RECHT UND KAPITALMARKT

BGH verblüfft mit Entscheid zur Globalverbriefung

Pflicht zum Stückedruck? - Jetzt ist gesetzgeberisches Handeln gefragt

BGH verblüfft mit Entscheid zur Globalverbriefung

Von Berthold Kusserow *)Der VII. Zivilsenat des BGH hat sich unlängst mit der Globalverbriefung zentralverwahrter Wertpapiere befasst (Beschluss vom 7. April 2016, VII ZB 14/15) und alle im Wertpapiergeschäft Tätigen durch eine “historische” Auslegung verblüfft. In dem entschiedenen Fall wollte ein Anleihegläubiger ein gegen den Emittenten erstrittenes Urteil vollstrecken. Dies wurde ihm versagt, weil er entgegen § 797 BGB (Zahlung gegen Rückgabe der Schuldverschreibung) die Originalschuldverschreibung nicht vorlegen konnte, sondern entsprechend gängiger Praxis lediglich einen Depotauszug. Die Entscheidung entspricht dem Gesetzeswortlaut und wäre bis in die 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Ordnung gegangen. Dramatischer WandelSeit damals hat sich die Wertpapierverwahrtechnik jedoch dramatisch verändert, nicht aber der Wortlaut des § 797 BGB. Während zunächst bei den Kassenvereinen (heute: Clearstream Banking AG) in Einzelurkunden verbriefte Schuldverschreibungen eingeliefert wurden, bildete sich aus Rationalisierungsgründen schnell folgende Praxis heraus: Ein Großteil der Emission wurde in einer Sammelurkunde verbrieft, und lediglich in Höhe der zu erwartenden Auslieferungsbegehren wurden Einzelurkunden gedruckt und eingeliefert. Bis dahin hätte § 797 BGB funktioniert, da nach dem Depotgesetz eine Einzelurkunde hätte ausgeliefert werden können. Die Rationalisierung schritt jedoch weiter voran: Unter völligem Verzicht auf eine Einzelverbriefung wurde die Dauerglobalschuldverschreibung geschaffen, deren Bedingungen den kostspieligen Druck und die Lieferung von einzelverbrieften Schuldverschreibungen ausschlossen (“Immobilisierung”). Jetzt konnte § 797 BGB (Zahlung gegen Rückgabe der Schuldverschreibung) nicht mehr funktionieren. Um dem abzuhelfen, ließ man in den Anleihebedingungen meist die Vorlage einer Depotbescheinigung ausreichen, was heute gängige Praxis ist, der der BGH offenbar nun die Anerkennung versagt.Auch bei der Immobilisierung blieb die Entwicklung aber nicht stehen: Die großen Clearingsysteme Euroclear und Clearstream Luxemburg schufen die New Global Note. Bei dieser wird die zunächst erstellte Dauerglobalurkunde nach der Authentifizierung und der Einbuchung der Wertpapiere ins System vernichtet. Es existieren nur noch elektronische Buchungen und nichts mehr, was nach § 797 BGB vorgelegt werden könnte. Noch einen Schritt weiter sind zahlreiche europäische Länder gegangen (z. B. die nordischen Länder, Frankreich, die Schweiz), die eine Verbriefung schlichtweg abgeschafft haben (“Dematerialisierung”). Nach europäischem Recht sind auch diese Verwahrsysteme für deutsch-rechtliche Anleihen prinzipiell offen. Auch in diesen Systemen gibt es nichts mehr, was nach § 797 BGB vorgelegt werden könnte. Verwahrung contra RealitätDie heutige Wertpapierverwahrtechnik hat sich also dramatisch von der Lebenswirklichkeit wegentwickelt, die zur Zeit der Schaffung des § 797 BGB galt. Es gibt kaum ein Rechtsgebiet, bei dem Recht und Wirklichkeit weiter auseinanderklaffen. Es liegt eine eklatante und für Anleihegläubiger hochriskante Regelungslücke vor, der sich der Gesetzgeber bislang nicht angenommen hat. Diese im Laufe der Zeit entstandene Regelungslücke hätte durch eine sogenannte richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden können. Dieses Instrumentariums hat sich die Rechtsprechung in der Vergangenheit häufig bedient. Warum wurde auf dessen Anwendung hier verzichtet und eine am Wortlaut klebende Lösung gewählt, die besser in die Lebenswirklichkeit des frühen 20. Jahrhunderts passt, obwohl bei einer Dauerglobalurkunde der Inhaberschaftsnachweis nur noch durch Vorlage eines Depotauszugs geführt werden kann? Risiko für Anleger untragbarGerade vor dem Hintergrund der voranschreitenden Wertpapierdematerialisierung darf dies im Interesse der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Rechts nicht die Antwort sein: Das Rechtsrisiko der Zahlungsverweigerung mangels Vorlage der Originalurkunde ist für keinen Anleger tragbar. Umgekehrt wäre eine Pflicht zum Stückedruck – was letztlich die Konsequenz der BGH-Entscheidung ist – ein nicht hinnehmbarer Wettbewerbsnachteil des deutschen Wertpapier- und Verwahrrechts. Um weiteren Schaden abzuwenden, ist nun der Gesetzgeber gefragt, der sich dieser Thematik z. B. im Rahmen der überfälligen Überarbeitung des Schuldverschreibungsgesetzes annehmen könnte.Rationalisierung, Immobilisierung und Dematerialisierung haben im Wertpapierrecht auch sonstige unbeabsichtigte Nebenwirkungen, wie das kürzlich ergangene Urteil des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. März 2016, XI ZR 336/15) zur Verjährung von in einer Dauerglobalurkunde mitverbrieften Zinsansprüchen belegt, in dem der BGH die Anwendung der wertpapierrechtlichen Sonderverjährung mangels existierender Zinsscheine zugunsten allgemeiner Verjährungsvorschriften ablehnt. Auch hier tut sich ein Abgrund auf, der nur durch gesetzgeberisches Handeln geschlossen werden kann.—-*) Dr. Berthold Kusserow ist Anwalt bei Berwin Leighton Paisner.