Bahnen gegen Bahnbauer gegen EBA gegen Ramsauer
Von Ulli Gericke, BerlinDie Nerven liegen blank. Bei allen Beteiligten. Egal ob Deutsche Bahn oder ihre Wettbewerber in den grünen, grauen, blauen Zügen, ob Siemens oder Bombardier Transportation, ob Eisenbahn-Bundesamt oder Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, der ein Krisentreffen nach dem anderen organisieren und moderieren muss – ohne die Probleme zu lösen. Bisher jedenfalls stehen immer noch Dutzende von Regionalzügen auf Abstellgleisen und harren ihrer Zulassung. Genauso wie 17 teure ICE-Züge, die die Deutsche Bahn für ihre geplanten Frankreich-Verkehre bei Siemens bestellt hatte, mit Lieferzeitpunkt Dezember 2011. Seitdem wartet die Bahn auf die dringend benötigten Flitzer – ohne dass der Münchener Konzern bislang ein verbindliches Lieferdatum nennen kann.Die Bahn ist hörbar genervt. “Siemens lässt unsere Kunden im Stich”, wetterte Bahn-Chef Rüdiger Grube unmittelbar nach der erneuten Verschiebung der Auslieferung Ende 2012 – und umgehend wurden Geschichten erzählt, Siemens-Chef Peter Löscher persönlich habe noch wenige Tage zuvor die Lieferung versprochen. Soll das heißen, er habe seinen Laden nicht mehr im Griff? Unabhängig von dieser Frage bzw. deren Antwort schmerzt auch Siemens das Dauerthema ICE nicht weniger als die Bahn. Weil sich die nicht enden wollenden Verzögerungen zu einem rufschädigenden Imageschaden für den Technologiekonzern auswachsen. Weil sich selbst Verkehrsminister Ramsauer über das gebrochene Versprechen “stocksauer” zeigte. Und weil die Dauerverspätung kostet: Bei einem Stückpreis von etwa 35 Mill. Euro je ICE stehen wegen der fehlenden Zulassung ICEs im Wert von nahezu 600 Mill. ungenutzt und unbezahlt auf den Gleisen – während die Pönalen wachsen und der Nachrüstaufwand steigt. Bahnen belasten SiemensHöhere Projektbelastungen – “insbesondere in Zusammenhang mit Hochgeschwindigkeitszügen” -, die in Summe 116 Mill. Euro betrugen, machte Siemens im ersten Quartal des laufenden Turnus 2012/13 für den Verlust in der Sparte Transportation & Logistics verantwortlich – und es ist kein Grund ersichtlich, warum sich diese Belastung nicht in einem ähnlich Umfang auch im zweiten Quartal wiederholt. Und im dritten. Solange, bis die lange überfälligen Züge endlich ausgeliefert werden. Bis dahin halten die Bremsspuren an: “Die Herausforderungen bei der Bahntechnik und der Windanbindung werden ihre Spuren in den Zahlen für das zweite Quartal hinterlassen, die wir am 2. Mai vorstellen”, kündigte Finanzvorstand Joe Kaeser erst am Wochenende in der “Rheinischen Post” an.Dabei scheint Siemens nicht der einzige Schienenfahrzeuglieferant zu sein, der keine verbindlichen Liefertermine mehr nennt. Böse Zungen behaupten, es gebe überhaupt keinen Zugbauer mehr, der sich noch auf belastbare Daten festlegt – und diese dann auch einhält.Für die Bahnbetreiber – egal ob große Deutsche oder kleine Wettbewerbsbahnen – ist diese Arbeitsverweigerung ein unhaltbarer Zustand, sind die neuen Züge doch in die jeweiligen Fahrpläne eingearbeitet. Werden sie nicht geliefert, müssen die Reisenden im “Optimalfall” mit alten, abgenutzten Waggons vorliebnehmen, statt in neuen, modernen Zügen ihrem Ziel entgegenzufahren. Im schlechtesten Fall gerät der Takt durcheinander, weil schnellere Züge eingeplant waren, die aber nicht geliefert