Autohersteller entdecken neue Kundengruppen
bl Stuttgart – In Großstädten wie Hamburg oder Berlin haben 40 bis 50 % der Bevölkerung kein eigenes Auto. Viele von ihnen lehnen ein Fahrzeug jedoch nicht aus ideologischen Gründen ab, sondern weil es zu teuer ist, sie es selten benötigen, Parkplatznot herrscht oder häufig Staus sind. Ab und zu brauchen auch sie ein Auto: zum Einkaufen, für den Wochenendausflug, weil sie etwas transportieren müssen oder weil sie bei anderen mitfahren möchten. Allmählich entdecken auch die Autohersteller diese Kundengruppe.Mit Angeboten wie Car 2 go (Daimler) oder Drive now (BMW) wenden sie sich gezielt an die über Internet, Smartphone oder Facebook schnell und unbürokratisch zu erreichenden Menschen. So ist Daimler kürzlich für angeblich 8 Mill. Euro bei der weltweit größten Online-Mitfahrzentrale Carpooling.com eingestiegen. Das 2001 von drei Würzburger Studenten gegründete Unternehmen vermittelt international pro Monat mehr als eine Million Mitfahrangebote und will mit dem Geldsegen nun die Expansion in die USA finanzieren. Das hat nichts mehr mit den Mitfahrzentralen aus Studentenzeiten zu tun, als sich Mitfahrwillige über Aushänge fanden.”Die Welt ändert sich”, sagt Daimler-Sprecher Koert Groeneveld. “Das ist ein Zusatzangebot”, fügt er hinzu. “Mitfahren ist für uns ein wichtiger Baustein einer intelligent vernetzten Mobilität”, so Wilfried Steffens, Leiter der neuen Abteilung Business Innovation, die direkt bei Konzernchef Dieter Zetsche angesiedelt ist. “Gerade an den Schnittstellen von Kommunikation und Mobilität schlummern riesige Innovationspotenziale. Die wollen wir heben”, meint Zetsche. Kreative Köpfe tüfteln an neuen Ideen. “Es gibt keine Denkverbote”, erklärt Groeneveld.Car 2 go war so eine Idee, die inzwischen längst dem Kleinkindstadium entwachsen ist und in Form einer GmbH geführt wird. Das eigenständige Projekt entstand aus Pilotversuchen in Ulm und Austin (Texas). Mehr als 100 000 Kunden liehen sich bereits mehr als zwei Millionen Mal einen der inzwischen 5 000 Smart in weltweit 15 Städten aus – darunter sind immerhin 650 Elektro-Zweisitzer. “Das ist eine unglaubliche Erfolgsstory”, sagt Geschäftsführer Robert Henrich. Die Fahrzeuge können ganz kurzfristig über Smartphones gebucht und überall abgestellt werden. Nicht nur MarketingBei den Angeboten handelt es sich nicht um reine Marketing-Aktionen. “Wir wollen damit Geld verdienen und streben an, 2014 den Break-even zu erreichen”, so Daimler-Sprecher Andreas Leo. Die Projekte sollen mehr und mehr miteinander verknüpft werden, so dass am Ende ein integriertes Angebot stehen soll, das verschiedene Verkehrsträger wie Bahn und Bus, Flugzeug oder Fahrrad miteinander verbindet.Seit Juli erprobt Daimler in Stuttgart “moovel”, eine Internet-Plattform, die dem Nutzer angibt, mit welchem Verkehrsmittel er am schnellsten sein Ziel erreicht. Moovel soll eine solche Verknüpfung schaffen: Car 2 go, dazu ein Joint Venture Daimlers mit Europcar (wenn es einmal ein größeres Auto sein soll), Carpooling und das App MyTaxi. Die Beteiligung Daimlers an diesem App führte im Februar zu einem Aufschrei bei den Taxizentralen, die traditionell zu den wichtigsten Daimler-Kunden gehören. Sie fürchteten, dass die Marke mit dem Stern ihnen das Wasser abgraben will. Doch die Aufregung habe sich gelegt, sagt Leo. Auch dieses Angebot sei eine logische Weiterentwicklung im Rahmen der verschiedenen Mobilitätskonzepte. Wenn moovel funktioniert, sollen die Nutzer irgendwann mit einem App alle Mobilitätsangebote miteinander verknüpfen können und das für sie günstigste wählen. Bayerische AllianzDaimler ist jedoch nicht allein mit solchen Angeboten. VW erprobt in Hannover Quicar. BMW ist mit dem Autovermieter Sixt ein Joint Venture eingegangen. “Drive now” bietet in mehreren deutschen Städten, seit Kurzem aber auch in San Francisco, rasch und unbürokratisch BMW und Minis zum Ausleihen an und zählt in Deutschland 42 000 Mitglieder. Darüber hinaus steckte BMW 100 Mill. Euro in einen Venture Fonds in New York, der sich an innovativen Anbietern und Dienstleistern für alternative Mobilitätsleistungen beteiligt.Alle Hersteller wollen mit diesen Projekten auch Geld verdienen. Doch ihr ureigenstes Geschäftsfeld sehen sie auch künftig in der Entwicklung und Produktion von Autos. “Die Angebote soll auch potenzielle spätere Kunden an die Marke heranführen”, sagt BMW-Unternehmenssprecher Frank Wienstroth.