Bedeutung des Tiefseebergbaus wird stark zunehmen
Tiefseebergbau vor Wachstumsschub
Roland-Berger-Studie geht von Start der Mineralienförderung in den Meeren aus – 25 Mrd. Dollar Umsatz bis 2035 – Umweltverträglicher als Onshore
md Frankfurt
Tiefseebergbau hört sich ein wenig nach Science Fiction an. Fast so wie Rohstoffgewinnung aus Asteroiden und Kometen. Tatsächlich kommt die Unternehmensberatung Roland Berger in einer Studie zu dem Schluss, dass die kommerzielle Produktion bis 2030 anläuft und schon fünf Jahre später 19 Tiefsee-Abbaustandorte insgesamt rund 25 Mrd. Dollar erwirtschaften werden.
Wenn das Ziel der Internationalen Energieagentur (IEA) erreicht werden soll, die Kohlendioxid (CO2)-Emissionen bis 2050 weltweit auf einen Nettowert von null zu bringen, wird der Bedarf an bestimmten Mineralien, die für die Transformation u.a. zu klimafreundlicherer Mobilität notwendig sind, stark zunehmen. Diese Nachfrage kann, wie die Roland-Berger-Studie zeigt, zu einem wesentlichen Teil durch Rohstoffförderung in der Tiefsee gedeckt werden.
Landvorkommen stoßen an ihre Grenzen
Die Energiewende, aber auch der Einsatz künstlicher Intelligenz treiben den weltweiten Bedarf an kritischen Mineralien wie Lithium, Nickel, Kobalt und Kupfer in die Höhe. Nach Schätzung der IEA wird sich etwa die Nachfrage nach Kobalt bis 2040 mehr als verdoppeln, bei Lithium steigt sie sogar um den Faktor 8. Der Bergbau an Land tue sich schwer, damit Schritt zu halten, heißt es in der Studie, denn viele Vorkommen stoßen an ihre Grenzen: Die Erzgehalte sinken, die Kosten steigen und die Auswirkungen auf Ökosysteme nehmen zu. Zur Bedarfsdeckung erscheine der Tiefseebergbau als vielversprechende Lösung. Die Ressourcen am Meeresgrund sind nach Schätzungen des US Geological Services (USGS) fast 20mal so groß wie die Vorkommen an Land. Derzeit werden Technologien entwickelt und getestet, um sie in großem Maßstab kostengünstig abzubauen und dabei die Umweltauswirkungen gering zu halten.
„Der Tiefseebergbau kann die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach Kobalt bis 2040 vollständig schließen und zudem eine sichere Kobaltquelle schaffen.“
Zachary Kaplan, Partner bei Roland Berger
Auf Basis von Experteninterviews kommt die Beratungsgesellschaft zu dem Schluss, dass 2050 der Tiefseebergbau den weltweiten Bedarf an Kobalt und Mangan vollständig decken könnte, bei Kupfer immerhin zu 12% und bei Nickel zu 25%. „Der Tiefseebergbau kann die von der IEA prognostizierten Defizite teilweise ausgleichen“, ist sich Zachary Kaplan, Partner bei Roland Berger, sicher. „Er kann die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach Kobalt bis 2040 vollständig schließen und zudem eine sichere Kobaltquelle schaffen.“ Durch den Tiefseebergbau würden sich Lieferketten und das Marktgefüge deutlich verändern – mit Folgen für bisherige und neue Lieferländer sowie verarbeitende und abnehmende Branchen.
Greenpeace stemmt sich vehement dagegen
Umweltschutzorganisationen kritisieren Tiefseebergbau-Vorhaben scharf. So setzt sich Greenpeace dafür ein, dass die Meeresböden nicht zum Abbaugebiet für Bodenschätze werden dürfen, um die empfindlichen Ökosysteme dort zu schützen. „Schon im Sommer 2025 könnte Tiefseebergbau in internationalen Gewässern zugelassen und damit der Weg für die Zerstörung der Tiefsee geebnet werden“, warnt die nicht staatliche Organisation (NGO).
Entscheidung über Regelwerk wohl in diesem Jahr
Das laufende Jahr habe sich die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) als Frist gesetzt, bis zu der ein Regelwerk für den Tiefseebergbau erstellt werden müsse. Greenpeace stemmt sich vehement gegen eine solche Konvention: Es sei unmöglich, ein Regelwerk aufzustellen, das die Tiefsee schont.
Die Tiefseebergbau-Industrie warte nur darauf, den Meeresgrund „mit riesigen Maschinen“ umgraben zu dürfen. Das Ziel seien u.a. Manganknollen. Sie enthalten seltene Metalle, die „angeblich“ für grüne Technologien benötigt werden. Eine Greenpeace-Studie habe das jedoch widerlegt. „Selbst große Tech-Konzerne haben sich gegen den Tiefseebergbau ausgesprochen“, behauptet Greenpeace.
Dem widerspricht die Studie: Die Minimierung von Umweltschäden, vor allem durch effektivere und schonende Technologien, stehe ganz oben auf der Agenda jener Unternehmen, die sich mit dem Tiefseebergbau beschäftigen. Experimente deuteten darauf hin, dass der ökologische Fußabdruck des Tiefseebergbaus kleiner sein könnte als der von terrestrischem Bergbau. „Der Abbau einer Tiefseemineralart (etwa Manganknollen; die Red.) könnte zur Gewinnung von drei oder vier Metallen mit einem insgesamt geringeren CO2-Fußabdruck führen als der Abbau an drei oder vier verschiedenen Standorten an Land“, sagt François Castelein, Partner bei Roland Berger.
„Wir sind überzeugt“, so Roland-Berger-Partner Wolfgang Bernhart, „dass der Tiefseebergbau im großen Maßstab und mit der entsprechenden technologischen Reife große Vorteile gegenüber dem terrestrischen Bergbau bietet.“
Doch „regulatorische Unsicherheit hält derzeit viele institutionelle Anleger zurück“, sich in diesem große Potenziale bergenden Sektor zu engagieren, meint Dominique Gautier, Partner bei Roland Berger. Dennoch sollten sich „träge, kapitalintensive Branchen wie der Bergbau, aber auch Abnehmer wie Batteriehersteller“ frühzeitig mit dem Thema befassen, lautet ein Fazit der Studie.
Zeit der Spezialunternehmen
Derzeit befassen sich große Bergbaukonzerne wie BHP, Rio Tinto, Glencore und Anglo American gemessen an ihrem Umsatz oder ihrer Finanzstärke kaum mit Tiefseebergbau. Auf diesem Spielfeld tummeln sich – wie so häufig bei neuen Industriesektoren – kleine Spezialunternehmen wie die kanadische The Metals Company (TMC), Global Sea Mineral Resources (GSR) – eine Tochter der belgischen Deme-Gruppe –, Adepth Minerals – eine Tochter der norwegischen Deep Ocean Group –, oder die China Ocean Mineral Resources Association (Comra). Wächst der Tiefseebergbau tatsächlich, wie von Roland Berger erwartet, zu beachtlicher Größe an, wird es wohl wie in vielen vergleichbaren Fällen zu Übernahmen durch die Großkonzerne kommen.