RECHT UND KAPITALMARKT

Berlin schließt Cum-cum-Lücke unzureichend

Neuregelung kuriert mehr schlecht als recht, ohne Ursache zu bekämpfen - Schreiben des Finanzministeriums verursacht Verwirrung

Berlin schließt Cum-cum-Lücke unzureichend

Von Hubert Schmid und Dr. Felix Mühlhäuser *)Aktien zu kaufen und kurz danach wieder zu verkaufen, ist weder steuerlich noch rechtlich außergewöhnlich. Die Politik versagt kurzlaufenden Aktiengeschäften die Anerkennung, die Steuerverwaltung erkennt solche Transaktionen nicht mehr an und greift Cum-cum-Gestaltungen flächendeckend auf. Gegen Cum-ex-Gestalter wird strafrechtlich ermittelt. Die nur vorübergehende Anschaffung von Aktien diene der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, so der Fiskus.Auf den Tag genau mit Beginn der närrischen Zeit am 11. November nahm das Bundesministerium für Finanzen in einem BMF-Schreiben zur grundsätzlichen Frage der Zurechnung des steuerlichen Eigentums an Aktien Stellung, die hin und her übertragen werden, wie dies unter anderem bei Wertpapierleihen und Wertpapierpensionsgeschäften der Fall ist. Aktien werden dabei nur für eine bestimmte Zeit übertragen.Wem in solchen Fällen die Erträge steuerlich zuzurechnen sind, hatte der Große Senat des BFH bereits 1982 für das Wertpapierpensionsgeschäft geklärt. Dem Erwerber seien die Erträge aus den Wertpapieren originär zuzurechnen, weil er mit ihnen machen kann, was er will, sie dem Zugriff seiner Gläubiger unterliegen, im Insolvenzfall in die Masse fallen und ihm das Stimmrecht und die Dividenden bzw. der Zinscoupon zustehen. Weder fehlende Kursrisiken noch die kurze Dauer der Überlassung der Wertpapiere ändere etwas an der steuerlichen Position des Erwerbers. In seinem Urteil merkte der Große Senat an, dass ein Eigentumsübergang auch nicht deshalb scheitere, weil damit Steuervorteile erzielt werden sollten. “Denn das Gestaltungsmotiv der Ersparnis von Steuern macht die Gestaltung nicht rechtsmissbräuchlich.”Die Rechtsgrundlage für die Ermittlung des steuerlichen Eigentümers von Aktien hat sich seit der Entscheidung des Großen Senats nicht geändert – eine Ausnahme in dem ansonsten im ständigen Umbruch befindlichen Steuerrecht. Trotzdem bestimmte der I. Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 18. 8. 2015 (I R 88/13) das steuerliche Eigentum nach neuen Regeln. Der I. Senat hatte eine Wertpapierleihe zu beurteilen, die über den Dividendenstichtag lief. Der Entleiher machte vor Steuern Verlust, da er die Dividende an den Verleiher abführte und ihm auch noch Leihgebühr zahlte. Nach Steuern erhoffte sich der Entleiher kein schlechtes Geschäft, erwartete er doch, die Dividende steuerfrei zu vereinnahmen und die Weiterzahlung der Dividende steuerlich als Aufwand abzuziehen. Dadurch entstanden “künstliche Verluste” mit entsprechenden Steuerersparnissen. Künstlicher VerlustDer Gesetzgeber sah in diesen Gestaltungen einen Missbrauch und schuf eine spezielle Missbrauchsregelung, die den “künstlichen Verlust” verhinderte, ohne die Eigentumsverhältnisse zu ändern. Nach den Kriterien des Großen Senats wäre der Entleiher Aktionär geworden, und nach der Auffassung des Gesetzgebers sollte ein Missbrauch vorliegen. Der I. Senat sah alles ganz anders. Missbrauch sei nicht zu prüfen, da der Entleiher nicht steuerlicher Eigentümer der Aktien sei – und zwar, weil der Entleiher die Dividenden in voller Höhe an den Verleiher weiterreichen müsse, weil die Überlassung kurzfristig sei, weil Chancen und Risiken aus den Aktien beim Verleiher verblieben (was bei Wertpapierleihen immer der Fall ist). Außerdem stellte der I. Senat darauf ab, dass der Entleiher keine sinnvolle Verwendung der Aktien beabsichtigte.Der Große Senat hatte es damals abgelehnt, den Eigentumsübergang von subjektiven Vorgaben abhängig zu machen. Der I. Senat brach hingegen ohne Not mit einer langjährigen Rechtsprechung und stiftete damit auch in Berlin Verwirrung. Denn das Bundesfinanzministerium sieht sich nun unter Hinweis auf die Entscheidung des I. Senats veranlasst, zu klären, wann bei Wertpapiergeschäften aus steuerlicher Sicht Eigentum übergeht.Werden Wertpapiere im Rahmen einer Wertpapierleihe innerhalb von 45 Tagen hin und her übertragen, wird nach dem aktuellen BMF-Schreiben der zivilrechtliche