Bauindustrie übertrifft sogar die angehobene Prognose

Stimmung besser denn je - Branche aber tief gespalten - Wirtschaftsbau überrascht - Höhere Margen

Bauindustrie übertrifft sogar die angehobene Prognose

Von Ulli Gericke, BerlinDer (Neu-)Bau boomt. Und zwar in einem Ausmaß, das alle Erwartungen übertrifft. In der Folge hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie seine Umsatzprognose für 2017 nun schon zum zweiten Mal angehoben. Ging die Branche zu Jahresbeginn noch von einem 5-prozentigen Plus aus, stockte sie die Erwartungen zur Jahresmitte auf 6 % auf. Jetzt, im Rückblick, wird deutlich, dass die Erlöse trotz der durchwachsenen Witterung Anfang des Jahres noch einmal um 1 Prozentpunkt höher liegen. Nominal dürfte die Bauindustrie ihren Umsatz um 7 % hochgedreht haben, was real knapp 4 % entspricht, listet Hauptgeschäftsführer Dieter Babiel auf. Nicht auszuschließen ist sogar, dass das Wachstum noch höher ausfällt, liegen doch die kumulierten Umsätze in den zehn Monaten bis Ende Oktober nominal um gut 9 % über dem vergleichbaren Vorjahresniveau. Fachkräfte fehlenDa der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und die allmählich einsetzende öffentliche Investitionswende die Baukonjunktur auch im nächsten Jahr ankurbeln sollten, geht der Industrieverband für Betriebe im deutschen Bauhauptgewerbe mit 20 und mehr Beschäftigten für 2018 von einem Umsatzplus von nominal 5 % aus, sprich real 3 %. Die Firmen sind jedenfalls weiterhin positiv gestimmt: Satte 86 % der im Rahmen des Ifo-Konjunkturtests Mitte Dezember befragten Bauunternehmen erwarten in den kommenden sechs Monaten eine günstigere oder zumindest gleichbleibende (und somit gute) Geschäftslage – so viele wie noch nie zum Jahresende, betont der Bauindustrieverband.Allerdings zeigt der Blick auf das vergangene Jahr eine in sich gespaltene Branche, wie es sie noch nie zuvor in dieser Form gab. Während die Bauindustrie über ein sattes 7-prozentiges Plus jubelt, muss sich das eher handwerklich ausgerichtete Baugewerbe mit einem deutlich bescheideneren Wachstum von “nur” 4 % begnügen – was absolut gesehen nicht wirklich schlecht ist. Die Differenz begründet Heiko Stiepelmann, der stellvertretende Geschäftsführer des Hauptverbands, mit dem auseinanderdriftenden Markt. Bei genauerem Hinsehen boomt eigentlich nur die Neubaukonjunktur, während im Bestand und bei Ein- und Zweifamilienhäuschen eher zurückhaltend investiert wird. Hinzu kommen fehlende Fachkräfte. Im Gegensatz zu größeren Betrieben haben kleinere nur bedingt die Möglichkeit, bei Auftragsspitzen auf ausländische Nachunternehmen zurückzugreifen.Anders als bislang erwartet expandierte im abgelaufenen Jahr aber nicht nur der Wohnungsneubau und der Bau neuer Straßen und Schulen. Auch im Wirtschaftsbau gab es in nennenswertem Umfang Erweiterungsinvestitionen – “damit hatten wir Anfang 2017 nicht gerechnet”, erinnert sich Stiepelmann. Noch zur Jahresmitte traute der Verband dem Wohnungsbau ein 7,5-prozentiges und dem öffentlichen Bau ein 6-prozentiges Plus zu, während er für den Wirtschaftsbau nur ein mageres 4-prozentiges Wachstum für möglich hielt. Doch angesichts einer rekordhohen Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe registriert die Bauindustrie ein deutliches, gut 5-prozentiges Plus bei den Auftragseingängen für Wirtschaftsbauten (für Wohnungen: 2,2 %). Auch bei den vorausgehenden Baugenehmigungen für Fabrik- und Werkstattgebäude beobachten die Firmen einen “merklichen Schub”.Insgesamt konnte die Branche bis Ende Oktober fast 5 % mehr Aufträge verbuchen als vor Jahresfrist. Damit verbunden sind steigende Umsatz- und Eigenkapitalrenditen, registriert der Verband. Erstmals seit langem gebe es auch auf dem Bau wieder Lieferfristen. Das ermögliche es den Baufirmen, bei neuen Aufträgen wählerischer zu sein und nicht mehr jedes Bauprojekt ohne Rücksicht auf die Marge annehmen zu müssen. Trotz dieser “Knappheitssituation” sei die Inflationsrate mit 2 bis 3 % relativ überschaubar, beteuert Stiepelmann.Als Folge dieser flotten Konjunktur dürften im neuen Jahr erstmals wieder seit 2003 über 800 000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe arbeiten – verglichen mit dem Stand vor zehn