Bei der Verlustnutzung gibt es keine Zeit zu verlieren
Eine unmittelbare und einfache Verrechnung heutiger Verluste, insbesondere mit Gewinnen der Vergangenheit oder zur Reduzierung bereits geleisteter Steuervorauszahlungen, ist für Unternehmen als direkte Liquiditätsspritze aktuell zumeist nicht möglich. Im Angesicht der akuten Verluste durch die Coronakrise ist eine Reform der Verlustverrechnung daher so einfach wie geboten.Die Politik hat erkannt, dass sie mit einer Verlustnutzung in zeitlicher Hinsicht mittels einfacher Umstellungen zu einer Stütze für Unternehmen in schwierigen Zeiten werden kann – und das, ohne dass in der langfristigen Gesamtschau Steueraufkommen für den Fiskus entfällt. Es wird an einer Lösung für kleinere und mittlere Unternehmen gearbeitet, absehbare Verluste des Jahres 2020 mit bereits geleisteten Steuervorauszahlungen für 2019 bis zu einer Obergrenze von 15 % zu verrechnen und dadurch Geld, durch Erstattung von Vorauszahlungen, zurückzubekommen. Kurzfristige Verrechnung Auch im Vergleich zu dieser jetzigen Mindeststeuerquote von 40 % (60 % sind bei Überschreiten der Grenze von 1 Mill. Euro bisher verrechenbar) erscheint die derzeit angedachte Mindestbesteuerung von 85 % eher als Diskussionseinstieg. So sind die 15 % ein guter Schritt zur Unterstützung heutiger Liquidität, aber keine Lösung der strukturellen Problematik, die Gewinnbesteuerung an der periodenübergreifenden Leistungsfähigkeit auszurichten.Doch wie sollte eine solche grundsätzliche und ordnungspolitisch ausgerichtete Reform der Unternehmenssteuer aussehen? Dabei spielen drei Maßnahmen eine grundlegende Rolle: Eine kurzfristige Verrechnung der jetzigen Corona-Verluste sollte als erste Soforthilfe ermöglicht werden. Als Zweites sollte vom Gesetzgeber als Genesungshilfe die Mindeststeuer hinterfragt und drittens sollte die Verlustrechnung langfristig verbessert werden, um die wirtschaftlichen Auswirkungen auch in der Zeit nach dem Höhepunkt der Pandemie sicher überwinden zu können.Wenn Unternehmen ihren aktuell entstehenden oder bereits entstandenen Verlust für das Jahr 2020 zeitnah mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnen könnten, wäre das ein wichtiger erster Schritt. Bereits geleistete oder noch zu leistende Steuerlasten für frühere Jahre würden reduziert. Der Vorteil: Unternehmen könnten existenzgefährdende Liquiditätsengpässe vermeiden oder sie würden zumindest unwahrscheinlicher werden. Noch fällige Zahlungen für die Einkommens- oder Körperschaftsteuer sollten zudem reduziert, bereits geleistete Zahlungen zumindest teilweise zurückerstattet werden.Damit die steuerliche Soforthilfe unmittelbar wirken kann, sollte für die Vergangenheit eine aufwandswirksame Einbuchung eines passiven steuerlichen Ausgleichspostens (StAP) eingeführt werden. Dieser Posten würde die Steuerbelastung im letzten Gewinnjahr vor der Corona-krise senken. Er vermeidet Liquiditätsengpässe und kompensiert den Unternehmen im Verlustjahr 2020 die ertragserhöhende Ausbuchung dieses steuerlichen Bilanzpostens zur Verlustnutzung. Optimal wäre es, wenn ein solcher StAP nicht nur das Vorjahr, also 2019, beträfe, sondern für eine begrenzte Anzahl vergangener Veranlagungszeiträume genutzt werden könnte. Die Berücksichtigung der Corona-Verluste aus 2020 bei der Ermittlung der Steuervorauszahlungen 2019 geht dabei in die gleiche Richtung.Die steuerliche Unterstützung für Unternehmen darf aber bei der Soforthilfe nicht aufhören. Die aktuelle Regelung des begrenzten ertragsteuerlichen Verlustvortrags, der sich auf 60 % des Gesamtbetrags der Einkünfte oberhalb einer Million Euro beschränkt, ist in der jetzigen Ausnahmesituation nicht sinnvoll und sollte angepasst werden. Konkret ist das möglich, indem die Einschränkung zunächst temporär ausgesetzt und langfristig abgebaut wird. Es wäre unnötig und nicht zielführend, wenn eine mühsame wirtschaftliche Erholung nach der Krise angesichts der bestehenden Mindestbesteuerung eingeschränkt und damit nachhaltig erschwert würde.Die Verlustverrechnung langfristig zu verbessern ist die dritte Maßnahme. Erleichterungen im Hinblick auf den Rücktragszeitraum und das Rücktragsvolumen sind für eine sofortige Entlastung hilfreich. Konkret sollte hierbei der derzeit einjährige Rücktragszeitraum überdacht werden. Ein unbeschränkter Verlustrücktrag – sowohl den Betrag als auch den Zeitraum betreffend – ist sinnvoll, um die Unternehmen zu unterstützen. Weiterhin sollten gewerbesteuerliche Verlustregelungen an die einkommensteuerlichen Regelungen angepasst werden, denn für die Gewerbesteuer existiert bislang kein Verlustrücktrag.Mit einer unbeschränkten Rücktragsmöglichkeit würden die administrativen Effekte der jährlichen Abschnittsbesteuerung zerstreut, womit eine spezifischere Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip möglich gemacht würde. Dies stellt ein Gegengewicht zum frühen Steuerzugriff des Fiskus dar: So wurden in der Vergangenheit umfangreiche Maßnahmen getroffen, die Erträge frühzeitig berücksichtigen, während Aufwendungen steuerlich in die Zukunft verlagert werden. Das zeigt sich beispielsweise bei den teils gravierenden Unterbewertungen steuerlicher Pensionsrückstellungen. Eine unbeschränkte Verlustrücktragsmöglichkeit würde Unternehmen in der Krise zuvor “zu viel, weil zu früh” bezahlte Steuerzahlungen wieder zur Verfügung stellen – eine nicht zu unterschätzende Liquiditätsspritze. Sicherung des WohlstandsDer Staat möchte am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen finanziell beteiligt werden – das ist nachvollziehbar. Gerade deshalb sollte er jedoch in Zeiten wie diesen für eine steuerliche Entlastung der unternehmerischen Gewinnbringer der vergangenen Jahre sorgen. Maßgeblich ist gleichwohl, dass die dargestellten Maßnahmen unabhängig von langwierigen Bedürftigkeitsprüfungen zustande kommen.Durch eine effiziente Verbesserung der Verlustnutzung leistet der Staat nicht nur einen konstruktiven Beitrag in der Krise und einen wichtigen Beitrag für einen hoffentlich baldigen Wiederaufschwung. Er hält damit auch die Anzahl der insolventen Unternehmen möglichst gering – denn die würden keine Steuereinnahmen mehr bringen. Denkt man die vorgeschlagenen Maßnahmen weiter, sichert der Staat mit seiner steuerlichen Unterstützung den langfristigen Wohlstand der Gesellschaft, indem er sein eigenes Einkommen über Steuern sichert, und staatliche Transferleistungen gar nicht erst anfallen. Hermann Ottmar Gauß, Leiter des Bereichs Tax Policy von EY in Deutschland, Österreich und der Schweiz und Andreas S. Bolik, Steuerberater und Associate Partner im National Office Tax von EY