Eigentümer für Zwecke der Besteuerung nicht Aktionär, wenn die “Gesamtschau” negativ ausfällt. Die Finanzverwaltung gibt nunmehr folgende Kriterien vor: Ist mit dem Wertpapierleihgeschäft ein Steuervorteil für irgendeine Partei verbunden? Fließt die Dividende in Form einer Ausgleichszahlung in voller Höhe an den Verleiher? Ist das Stimmrecht ausgeschlossen oder beschränkt, oder besteht keine Absicht, das Stimmrecht auszuüben? Kann die Überlassung der Aktien innerhalb von drei Arbeitstagen rückgängig gemacht werden? Sollte sich nach diesen Kriterien die Eigentumsposition des Erwerbers als “rein formale” Hülle erweisen, kommt es nach Vorgabe der Finanzverwaltung nicht zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Es sei denn, der Joker greift: Erzielt der Entleiher vor Steuern einen Vorteil, dann wird er in jedem Fall auch aus steuerlicher Sicht Inhaber der Wertpapiere.Die Praxis sieht sich vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Denn der Begriff Gesamtschau eröffnet Spielräume. Auch der Joker – der Ausweg im Falle einer “positiven Vorsteuerrendite” – ist nicht ohne Interpretationsspielraum. Es kommt erschwerend hinzu, dass das Schreiben alle Arten von Wertpapiergeschäften betrifft, die zur Hin- und Herübertragung von Aktien führen. Fragen vermischtDer I. Senat vermischte in seinem Urteil die Frage nach dem Vorliegen eines Missbrauchs steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten mit der Frage der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums. Beide sind unterschiedlich zu beurteilen. Richtigerweise sollte das BMF das Urteil des I. Senats nicht anwenden. Besser wäre es, wenn sich das BMF die Entscheidung des Großen Senats vor Augen führte. Damit fuhren Praxis und Steuerverwaltung viele Jahrzehnte gut.Das gilt auch mit Blick auf Cum-cum-Geschäfte. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass auch der Aktionär, der Aktien nur kurzfristig erwirbt und geliefert erhält und damit Verluste erleidet, rechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer wird – auch wenn dieser Erwerb über den Dividendenstichtag erfolgt. Und warum den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Entleiher einer Aktie mit dem Argument verneinen, dass dieser keine Kurschancen und -risiken trage und keine Stimmrechte ausüben wolle? Es ist Grundlage einer Wertpapierleihe, dass der Entleiher bei Fälligkeit gattungsgleiche Aktien zurückzuliefern hat und der Entleiher eben keinerlei Kursrisiken trägt.Von 1980 bis 1993 waren diese Geschäfte ausdrücklich erlaubt, solange sie über die Börse abgewickelt wurden. Damals war der Steuereffekt weit höher als heute. Neben Quellensteuer erstattete der Fiskus auch Körperschaftsteuer. Es kann dem Gesetzgeber schwerlich vorgeworfen werden, er habe damals Steuertricksereien gutgeheißen. Mit StrafsteuerSeit 2016 verhindert der Gesetzgeber Cum-cum-Geschäfte dadurch, dass er den inländischen Aktionär mit einer Strafsteuer auf die Dividende belegt, wenn die Aktie nicht mindestens 45 Tage lang um den Dividendenstichtag gehalten wurde. Es handelt sich dabei aber um eine komplizierte Regelung, die alle Aktionäre trifft. Die Neuregelung kuriert mehr schlecht als recht das Cum-cum-Symptom, ohne die Ursache zu bekämpfen. Der Grund für Cum-cum ist der Umstand, dass Ausländer Dividendenausgleichszahlungen steuerfrei erhalten, während sie Dividenden versteuern müssen. Kein Wunder, dass Ausländer Ausgleichszahlungen bevorzugen.Wer eine Steuerlücke nutzt, treibt nicht notwendigerweise Missbrauch. Der Gesetzgeber sollte sich an die eigene Nase fassen und sich fragen, was ihn seit vielen Jahrzehnten davon abhält, Ausländer mit ihren Ausgleichszahlungen zu besteuern. Wirtschaftlich sind Ausgleichszahlungen Dividenden. Es bleibt das Geheimnis des Gesetzgebers, warum das eine besteuert wird, das andere nicht. Besser als Cum-cum zu verteufeln, die ganze Systematik des steuerlichen Eigentums umzuschreiben und das Steuerrecht mit speziellen Missbrauchsregeln zu überfrachten, wäre es, wenn der Gesetzgeber einfach die Lücke schließen würde und sie bis zur Schließung – auch wenn dies im Nachhinein als unbefriedigend empfunden wird – akzeptiert.—-*) Dr. Hubert Schmid ist Of Counsel, Dr. Felix Mühlhäuser Partner bei Clifford Chance in Frankfurt.