Im GesprächSteffen Topf und Robert Nachama, Marsh

„Beim US-Listing droht ein erhöhtes Sammelklage-Risiko“

Bei US-Börsengängen müssen deutsche Unternehmen häufig in verstärktem Ausmaß Wertpapiersammelklagen fürchten. Die bisher verbreitete D&O-Versicherung reicht laut dem Makler Marsh mitunter nicht aus, um die Risiken abzudecken.

„Beim US-Listing droht ein erhöhtes Sammelklage-Risiko“

Im Gespräch: Steffen Topf und Robert Nachama

„Erhöhtes Klage-Risiko beim US-Listing“

Makler Marsh sieht Bedarf an projektbezogener IPO-Versicherung deutscher Unternehmen

Von Alex Wehnert, New York

Der verstärkte Drang an liquidere amerikanische Börsen bringt für deutsche Unternehmen Gefahren mit sich. „Firmen, die sich in den USA listen lassen, müssen mit dem Risiko rechnen, dass sie bei einer schlechteren als avisierten Bewertung mit einer Wertpapier-Sammelklage konfrontiert werden“, sagt Steffen Topf, Managing Director und Co-Head der Capital Markets Practice beim Industrieversicherungsmakler Marsh. „Die dann entstehenden Kosten können schnell in den zweistelligen Millionenbereich steigen – in den per Vergleich beigelegten Fällen lagen sie im vergangenen Jahr im Durchschnitt bei deutlich über 40 Mio. Dollar.“ Für Unternehmen sei es daher elementar, sich im Vorlauf eines Börsengangs gegen die entsprechenden Risiken abzusichern.

Der Großteil der Unternehmen halte schon eine Directors-and-Officers-Versicherung (D&O-Versicherung) vor, um das Management vor Ansprüchen zu schützen. „Mit einem Listing in den USA bewegen sich europäische Firmen aber in einem neuen Haftungsregime, in dem sie Ansprüche gegen die juristische Person befürchten müssen“, betont Topf. Dabei seien auch die am IPO beteiligten Banken, Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien sowie Beratungsgesellschaften im Risiko. „Das Management der Stakeholder ist komplex, gerade über verschiedene Kontinente hinweg – für deutsche Unternehmen ist es dabei wichtig, die eigenen Interessen zu wahren“, sagt Topf.

Stärkere Belastungen

Eine Lösung, um alle am IPO beteiligten Parteien gegen Wertpapier-Sammelklagen zu schützen, sei die in den USA bisher nicht übliche Prospektversicherung. „Während die D&O-Versicherung jährlich abgeschlossen wird, ist die Prospektversicherung projektbezogen und gilt damit für den Zeitraum der relevanten Verjährungsfristen – in der Regel zehneinhalb bis elf Jahre“, sagt Topf. Die Policen bezögen sich in der Regel nicht auf das gesamte Transaktionsvolumen.

„Die Versicherungssummen hängen davon ab, wie groß der Deal ist und ob nur neue Aktien ausgegeben werden oder vorher schon Private-Equity-Gesellschaften beteiligt waren, die den Börsengang als Exit nutzen.“ Im Small-Cap-Segment seien Versicherungssummen von bis zu 30% des IPO-Volumens darstellbar, im Large-Cap-Markt gingen die Quoten in Richtung 10%. Die Prämien lägen in der Regel bei 1%.

„Die Kosten in den USA fallen deutlich höher aus als in Deutschland – ebenso wie die Selbstbehalte“, sagt Topf. Gerade deshalb sei es nötig, die Risiken von Wertpapier-Sammelklagen im Vorfeld des Börsengangs klar nach der Datenlage zu analysieren und mit dem Versicherer präzise Bedingungen abzustimmen. „Die Anwaltskosten sind ein entscheidender Punkt – wenn der Versicherer diese bei 300 Euro pro abgerechneter Stunde deckeln will, ergibt das nicht viel Sinn.“

Volatiler Markt

Die Bedingungen seien aber vom Marktumfeld und der Komplexität der Transaktion abhängig. „Der D&O-Versicherungsmarkt war in den vergangenen Jahren sehr volatil – die Prämien sind nicht nur in den USA, sondern auch in Europa in die Höhe geschnellt und die Deckungssummen gesunken“, sagt Robert Nachama, Senior Counsel, Transactional Risk, Capital Markets Practice bei Marsh.

