IM INTERVIEW: BERND HIRSCH

Bertelsmann saugt sich mit Liquidität voll

Finanzchef: Im April gab es regelrechten Run auf die Kreditlinien - Rigides Forderungsmanagement entlastet Working Capital spürbar

Bertelsmann saugt sich mit Liquidität voll

Herr Hirsch, Bertelsmann hat auf die Krise mit einem massiven Liquiditätsaufbau reagiert. Zum 30. Juni weisen Sie eine Cash-Position von 4,8 Mrd. Euro aus nach 1,6 Mrd. Euro im Vorjahreszeitraum. Welche Maßnahmen haben Sie zur Liquiditätssicherung getroffen?Die 4,8 Mrd. Euro dürften ein Rekordwert sein. Wir haben sehr früh und stringent auf die Corona-Pandemie reagiert. Der eine Teil betraf den Schutz der Mitarbeiter, der zweite Fokusbereich lag auf der Sicherung der Liquidität. Wir haben als eines der ersten Unternehmen in Deutschland die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts mit der Emission einer 750 Mill. Euro schweren Anleihe getestet. Darauf sind wir schon ein bisschen stolz. Geholfen hat auch, dass wir trotz Corona den Verkauf von 60 % unseres Risikomanagementgeschäfts von Arvato Financial Solutions abgeschlossen haben. Das hat uns einen Gewinn von 250 Mill. Euro beschert. Staatlichen Hilfen brauchten wir keine und unsere wirtschaftliche Verschuldung konnten wir auch noch senken. Zur Liquiditätssicherung gehörte auch, dass sie ihre Back-up-Kreditlinie vollständig gezogen haben. Spricht man mit Bankern, ist das eine Maßnahme, die Unternehmen tunlichst zu vermeiden suchen. Warum haben Sie es trotzdem gemacht?Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft. Es gab im April einen regelrechten Run auf die Linien. Wir haben die Linie sehr frühzeitig gezogen. Es ist aber auch ein bisschen absurd, wenn Banken das so kommentieren, weil man ja auch Bereitstellungsgebühren bezahlt, um für den Fall einer drohenden Liquiditätsklemme vorbereitet zu sein. Im Übrigen haben wir unsere Linie schon wieder zur Hälfte zurückgeführt. Es ist eine Notfallreserve und wenn das keine Notsituation war, dann fehlt mir die Fantasie, wann man die Linie überhaupt ziehen sollte. Aber Sie kennen entsprechende Einwände?Ja, das sei den Bankern auch gestattet. Aber aus Unternehmenssicht war es zu der Zeit angemessen und angebracht, sich mit Maximalliquidität zu versorgen. Wir fahren das jetzt wieder zurück. Inwieweit hat die Ratingherabstufung von Moody’s im Mai – von “Baa1” auf “Baa2” mit stabilem Ausblick – die Liquiditätssicherung beeinträchtigt?Wir führen bis heute intensive Gespräche mit den Ratingagenturen, gerade auch über unsere Gegenmaßnahmen. Stark beeinflusst hat es die Refinanzierung aber nicht. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und mit den beiden Bonds im Gesamtvolumen von 1,5 Mrd. Euro alle Fälligkeiten in 2020 und 2021 zu vernünftigen Konditionen vorfinanziert. Moody’s hat die Herabstufung auch damit begründet, dass es im TV-Geschäft strukturelle Herausforderungen gibt. Wie passt das mit dem Vorhaben zusammen, dass Bertelsmann die Beteiligung an RTL wieder aufstockt?Die Aufstockung passierte vor Corona, aber die Grundphilosophie dahinter ist unverändert. Wir glauben an die Zukunft des TV-Geschäfts und glauben auch, dass wir in der Lage sind unsere TV-Geschäfte zu transformieren. Das kann man auch daran sehen, dass die Zahl der zahlenden Nutzer auf unserer Streamingplattform in Deutschland und den Niederlanden um 45 % auf fast 1,8 Millionen Zuschauer gestiegen ist. Sie sagen, mehr als 60 % des Umsatzausfalls über Kostensenkungsmaßnahmen kompensiert zu haben. Können Sie das bitte erläutern?Wir haben die Kosten deutlich reduziert, ohne wichtige Investitionen zu kürzen. Es handelte sich um ein ganzes Maßnahmenbündel. Ganz vorn standen natürlich offensichtliche Kostenkürzungen beispielsweise bei den Reisekosten. Aber auch weitere Kostenpositionen haben wir sukzessive und stringent zurückgeführt. Die zweite Maßnahme betraf das Working Capital. In der Hochphase haben wir unser Working Capital um mehr als 400 Mill. Euro reduziert, dabei aber alle unsere Verpflichtungen erfüllt. Wie fährt man das Working Capital von jetzt auf gleich um 400 Mill. Euro zurück?Das macht man mit einem stringenten Forderungsmanagement. Wir hatten das zuvor eher großzügig gehandhabt. Wenn Geschäfte wachsen, kann man tolerieren, wenn ein Kunde auch einmal vier Wochen später bezahlt. Das haben wir in der Hochphase im März/April zurückgedreht. Der Fokus lag auf der Reduzierung der Außenstände. Die Befürchtung, dass massive Forderungsausfälle auf uns zukommen, hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Bis heute hatten wir de facto so gut wie keine Forderungsausfälle. Das bereinigte operative Ergebnis vor Abschreibungen ist im ersten Halbjahr um 22 % eingebrochen. Laut Zwischenbericht erwarten Sie im Gesamtjahr ein “stark rückläufiges Operating Ebitda”. Lässt sich das erste Halbjahr hochrechnen?Nein. Wir schauen uns die Zeit vor Corona, also bis Mitte März, und die Zeit danach an. Wir sind gut in das Jahr gestartet. Der April war der schlimmste Monat mit einem Umsatzrückgang um 20 %. Im Juli waren wir im Umsatz nur noch ganz knapp unter Vorjahr. Insofern kann man sicher nicht hochrechnen. Bei den werbefinanzierten Geschäften sind wir mit dem Ausblick noch etwas vorsichtig, weil das vierte Quartal in diesen Geschäften das entscheidende ist. Für die restlichen Geschäfte sind wir sehr zuversichtlich, das Vorjahresniveau bei Umsatz und operativen Ergebnis zu erreichen. Das Interview führte Annette Becker.