RECHT UND KAPITALMARKT

BGH erweitert Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes

Opt-in für alle Arten von Altanleihen möglich, die deutschem Recht unterliegen

BGH erweitert Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes

Von Ulrike Binder und Jan Kraayvanger *)Der Bundesgerichtshof (BGH) hat unlängst grundlegende Rechtsfragen zu dem 2009 erlassenen Schuldverschreibungsgesetz geklärt (BGH, Urteil v. 1.7.2014, Az. II ZR 381/13). Die Richter entschieden, dass das Gesetz im Wege des sogenannten Opt-in auf Altanleihen aller Art angewandt werden kann, die deutschem Recht unterliegen. Damit steht für derartige Bonds der Weg zur Restrukturierung offen. Das OLG Frankfurt hatte dies zuvor anders gesehen, so dass das Opt-in jahrelang als sehr eingeschränkt nutzbar galt.Das Schuldverschreibungsgesetz war nach langem Gesetzgebungsprozess im August 2009 in Kraft getreten. Es sollte Mängel des Vorgängergesetzes von 1899 beheben, die dessen praktische Anwendbarkeit stark einschränkten, und die Restrukturierung von Schuldverschreibungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger umfassend ermöglichen. Damit sollte auch deutsches Recht für Anleihen wieder attraktiv werden. Drei UnterschiedeDas neue Gesetz unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten von seinem Vorgänger. Erstens hat es einen weiten Anwendungsbereich. Es gilt für alle Arten von Schuldverschreibungen, die deutschem Recht unterliegen, also auch für Genussrechte, Wandelanleihen und Derivate. Das Gesetz erfasst zudem auch über ausländische Finanzierungstöchter begebene Anleihen, was in der Praxis häufig ist. Zweitens ermöglicht das Schuldverschreibungsgesetz die Anpassung der Anleihebedingungen nicht nur zur Abwendung der Insolvenz, wenn auch Sanierungsfälle die häufigste Anwendung sein dürften. Drittens eröffnet das Gesetz eine breite Palette von Sanierungsmaßnahmen, wozu auch die Herabsetzung der Hauptforderung gehört. Diese Restrukturierungsmöglichkeiten wollte der Gesetzgeber nicht nur für neue Anleihen schaffen, sondern auch für Anleihen, die bei Inkrafttreten des Schuldverschreibungsgesetzes bereits im Umlauf waren. Deshalb sieht das Schuldverschreibungsgesetz das Opt-in vor, mit dem die Gläubiger mit Zustimmung des Emittenten die Anwendung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes auf ihre Altanleihen beschließen können. Opt-in verweigertVor drei Jahren versuchten Pfleiderer und Q-Cells, vom Opt-in Gebrauch zu machen. LG und OLG Frankfurt verwehrten dies jedoch mit der Auffassung, dass das Opt-in nur möglich sei, wenn die Altanleihen nach dem Schuldverschreibungsgesetz von 1899 dem Mehrheitsentscheid zugänglich waren. Das war für Anleihen ausländischer Emittenten aber nicht der Fall. Für besondere Anleiheformen wie Genussrechte war es nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt zweifelhaft.Beide Gerichte begründeten ihre Auffassung im Wesentlichen mit dem Vertrauensschutz der Altgläubiger und dem Rückwirkungsverbot. Eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen sei Gläubigern nur zumutbar, wenn sie von vornherein damit rechnen mussten.Diese Rechtsprechung der Frankfurter Gerichte stieß in der Praxis überwiegend auf Kritik. Im Juli 2014 entschied der BGH, dass der Anwendungsbereich des Opt-in ebenso weit ist wie der Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes selbst. Für alle Arten von Altanleihen, die deutschem Recht unterliegen und die vom weiten Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes erfasst sind, kann das Opt-in beschlossen werden.Dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers, allen Gläubigern die Sanierungsmöglichkeiten des neuen Schuldverschreibungsgesetzes zu eröffnen. Einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sah der BGH hierin nicht. Der Gesetzgeber war vielmehr befugt, die Gläubigergesamtheit zu stärken und ihre Rechte über das Blockadeinteresse einzelner Gläubiger zu stellen. Auf der Grundlage der BGH-Entscheidung können Emittenten und Gläubiger von Altanleihen Restrukturierungen angehen, die sie bisher vor dem Hintergrund der unsicheren Rechtslage unterlassen haben.Darüber hinaus hat der BGH in seinem Urteil praxisrelevante Aussagen zur Gleichbehandlung von Gläubigern und zur Nichtigkeit von Gläubigerbeschlüssen getroffen. Nach dem streitgegenständlichen Gläubigerbeschluss wurden Gläubiger, die für die Restrukturierung gestimmt hatten, anders behandelt als Gläubiger, die dagegen gestimmt hatten. Hierin sah der BGH einen Verstoß gegen das im Schuldverschreibungsgesetz geregelte Gleichbehandlungsgebot. Warten auf RechtsprechungEin Mehrheitsbeschluss, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, ist unwirksam. Der BGH hielt deshalb den Beschluss für nichtig, unabhängig davon, ob er von Gläubigern wirksam angefochten wurde. Ob und unter welchen Voraussetzungen Gläubigerbeschlüsse auch sonst nichtig sein können, ohne dass es der Anfechtung bedarf, hat der BGH offengelassen. Zu dieser Problematik ebenso wie zu zahlreichen weiteren offenen Fragen des Schuldverschreibungsgesetzes darf man gespannt auf weitere Entwicklungen in der Rechtsprechung sein.—-*) Dr. Ulrike Binder und Dr. Jan Kraayvanger sind Partner bei Mayer Brown.