Die Lage habe sich nun aber entspannt – und auch bei Versicherern bestehe der Bedarf, neue Einkommensströme zu generieren. „Wenn jetzt Erneuerungen der D&O-Policen anstehen, merken die Anbieter häufig, dass sie in den Jahren zuvor zu niedrige Versicherungssummen bereitgestellt haben und dementsprechend nicht genügend Prämien aus diesen Produkten einspielen“, führt Nachama aus. 

Gespräche über neue Produkte laufen

Bei den Unternehmen gehe der Trend dazu, bei Transaktionen eine projektbezogene Deckung einzukaufen. „Eine Police, die neben der Emittentin auch andere am IPO beteiligte Parteien schützt, bietet im Gegensatz zur D&O-Versicherung eine breitere Deckung. Wir erproben in den USA die Möglichkeit für überzeugende Produkte, die zumindest die beteiligten Banken einbeziehen“, führt Nachama aus. 

„Bisher gibt es nur eine kleine Zahl an Versicherern, die entsprechende Produkte anbieten können, aber wir führen dazu schon viele Gespräche“, betont Topf. Vereinzelt habe es in den USA Versuche gegeben, Prospektversicherungen zu platzieren. „Leider waren diese Produkte dann aber sehr schnell stark schadenbelastet“, sagt Topf. In den USA lasse sich die Zahl der Anspruchsgegner im Gegensatz zur Situation im deutschen Markt kaum eingrenzen. In Deutschland verklagen die Geschädigten die Emittentin. Dann folgen im Zweifel Regressanforderungen gegen das Management, bei denen die D&O-Versicherung ins Spiel komme. 

Homogene Struktur entscheidend

„In den USA gibt es im Gegensatz dazu eine direkte Außenhaftung der Organe“, unterstreicht Nachama. „Jeder, der beim IPO Aktien gekauft hat und einen Wertverlust hinnehmen muss, kann theoretisch direkt klagen.“ Treuhand- und Sorgfaltspflichten würden in den USA viel stärker auf einzelne Direktoren und Manager bezogen ausgelegt. Für deutsche Unternehmen gelte es, dies beim Börsengang in New York nicht zu unterschätzen.

„Es ist zentral, die Versicherung homogen zu strukturieren“, sagt Topf. „Wir hatten im vergangenen Jahr mit einem D&O-Programm für ein Unternehmen zu tun, das mit Deutschland, Großbritannien und den USA in drei verschiedenen Märkten über drei verschiedene Broker versichert war – dieses heterogene Bedingungswerk im Schadensfall zu managen, ist sehr schwierig.“ Dies gelte umso mehr bei komplexeren Transaktionen wie Börsengängen via Verschmelzung auf eine Special Purpose Acquisition Company (Spac).

Zudem müsse die Versicherung Altlasten aus der Zeit vor dem Börsengang abdecken. Dabei biete die Prospektversicherung gegenüber der reinen D&O-Versicherung ebenfalls Vorteile. Denn bei letzterer müssten Unternehmen eben jährlich in die Vertragsverlängerung gehen. Ein Schaden könne allerdings auch zwei Jahre nach dem IPO entstehen und die Prämien über die folgenden fünf bis zehn Jahre in die Höhe treiben. „Dann besteht keine Chance mehr, die entstehenden Kosten auch der Transaktion zuzurechnen – bei der projektbezogenen Police hingegen schon, sodass Unternehmen die Versicherungsprämie als Einmalbelastung den Projektkosten zurechnen können“, sagt Topf. 

Gemeinsame Verteidigung

„Aus juristisch-praktischer Sicht ist das Haftungsrisiko eigentlich für alle beteiligten Parteien gleich hoch“, gibt Nachama zu bedenken. Bei einer Sammelklage führten Anleger sowohl die Gesellschaft und ihre Organe als auch Banken, Wirtschaftsprüfer und andere Parteien an. Zumindest im ersten Schritt seien deren Interessen damit gleich gerichtet, sie müssten sich gemeinsam verteidigen.

Wenn ein Versicherer alle Parteien gleichzeitig abdecke, ergäben sich für ihn daraus zwar etwas höhere Risiken. Diese bewegten sich aber mehr im theoretischen Bereich. „Praktisch sind auch die anderen Parteien aus dem Schneider, wenn die beklagte Emittentin im Anspruchsfall zahlen muss – kann sie das nicht, haben auch ihre Banken und Wirtschaftsprüfer ein Problem“, betont Topf.

Bei US-Börsengängen müssen deutsche Unternehmen häufig in verstärktem Ausmaß Wertpapiersammelklagen fürchten. Die bisher verbreitete D&O-Versicherung reicht laut dem Makler Marsh mitunter nicht aus, um die Risiken abzudecken.