wurden. Der Dumme ist immer der Reisende, der – naheliegend – auf die Bahn schimpft, obwohl Schuld eigentlich die Industrie hat.Ohne dies abzustreiten – schließlich hatte Siemens nach der bislang letzten Verzögerung ICE-Spartenchef Ansgar Brockmeyer Knall auf Fall abgelöst -, dringen Bahnbauer wie Bahnbetreiber auf eine umfassende Reform des Eisenbahn-Bundesamts (EBA), einer unabhängigen Behörde im Finanzetat des Verkehrsressorts. Dieses in Bonn ansässige Amt ist die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für Eisenbahnen und Züge. Und damit der Flaschenhals der Branche. Auch wenn erste Verbesserungen zu beobachten sind, wie etwa die parlamentarische Absegnung des lang ersehnten “Handbuchs Eisenbahnfahrzeuge” Ende vergangenen Jahres, so fehlen doch noch wichtige Reformen.Nach wie vor wird jeder Zug einzeln zugelassen, nicht die jeweilige Baureihe, wie es in der Automobilindustrie seit Jahrzehnten selbstverständlich ist. Nach wie vor klemmt es beim Ziel, die technischen Anforderungen eines Zuges mit dessen Zulassungsantrag “einzufrieren”, um die ständigen zeit- und kostenintensiven Nachbesserungen zu umgehen. Und nach wie vor ist jeder einzelne EBA-Mitarbeiter persönlich haftbar für seine Entscheidungen. Rückzug aus Deutschland?Da die EBA-Sachbearbeiter (wie die Siemens-Techniker, siehe ICE) arge Schwierigkeiten haben, dem sich beschleunigenden technischen Fort schritt zu folgen, beauftragen sie immer häufiger externe Gutachten – auch zur eigenen Absicherung. Die aber dauern, womit Genehmigungs- und damit Liefertermine allzu oft Makulatur werden. Solange diese persönliche Haftung existiere, sei keine Besserung in Sicht, heißt es unisono von den Technikverantwortlichen der Branche. Entspannung könnten mehr Mitarbeiter bringen, wofür allerdings Verkehrsminister Ramsauer zusätzliche Stellen ge nehmigen müsste. Besserung wäre aber auch dadurch möglich, dass – ähnlich wie beim TÜV oder bei der Dekra – die Zulassung durch Private erfolgte, während das EBA “nur” noch prüft, ob der Zulassungsprozess auch ordnungsgemäß umgesetzt wird.Wie mühsam für die Industrie der Dialog mit dem Bundesamt ist, zeigen zuletzt immer lauter zu vernehmende Äußerungen, sich angesichts der immer neuen Blockaden gänzlich aus dem deutschen Markt zurückzuziehen. Schließlich flitzt ein ähnlicher ICE wie der in Deutschland ausgebremste über spanische Hochgeschwindigkeitsstrecken oder pendelt zwischen Moskau und St. Petersburg. Doch obwohl die Vermittlungsgespräche von Minister Ramsauer zwischen Bahn, Zugbauern und EBA nicht wirklich vorankommen, scheint der deutsche Markt für die Industrie doch so lukrativ, dass sie zwar mit dem Rückzug droht, sich aber dennoch an sämtlichen Ausschreibungen beteiligt – egal, ob es um Straßenbahnen geht, um S- oder U-Bahnen, um Regional- oder Fernzüge. Insgesamt erlösten die Firmen von Alstom bis Vossloh 2012 wieder gut 10 Mrd. Euro, davon rund die Hälfte im Inland. Ein Teil entfällt dabei auf Schienen, Weichen und Infrastruktur. Rund drei Viertel aber auf Züge und Lokomotiven. Und dass der deutsche Markt – trotz EBA – nicht ganz uninteressant ist, zeigen Pesa und CAF. Mit dem polnischen Zuglieferanten hat die Bahn einen Rahmenvertrag über bis zu 470 Dieseltriebzüge im Wert von 1,2 Mrd. Euro unterzeichnet, während die Freiburger Verkehrsbetriebe Straßenbahnen aus Spanien orderten.