Jahren ein Plus von gut 100 000 Menschen. Weiterhin gehen mehr Bauarbeiter in Rente, als junge Leute eine Lehre anfangen, und der Ausländeranteil auf dem Bau ist auf inzwischen 15 % gestiegen – womit sich die Quote nichtdeutscher Bauarbeiter binnen zehn Jahren verdoppelt hat.Als Voraussetzung für einen anhaltenden Bauboom fordert der Verband, dass die neue Bundesregierung die in der vergangenen Legislaturperiode von gut 10 auf 14 Mrd. Euro hochgeschraubten Gelder für Autobahnen und Straßen auch für die kommenden Jahre festschreibt. Mit diesem Niveau “kann die Branche gut leben”, urteilt Stiepelmann – nicht ohne warnend hinzuzufügen, dass die aus den Jahren mit verschärften Sparanstrengungen stammenden Planungsvorräte mittlerweile weitgehend abgebaut seien. Da zu wenige qualifizierte Bauingenieure in den Verwaltungen arbeiteten, herrsche mittlerweile ein Mangel an baureifen Projekten.Hinzu kommt, dass das Planungsrecht “hyperkompliziert” geworden sei. Selbst Ersatzbauten für marode Brücken benötigten nur allzu häufig ein komplettes jahrelanges Planfeststellungsverfahren. Entsprechend müsse die neue Regierung die ersten Schritte der alten bei der Planungsbeschleunigung weitergehen, mahnt die Bauindustrie an. Darüber hinaus sollte der Bund weiterhin klamme Kommunen finanziell unterstützen, wie er es mit dem auf 7 Mrd. Euro aufgestockten Kommunalinvestitionsfonds schon begonnen hat. Seitdem verbucht die Bauindustrie vermehrt kommunale Aufträge, wohingegen in den Jahren zuvor meist nur Bundesgelder üppig flossen. Um aber den tatsächlichen Problemen vieler Städte gerecht zu werden, dringt der Bauverband darauf, Kofinanzierungen künftig nicht nur bei Neubauten zu erlauben, sondern auch bei Sanierungsmaßnahmen, etwa bei den inzwischen reichlich maroden U-Bahnen in vielen Ruhrgebietskommunen.Trotz des immensen Wohnungsbedarfs in Groß- und Universitätsstädten und des daraus resultierenden florierenden Wohnungsbaus registriert die Industrie zuletzt geringere Baugenehmigungen. Als Grund vermutet Stiepelmann fehlende Grundstücke – was auch mit der immer deutlicher sichtbaren Bodenspekulation zu tun haben könnte. Da zudem in den vergangenen Jahren zumeist (zu) teure Wohnungen entstanden sind, plädiert der erst unlängst ins Amt gekommene Hauptgeschäftsführer Babiel für eine Forcierung des seriellen und modularen Wohnungsbaus – also für die Rückkehr der “Platte”, mit der kostengünstiger gebaut und damit später auch billiger gewohnt werden kann. Die vom Bundesbauministerium jährlich für nötig gehaltenen 350 000 bis 400 000 Neubauwohnungen seien jedenfalls noch in weiter Ferne, dürften doch trotz des hohen Umsatzwachstums im Wohnungsbau selbst 2017 nur 315 000 Wohneinheiten fertig geworden sein, schätzt der Verband. Die Wohnungsknappheit in beliebten Städten sollte folglich anhalten – genauso wie die Mieten weiter ungebremst steigen dürften. Forderungen an PolitikApropos Bauministerium oder genauer: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Von der neuen Koalition erhofft sich die Bauindustrie, die vor vier Jahren beschlossene Trennung zwischen Bau- und Verkehrspolitik wieder rückgängig zu machen. “Die Aufteilung der Themen Bauen und Verkehr auf zwei Bundesministerien hat sich nicht bewährt”, urteilt Babiel. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die Beobachtung, dass sich die ins neue Ressort versetzten Bau-Ministerialen im angestammten Umweltministerium nicht durchsetzen konnten.Dem Bauboom zum Trotz dürfte ein Verlierer in der florierenden Branche feststehen, prognostiziert Stiepelmann: Mit dem anstehenden Digitalisierungsschub – der in diversen anderen Ländern schon wesentlich weiter fortgeschritten ist – verändern sich ganze Geschäftsmodelle. Mit “BIM” (Building Information Modeling), also der Digitalisierung von Planung und Bau, werde die Kooperation in der Wertschöpfungskette intensiver und der Projektverlauf transparenter – mit der Folge, dass Planungsfehler früher sichtbar und behebbar werden. All diejenigen Firmen, die sich in der Vergangenheit weniger auf das Bauen als auf das Suchen von Fehlern konzentriert hatten, um nachträglich Forderungen zu stellen, haben künftig keine Chancen mehr, ist der Verbandsvize überzeugt.