Kapitalanleger-Musterverfahren

Bayer-Aktionäre klagen auf 2,2 Mrd. Euro

Vor allem institutionelle Investoren gehen gegen den Monsanto-Erwerber vor. Die unendliche Glyphosat-Geschichte erhält ein neues Kapitel.

Bayer-Aktionäre klagen auf 2,2 Mrd. Euro

ak Köln

 Auf Bayer rollt eine größere Welle von Aktionärsklagen in Deutschland zu als bislang angenommen. Die Forderungen von Anlegern, die sich über das juristische Risiko im Zusammenhang mit der Übernahme des US-Agrarriesen Monsanto getäuscht sehen, belaufen sich auf rund 2,2 Mrd. Euro. Etwa 320 Aktionäre hätten sich bis zum Ablauf der Verjährungsfrist am 31. Dezember 2021 gemeldet und Klage eingereicht, bestätigte die auf Kapitalanleger-Musterverfahren spezialisierte Kanzlei Tilp einen Bericht der „Wirtschaftswoche“.

Bei den Klägern handele es sich neben 30 Privatanlegern vorwiegend um institutionelle Investoren wie Banken, Pensionsfonds und Versicherungen, wie Tilp-Anwalt Christian Herrmann auf Anfrage sagte.

Bereits Mitte Dezember hatte das Landgericht Köln entschieden, dass der Antrag der Kanzlei Tilp auf Einleitung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens gegen Bayer im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Dieser Schritt hatte weitere Kläger angezogen, so dass sich die Zahl noch um rund 70 Anleger erhöht und die ursprünglich genannte Forderungssumme sich in etwa verdoppelt hatte. Bayer hat seine Aktionäre nach Ansicht von Tilp über die Risiken der in den USA anhängigen Verbraucherklagen im Zusammenhang mit dem glyphosathaltigen Unkrautvernichtungsmittel Roundup getäuscht, die sich der Konzern mit der Monsanto-Übernahme 2016 ins Haus holte. Dadurch sei der Aktienkurs massiv gesunken. In den USA muss sich Bayer schon seit Jahren gegen Tausende Klagen von Roundup-Nutzern wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des Mittels wehren. Bayer hat das stets zurückgewiesen. Zum Teil hat sich der Konzern in den USA bereits verglichen. Für Produkthaftungsklagen hat Bayer für aktuelle Fälle 9,6 Mrd. Dollar zurückgestellt. Für mögliche künftige Klagen hatten die Leverkusener zusätzlich zu bereits reservierten 2 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr weitere 4,5 Mrd. Dollar zurückgestellt.

Der Konzern bekräftigte, die ge­planten Aktionärsklagen in Deutschland für unbegründet zu halten. „Bayer hat die Gesetze eingehalten und ist seinen Veröffentlichungspflichten nachgekommen“, teilte ein Sprecher mit. „Zudem sind wir überzeugt, dass wir eine angemessene Due Diligence in Bezug auf die Akquisition von Monsanto durchgeführt haben. Untersuchungen unabhängiger Experten bestätigen, dass der Bayer-Vorstand bei der Akquisition im Einklang mit seinen Pflichten gehandelt hat.“ Der Pharma- und Agrarchemiekonzern kündigte an, sich in dem Verfahren dementsprechend zu verteidigen.

Ein Musterverfahren gegen Bayer dürfte mindestens zwei bis drei Jahre dauern. In einem nächsten Verfahrensschritt müsste das Landgericht Köln zunächst einen Vorlagebeschluss fassen und den Fall dem Oberlandesgericht vorlegen. Das OLG bestimmt dann einen Musterkläger. Die Kanzlei Tilp hat bereits eine Reihe von Kapitalanleger-Musterfahren – unter anderem gegen die Telekom, Hypo Real Estate, VW, Steinhoff, Porsche und Corealcredit – geführt.

Das seit 2005 existierende Kapi­talanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) war im Herbst 2020 verlängert worden und läuft in der aktuellen Form Ende 2023 aus. Es gilt als reformbedürftig und hat sich nach Ansicht von Experten als zu ineffektiv und umständlich erwiesen.

So ist das erste Musterverfahren, das überhaupt zur Entstehung des KapMuG führte, immer noch nicht abgeschlossen: Das Verfahren um den sogenannten dritten Börsengang der Deutschen Telekom, in dem rund 16000 Kleinaktionäre Schadenersatz für Kursverluste verlangen, läuft seit mehr als 16 Jahren. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass sich jetzt endlich ein Vergleich abzeichnet. Die abgelöste große Koalition wollte das KapMuG eigentlich runderneuern und mit der zivilrechtlichen Musterfeststellungsklage zusammenführen. Im Koalitionsvertrag der neuen Ampelkoalition ist festgehalten, dass der kollektive Rechtsschutz ausgebaut und bestehende Instrumente wie das KapMuG modernisiert werden sollen.

Laufende Kapitalanleger-Musterverfahren
Auswahl größerer Prozesse
Beklagtes UnternehmenMusterklägerGerichtsort
Deutsche Telekomprivater Anleger (2016 verstorben)OLG Frankfurt
Volkswagen/PorscheDeka InvestmentOLG Braunschweig
Daimlerprivater AnlegerOLG Stuttgart
PorscheWolverhampton Pension FundOLG Stuttgart
Hypo Real Estateprivater AnlegerOLG München
Quelle: Bundes-Anzeiger, eigene RechercheBörsen-Zeitung
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