Optimieren in der Krise

Bond statt Bank

Konzerne nutzen Topkonditionen am Markt - Finanzierung günstig wie nie - Boom am Mittelstandsmarkt - Schuldscheine florieren - Renaissance von Wandelanleihen

Bond statt Bank

Von Walther Becker, FrankfurtKonjunktureintrübung? Zitterpartie ums Fiscal Cliff? Europas Schulden? In der Finanzkrise ist Finanzierung für Unternehmen kein Krisenthema. Das mag sich partiell im neuen Jahr ändern, wenn es konjunkturell schwieriger wird, doch kaum prinzipiell. 2013 dürfte, da viele institutionelle Investoren den Zug zur Aktie versäumten, die Eigenkapitalfinanzierung wieder leichter werden – hier agierten die Unternehmen 2012 sehr vorsichtig, es gab keine große Bezugsrechtsemission. Die steigende Popularität von Wandelanleihen, also vorgezogenen Kapitalerhöhungen, zeigt in die Richtung, ob die 2,5 Mrd. Euro schwere Zwangswandelanleihe von VW oder der Convertible der Deutschen Post zur Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen. Fifty-fiftyEin Trend ist ungeachtet temporärer Imponderabilien ungebrochen: weg von Bankenfinanzierung, hin zu Anleihen. Herrschte noch vor wenigen Jahren ein Verhältnis von 80 zu 20, so geht es stracks in Richtung fifty-fifty – wie in Amerika. Der Kapitalmarkt gewinnt für große Unternehmen mit Investment-Grade-Rating an Bedeutung, aber auch für schuldenfinanzierte Übernahmen und kleinere Gesellschaften.Letztere haben mit Blick auf Privatanleger einen regelrechten Hype für Mittelstandsanleihen ausgelöst. Über 30 Emissionen spielten 2012 mehr als 1 Mrd. Euro ein. Die Kupons stiegen und die Covenants (Kreditklauseln) sollten strenger werden, nachdem einigen Emittenten die Puste ausgegangen ist.Daneben floriert der Schuldscheinmarkt und, nicht zu vergessen, die nach wie vor wichtige Säule Kreditversorgung seitens der Banken. Sie ist – ungeachtet aller Unkenrufe und Basel III – auf historisches Allzeithoch geklettert, wie das Analysehaus Capmarcon berichtet. Die Cash-flows sprudeln, die Dax-Werte (ohne Finanzinstitute) steigerten die Mittelzuflüsse allein im dritten Quartal laut Ernst & Young um 44 % auf 35,6 Mrd. Euro.Insbesondere Konzerne haben sich derart mit Fremdmitteln am Kapitalmarkt vollgesogen, dass schon aufgrund dieser “Bodensatzfinanzierung” zu attraktiven Kupons für 2013 ein Rückgang zu erwarten ist. Die Staatsschuldenkrise hat im Jahresverlauf an Schrecken verloren seit Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), angekündigt hat, unter bestimmten Voraussetzungen kurzlaufende Anleihen aus den Peripherie-Staaten zu kaufen und das Bundesverfassungsgericht den Rettungsfonds gebilligt hat. Nach Einschätzung von Roman Schmidt, der bei der Commerzbank Corporate Finance verantwortet, ist auch 2013 Renditejagd der Investoren angesagt. Galten früher Staatsanleihen als eine Art risikoloser Zins, werden sie heute eher als zinsloses Risiko bewertet – das lässt Investoren zu Unternehmensanleihen greifen. Allerdings erwarten die Investmentbanker von BoA im neuen Jahr einen Volumenrückgang um 15 %. Für den gesamten Euroraum rechnet Martin Wagenknecht, der bei Société Générale in Frankfurt das Fremdfinanzierungsgeschäft von Unternehmen leitet, mit einer Reduktion um ein Drittel auf 130 Mrd. Euro (Investment Grade). Auch Matthias Minor, der bei Royal Bank of Scotland (RBS) das Debt-Capital-Market-Geschäft für den deutschsprachigen Raum verantwortet, macht “dunkle Wolken” aus, “die die Party beeinflussen können”. Unternehmen müssten nicht mit steigenden Zinsen rechnen, sich aber angesichts der sich eintrübenden Konjunktur auf höhere Risikoaufschläge einstellen: “Die Spreads preisen die wirtschaftliche Abschwächung noch nicht ein.” Risikofaktoren seien eine Reduktion der Zentralbankliquidität, Refinanzierungskrisen einzelner Volkswirtschaften und der ökonomische Abschwung.Die Durchschnittsrendite für Unternehmensanleihen (Investment Grade) schnurrte auf 1,8 % – ein absoluter Tiefpunkt. Da spricht Rolf Schäffer, Leiter Credit Strategy der LBBW, von “einer fast blasenmäßigen Bewertung”.Das Volumen deutscher Emittenten am Bondmarkt wurde 2012 laut RBS-Experte Minor nahezu verdoppelt: 69,8 Mrd. Euro haben Unternehmen mit Rating im Investment Grade in gut 200 Anleihen eingesammelt. Die Fälligkeiten machten 44 Mrd. Euro aus. Die Konditionen sind derart günstig, dass es sich für Unternehmen lohnt, auch ohne akuten Finanzierungsbedarf ein Liquiditätspolster aufzubauen. 