IM GESPRÄCH: GIUSEPPE BERTA

Avancen von Fiat Chrysler bei GM sind "anormal" und "absurd"

Autoexperte findet scharfe Worte und sieht keine Chance für den von Sergio Marchionne forcierten Mergerversuch mit dem US-Riesen

Avancen von Fiat Chrysler bei GM sind "anormal" und "absurd"

Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandDer Chef von Fiat Chrysler Automobiles (FCA), Sergio Marchionne, ist mit seinem Merger-Vorschlag an General Motors (GM) erneut abgeblitzt. “Unser Management und der Verwaltungsrat arbeiten an der Wertoptimierung für unsere Aktionäre. Wir haben den Fusionsvorschlag von FCA überprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Fortsetzung unseres eigenen Geschäftsplanes für die Aktionäre am besten ist.” Doch Marchionne lässt nicht locker und besteht auf ein persönliches Treffen mit GM-CEO Mary Barra.Dieses könnte laut Mailänder Autoanalysten bei der Automobilmesse in Frankfurt stattfinden. Denn laut dem FCA-Chef würde ein Zusammengehen der beiden Autokonzerne wesentlich mehr Gewinn bringen, als ein einzelner erreichen würde. Er droht auch, GM “unter Druck” zu setzen. Wie, das verschweigt er vorerst.Fiat-Experte Prof. Giuseppe Berta von der Mailänder Bocconi-Universität bezeichnet die Situation zwischen FCA und GM als “anormal”. Es sei “absurd”, dass der wesentlich kleinere FCA-Konzern die Initiative ergreife, meinte er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Kapitalisierung von GM mache rund 46 Mrd. Dollar, jene von FCA 18 Mrd. aus. Nicht nur die Dimension, sondern auch die Solidität von GM sei wesentlich größer als jene von FCA. Zweifellos müsste die Initiative von GM und nicht von FCA ausgehen, sagte der Professore. Berta ist auch überzeugt, dass es FCA im Alleingang nicht schafft, die nötigen Investitionen in Innovation zu finanzieren. Bereits der 5 Mrd. Euro teure Investitionsplan für die acht geplanten neuen Alfa-Romeo-Modelle sei für FCA eine enorme Anstrengung. FCA benötige einen finanzkräftigeren Partner. Prof. Berta greift auf den am 29. April 2015 von CEO Sergio Marchionne präsentierten Alternativvorschlag zurück. Apple und Google im FokusAuf der HV erklärte der FCA-Chef, dass es beim Scheitern eines Mergers mit einem Autokonzern zu einem Zusammengehen mit einem Technologiekonzern kommen könnte. Dann müsste laut dem Bocconi-Professor der Vorschlag jedoch etwa von “Apple oder Google Maps” ausgehen. Die Automobilindustrie müsse aus ihren traditionellen Grenzen treten. Das Szenario müsse und werde sich völlig verändern. In Zukunft werden Auto- und Technologiekonzerne zusammenwachsen.Auf die Frage, wann das geschehen werde, meinte der Autoexperte: “Rascher, als wir denken.” Berta schließt inzwischen die Möglichkeit einer Allianz zwischen Suzuki und FCA nicht aus. Suzuki sei am indischen Markt, “dem Wachstumsmarkt par excellence”, gut positioniert. FCA habe auf dem Asienmarkt traditionell eine schwache Stellung inne. “Dabei würde es sich aber um eine Allianz und nicht um einen Merger handeln.” Andere Autokonzerne, mit denen Sergio Marchionne fusionieren könne oder wolle, seien seiner Ansicht nach nicht in Sicht.Fiat Chrysler ist im August sowohl in den USA als auch in Italien stärker gewachsen als die durchschnittliche Marktzunahme. Berta relativiert den in italienischen Medien hochgespielten Erfolg. “Ich rechne damit, dass die Wachstumsdynamik in den USA im kommenden Jahr nachlässt.” Auch der europäische Markt habe trotz der gegenwärtigen Absatzzunahmen wenig Potenzial. Die demografische Lage einerseits, das Verdrängen des Statussymbols Auto zugunsten technologischer Geräte andererseits bremsten das Wachstum. Auch sei hier der Konkurrenzkampf schärfer als sonst wo. In Südamerika, wo FCA gut positioniert sei, sieht Berta ebenfalls keine Erholung. Hier werde es zur Produktionsdrosselung kommen. Die politische Stabilität sei weder in Brasilien noch in Argentinien gewährt. Die China-Krise wird sich laut dem Experten vor allem auf den Absatz der FCA-Luxuswagen Maserati und Ferrari auswirken.Die im Herbst geplante Ausgliederung des Sportwagenbauers Ferrari und dessen Börsengang bedeutet für FCA zweifellos eine Schwächung. “Marchionne muss eine Verbindung zwischen Ferrari und Alfa Romeo beibehalten. Insofern ist sein Streben, CEO von Ferrari zu werden, ein Muss.” Denn die Alfa-Romeo-Modelle können nur punkten, wenn sie durch das Know-how der Ferrari-Motoren und die sportliche Note des ehemaligen Formel-1-Weltmeisters unterstützt werden. “Das Zugpferd Ferrari ist für den Erfolg von Alfa Romeo ausschlaggebend. Insofern will FCA-Chef Sergio Marchionne auch zum Ferrari-Chef avancieren, um die Verbindung zwischen den beiden Unternehmen aufrechtzuerhalten.” Er ist dort bereits Verwaltungsratsvorsitzender. Der seit 2008 amtierende Ferrari-Chef Amedeo Felisa dürfte noch vor dem für Mitte Oktober angesetzten IPO zurücktreten. Die Bewertung von Ferrari beim IPO mit 10 Mrd. Euro hält Prof. Berta für realistisch. Denn es handle sich um einen Luxustitel. Schlechte Stimmung in TurinWas den Bereich Autoteile betrifft, so haben die Firmen die Krise überwunden und bereits das Niveau von 2007 mit 40 Mrd. Euro Umsatz im laufenden Jahr übertroffen. Von den insgesamt 2 500 Branchenunternehmen haben knapp 1 000 in und rund um Turin ihren Standort. Deutsche Autobauer avancierten zum wichtigsten Abnehmer. “Ich sehe derzeit wegen der rigorosen Kostenstrategie der deutschen Pkw-Konzerne eine Gefahr für die Zulieferbetriebe. In Turin ist die Stimmung deshalb sehr schlecht”, kommentiert der Turiner Autoexperte die Situation.