WENN KAPITAL WIEDER KOSTET

Bilanzen im Belastungstest

Steigende Verpflichtungen in der Altersvorsorge lösen Anpassungen aus - Mittelstand geht eigene Wege

Bilanzen im Belastungstest

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtViele Industrieunternehmen haben von der Niedrigzinsphase profitiert. Die konjunkturelle Belebung sorgte für steigende Erträge, günstige Finanzierungskonditionen schafften Spielraum für Akquisitionen und Investitionen. Bilanziell sah sich mancher Konzern gleichwohl mit einem Belastungstest konfrontiert. Strapaziert wurden die Zahlenwerke vor allem durch höhere Buchwerte für Pensionszusagen.Einige Konzerne konnten sich aber auch über positive Bilanzeffekte freuen, denn das Szenario unterstützt die Werthaltigkeit von Goodwill. So hat der niedrige Zins in Fällen geholfen, in denen sich eine Übernahme im Nachhinein als Fehleinkauf entpuppt. “Wenn der Zins steigt, können solche Dinge wieder akut werden”, mahnt Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW). Die Zinswende könnte also Wertberichtigungen auslösen. Schleichender ProzessWährend sich die Goodwill-Entlastung im Verborgenen abspielte, sind die Probleme in der betrieblichen Altersvorsorge offen zutage getreten. Die Buchwerte der Verpflichtungen und der Versorgungsaufwand sind deutlich gestiegen, wobei es gleichzeitig erheblich schwieriger wurde, in der Kapitalanlage ausreichende Renditen zu erzielen. In dieser Zwickmühle haben zahlreiche Unternehmen ihre Systeme umgestellt und sind gleichzeitig in Anlagen mit höheren Risiken gegangen, um Deckungslücken zu schließen.Der Trend zur Anpassung der traditionell auf eine direkte Leistungszusage ausgerichteten Modelle hat aber bereits vor der Finanzkrise eingesetzt. Mitte der 90er Jahre begannen die ersten großen Konzerne, die betriebliche Altersversorgung auf beitragsorientierte Zusagen, externe Finanzierung und Kapitalmarktorientierung umzustellen. Den Mitarbeitern wurde mit Blick auf die implizite Rendite immer öfter kein fester Zins mehr zugesagt, sondern ein vom Ertrag der Finanzanlage abhängiger, erklärt Thomas Jasper, Pensionsexperte des Beratungsunternehmens Willis Towers Watson. Mit diesem Wechsel hätten sich die Konzerne teilweise gegen die Niedrigzinsphase immunisieren können. “Die Unternehmen haben viel getan, um sich auf der Passivseite der Bilanz unabhängig vom Zinsumfeld aufzustellen”, unterstreicht Jasper.Der Übergang zu einer kapitalmarktorientierten Altersvorsorge hat eine externe Finanzierung der Pensionsverpflichtungen begünstigt. Das sogenannte Planvermögen, das zur Abdeckung von Versorgungsansprüchen gebildet wird, hat sich nach den Worten von Jasper seit 2008 verdoppelt. Zahlreiche Unternehmen haben sich für ein Treuhandmodell – Contractual Trust Arrangement (CTA) – entschieden, um Pensionsverpflichtungen aus der Bilanz auszugliedern. In diesem Konstrukt ist die Kapitalanlage weniger reguliert als in einer Pensionskasse, so dass stärker diversifiziert werden kann. Alternative Assetklassen haben insgesamt mehr Aufmerksamkeit gefunden. Angesichts unbefriedigender Anleihe-Kupons wurde verstärkt in Infrastruktur, Immobilien oder auch Hedgefonds investiert.Für Jasper gibt es keine gute oder schlechte Ausfinanzierungspolitik. Die optimale Strategie hänge davon ab, in welcher Situation sich das Unternehmen befindet und welchen Zugang zum Kapitalmarkt es hat. Nicht börsennotierte Gesellschaften seien oft eher vorsichtig, Pensionsvermögen explizit und unwiderruflich zu binden. Sie halten daran fest, die künftige Mitarbeiterpension aus dem laufenden Ertrag bzw. bilanziellem Vermögen zu tragen. Damit bleiben sie in der Finanzierung flexibel, falls ihnen beispielsweise ein attraktives Akquisitionsziel in den Blick gerät. Im Mittelstand haben nach einer Analyse von Willis Towers Watson nur 45 % der Unternehmen Vermögen zur Deckung der Versorgungsverpflichtung reserviert. Im Dax 30 gibt es in fast allen Konzernen ein spezifisches Pensionsvermögen – mit hoher Bandbreite. So erreicht der Ausfinanzierungsgrad der Deutschen Bank nahezu 100 %, während Vonovia bei 4 % liegt, der Durchschnitt lag zuletzt (2016) bei 63 %.Berater gehen davon aus, dass auch nach einer Zinswende die künftigen Kapitalerträge in den klassischen Anlageklassen insgesamt erstmal eher niedrig und volatil bleiben. Das Portfolio einer Pensionseinrichtung wird also weiterhin breit diversifiziert bleiben.Mit steigenden Zinsen würden die Buchwerte der Pensionsverpflichtungen sinken. Was auf der Aktivseite passiert, hängt von der Struktur des Planvermögens ab. Wenn ein Unternehmen kongruent zur Struktur der Verpflichtungen ausfinanziert hat, ist der Effekt der Zinswende neutral, erklärt Jasper. Wenn ein Unternehmen dagegen im Pensionsvermögen überwiegend von Zinsen unabhängige Assetklassen hat, wird es eine Entlastung geben. Sparziele in weiter FerneFür Jasper darf man das Thema nicht nur von der Unternehmensseite betrachten. Der Pensionsexperte weist darauf hin, dass eine Zinswende für die Mitarbeiter gravierende Bedeutung hat. Denn im Vergleich zum Jahr 2000 habe sich der Einsatz für die Finanzierung einer bestimmten Altersrente bzw. zum Erreichen eines Sparziels verdreifacht. Ein Anstieg des Zinsniveaus würde also dazu führen, dass die Versorgungslücke der Beschäftigten nicht weiter aufgeht.