2013 stehen 48 Mrd. an, 2014 dann 49 Mrd. Euro. Siemens zahlte die niedrigsten Zinsen, die sich ein Unternehmen für entsprechende Laufzeiten in Euro und Pfund sicherte. Die Münchner finanzieren damit ihr Aktienrückkaufprogramm. Musste Daimler Anfang 2009 für eine fünfjährige Anleihe über 2 Mrd. Euro 7,875 % bieten, schrieben sie jüngst 1,75 % im Kupon bei einer Laufzeit bis 2020 und 750 Mill. Euro.Vor deutschen Emittenten ist über Euro (58 %), Dollar (20 %) oder Sterling (10 %) hinaus kaum eine Währung mehr sicher. BMW zapfte den indischen Rupienmarkt an, andere gingen in den koreanischen Won oder Thailands Baht. VW pumpte sich gerade 1 Mrd. Renminbi – die Verbreiterung der Investorenbasis in China schreiben sich immer mehr Unternehmen auf die Fahnen. Günstige AlternativeAuch Schuldscheindarlehen sind dieses Jahr ein Renner. Für solide Unternehmen ist dieses Finanzierungsinstrument eine günstige Alternative zur Anleihe. Laut Paul Kuhn, Leiter Debt Capital Markets Origination Corporates der BayernLB, ist das Jahr mit etwa 100 Transaktionen und 12,5 Mrd. Euro platziertem Volumen “überaus erfolgreich”. Für 2013 erwartet er einen “intensiven, doch im Volumen – etwa 10 Mrd. bis 12 Mrd. Euro – etwas schwächeren Verlauf”.Dank starker Innenfinanzierung der Unternehmen blieben die Bilanzstrukturen alles in allem stabil. Kreditinstitute haben der Realwirtschaft laut Capmarcon bis Ende September 28,5 Mrd. Euro mehr Mittel zur Verfügung gestellt als Ende 2011.Florierender Fremdfinanzierung stehen verhaltene Eigenkapitalmärkte gegenüber. Doch das soll sich ändern. Ralf Darpe, Co-Leiter Corporate Finance von Société Générale in Frankfurt, ist optimistisch für 2013. Die Tür für Börsengänge stehe offen, die Volatilität sei mit einem VDax unter 25 % niedrig. Er rechnet 2013 mit einem IPO-Volumen von etwa 20 Mrd. Euro in Europa. Hierzulande könnten große Brocken von Private Equity kommen.Mit Blick auf starke Bilanzen und hohe Cash-Bestände stellt sich Unternehmen zunehmend die Frage: Was tun mit dem Geld? Investitionen zur Zukunftssicherung werden mit Blick auf Sicherheit und Liquidität vernachlässigt. KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner warnt daher vor einem Rückgang der Unternehmensinvestitionen, in Ausrüstungen wird seit vier Quartalen weniger als zuvor gesteckt. BoA sieht das Verhältnis von Vermögenswerten zu Capex in Europa auf einem 20-Jahres-Tief.Und M & A? Bei Fusionen und Übernahmen halten sich deutsche Unternehmen merklich zurück. Kein Wunder, nach Beobachtungen von Alexander Roos, der bei Boston Consulting die globale M & A-Beratung leitet, haben seit Beginn der Finanzkrise weniger als die Hälfte der Transaktionen zu positiver Wertentwicklung geführt. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste angesichts vielfach mangelnder Visibilität im operativen Geschäft.Unternehmen müssen bei so viel Cash auf der Bilanz aufpassen, dass ihnen renditehungrige Investoren nicht Kapitalvernichtung vorwerfen. “Einige Unternehmen werden sich über die Nutzung ihrer starken Bilanz Gedanken machen müssen. Investoren, die diese in der Krise noch bejubelten, stellen jetzt schon Fragen nach dem richtigen Einsatz des zur Verfügung stehenden Kapitals”, sagt Ken Oliver Fritz, der bei Credit Suisse das Investment Banking in Deutschland und Österreich leitet. Das gelte auch für zahlreiche MDax-Unternehmen, wo hohe Beträge in den Bilanzen gehortet würden. Der alleinige Verweis des Managements auf Sicherheit genüge Investoren immer weniger. Wer Kriegskasse vorhalte, von dem werde verlangt, dass er die Munition irgendwann nutze.So bleiben Aktienrückkauf und Dividende. Noch scheinen Eigner zufrieden mit den Ausschüttungen. Ob dies aber so bleibt? Wer nicht deutlich mehr zahlt oder Aktienrückkäufe zumindest ankündigt, muss Investoren mit einer ordentlichen “Story” gegenübertreten, sonst sieht er sich wachsendem Widerstand gegenüber. Immerhin: Für 2012 wird im Dax eine Ausschüttungssumme über 28 Mrd. Euro erwartet, womit der Rekord 2007 geschlagen würde.