächlich sind Konstruktionen vorstellbar, um das Haftungsrisiko abzuwenden. Diskutiert werden verschiedene Wege wie etwa die einvernehmliche Suspendierung eines Vorstandsmitglieds in Anlehnung an die üblicherweise einseitige Freistellung zum Zwecke der Klärung von Vorwürfen gegen das Vorstandsmitglied. Vorgeschlagen wird auch, die Bestellung zeitlich befristet auszusetzen. Dahinter steht die Idee, die Bestellung zu beenden, beim Register anzumelden und den Vorstand aufschiebend befristetet wiederzubestellen. Die rechtliche Unsicherheit verbleibt allerdings und kommunikativ ist all dies nur schwer vermittelbar.Was für interessierte Juristen noch nachvollziehbar sein mag, wird die Öffentlichkeit im Zweifel missverstehen, insbesondere dann, wenn ein Vorstand seine Gründe für die Pause nicht gerne mit aller Welt teilt. Vor allem aber bleibt der Vorstand auf das Wohlwollen des Aufsichtsrats angewiesen. Dabei geht es nicht um Gehaltsfortzahlung und Arbeitnehmerschutzrechte, sondern darum, von Haftungsrisiken freigestellt zu werden. Es kann auch nicht im Sinne der Beteiligten sein, wenn beide Seiten mit Anwälten über die Auszeit verhandeln. Ein Königsweg sieht anders aus. Gleichwohl ist es natürlich wichtig, solche Ansätze aufzuzeigen, solange es keine klare gesetzliche Grundlage gibt.Die Initiative #stayonboard schlägt zur Erleichterung einer vorübergehenden Auszeit vor, dass Vorstandsmitglieder ein subjektives Recht erhalten sollen, ihr Mandat in gesetzlich festgelegten Fällen (z. B. längere Krankheit oder Umstände, die Arbeitnehmer zu Mutterschutz, Elternzeit oder Pflegezeit berechtigen würden) mit einer gesetzlich festgelegten Höchstdauer ruhen zu lassen. Die Auszeit soll innerhalb einer angemessenen Frist angekündigt und nicht zur Unzeit oder entgegen dem Unternehmenswohl, etwa in einer Krise, erwirkt werden können. Die berechtigten Interessen der Öffentlichkeit sollen dadurch berücksichtigt werden, dass der Umstand (nicht aber der Grund) und Zeitraum des Ruhens im Handelsregister einzutragen sind. Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds, das einen Ruhezustand angekündigt hat oder sich im Ruhezustand befindet, soll ausgeschlossen sein, sofern kein verhaltensbedingter Grund für eine Abberufung aus wichtigem Grund besteht. Ob ein Vorstandsmitglied in dieser Zeit Geld erhält oder nicht, regelt der individuelle Arbeitsvertrag und ist somit richtigerweise nicht Kernpunkt des Vorschlags. Weniger Frauen in VorständenDie Klarstellungen könnten auch an anderer Stelle helfen. In ihrer aktuellen Studie zeigt die Allbright Stiftung, dass sich die deutschen Konzerne im vergangenen Jahr viel häufiger als in den Vorjahren von Frauen in den Vorständen verabschiedet haben. Mit nur 12,8 % ist der Frauenanteil bei den 30 Dax-Unternehmen nicht wie in den Vorjahren weiter gestiegen, sondern auf den Stand von 2017 zurückgefallen.Ganz anders ist die Situation im Ausland. In den USA, Großbritannien, Schweden, Frankreich und Polen werden nach der Studie in der Krise kontinuierlich vielfältigere Führungsteams aufgebaut. Der Frauenanteil im Top-Management ist teilweise mehr als doppelt so hoch wie bei den Dax-Unternehmen, die im internationalen Vergleich den letzten Platz belegen und immer weiter zurückfallen. Daran ist natürlich nicht primär die derzeit umständliche Baby-Pause schuld. Doch eine Modernisierung an diesem Punkt, die auch diesen (anderen) Umständen Rechnung trägt, wäre zeitgemäß.Der Wunsch nach einer Ruhezeit, in den beschriebenen Fällen, ist alles andere als ehrenrührig. Ein klares Bekenntnis zu einer entsprechenden Neuregelung wäre ein starkes Signal, das anerkennt, dass die heutige Lebenswirklichkeit in unserer Gesellschaft und damit auch den Vorstandsetagen eine andere ist, als bei Schaffung des Aktiengesetzes. Auch Unternehmen, die künftig Management-Schlüsselkräfte in Sondersituationen nicht länger verlieren wollen, werden eine tragfähige Neuregelung begrüßen. Insgesamt ist es an der Zeit, eine vorübergehende Pause im Vorstandsamt auch gesetzlich so zu regeln, dass die Betroffenen, ob schwanger oder schwer krank, nicht zum Bittsteller werden müssen, um von Haftung frei zu werden. Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei Hengeler Mueller in Frankfurt am Main und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Es ist an der Zeit, eine vorübergehende Pause im Vorstandsamt gesetzlich zu regeln und damit das Haftungsproblem zu lösen.