Börse beklatscht Braunkohle-Beihilfe

Versorger erhalten 1,6 Mrd. Euro - EU muss Kraftwerksreserve noch billigen - Stellenabbau bei RWE

Börse beklatscht Braunkohle-Beihilfe

Von Ulli Gericke, Berlin, und Andreas Heitker, DüsseldorfDie Börse bedankt sich bei den Stromkunden: mit deren Geld, genauer. Mit einem Zuschlag von 0,05 Cent je Kilowattstunde auf die im Strompreis enthaltenen Netzentgelte werden alte, abgeschriebene Braunkohlekraftwerke für jeweils vier Jahre zur Notreserve erklärt und anschließend vom Netz genommen. Die beteiligten Braunkohleverstromer RWE, Mibrag und Vattenfall erhalten dafür etwa 230 Mill. Euro jährlich. Nachdem diese Einigung zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und den drei Versorgern am Wochenende unterzeichnet worden war, notierte die RWE-Aktie zum Wochenauftakt an der Dax-Spitze mit einem Plus von zeitweise knapp 3 %.Die Chefs der Braunkohlekonzerne scheinen also – zumindest aus Börsianersicht – erfolgreich gepokert zu haben. Vor gut einem halben Jahr hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eine als Klimaabgabe bezeichnete Extrabelastung für die klimaschädlichen Braunkohlemeiler vorgeschlagen, um das Koalitionsziel zu erreichen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 % im Vergleich zu 1990 zu verringern. Nach heftigem Widerstand der Konzerne, der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie, aber auch der betroffenen Bundesländer – von denen einige SPD-geführt sind – war Gabriel aber beigedreht.Die nun festgezurrte Einigung sieht vor, dass ab Herbst 2016 in vier Jahresscheiben 2,7 Gigawatt (GW) Braunkohleleistung in die Reserve überführt werden. Dort stehen die Kraftwerke dann vier Jahre lang als letzte Absicherung für stromarme Zeiten zur Verfügung, bis sie endgültig vom Netz genommen werden. Damit wird der Strukturwandel in den rheinischen und Lausitzer Braunkohleregionen gestreckt und trotzdem nennenswerte Mengen des klimaschädlichen CO2 vermieden.Die Entschädigungszahlungen summieren sich auf insgesamt 1,6 Mrd. Euro. Ob diese Zahlungen allerdings mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sind, ist noch immer strittig. Eine Einigung mit der Europäischen Kommission gibt es noch nicht. Das Wirtschaftsministerium verwies allerdings auf “intensive Abstimmungsgespräche” mit Brüssel und zeigte sich nach diesen zuversichtlich, dass die Gelder nicht als illegale Beihilfen blockiert werden.Gut die Hälfte der Braunkohlereserve wird von RWE bestückt. Der Essener Dax-Konzern beteiligt sich mit fünf Blöcken der 300-Megawatt-Klasse und damit mit insgesamt 1,5 GW, die im Oktober 2017, 2018 und 2019 vom Netz genommen werden. Die Stromerzeugung aus rheinischer Braunkohle – dem größten deutschen Braunkohlerevier – sinkt damit um rund 15 %. Aktuell betreibt RWE hier noch Kraftwerksblöcke mit einer Kapazität von rund 10 GW. Die geplante Stilllegung der Meiler wird mittelfristig 800 bis 1 000 Arbeitsplätze in den Kraftwerken, aber auch in den Tagebauen kosten.Für den schwedischen Staatskonzern Vattenfall, der seine Braunkohleaktivitäten in Ostdeutschland zum Verkauf gestellt hat, bedeutet die Einigung zwischen Berlin und den Unternehmen eine kurzfristige bezahlte Bestandssicherung für einige der Blöcke, die abgestoßen werden sollen. Auf längere Sicht peilt die deutsche Regierung aber den vollständigen Ausstieg aus der Braunkohle an – was den Wert der Tagebaue und Kraftwerke ganz gehörig mindert. Lahm wie PferdekutschenDer Gesetzentwurf soll nun im November im Bundeskabinett beschlossen werden. Umweltschützer kritisierten den Kohlekompromiss und vor allem die Entschädigungszahlungen für die Unternehmen als “Mogelpackung”. Auch dass im Gesetzestext großzügig festgehalten werden soll, dass ein Braunkohlekraftwerk in der Reserve gut eine Woche zum Hochfahren benötigen darf, sorgte für Erstaunen. Eine Kraftwerksreserve, die erst nach elf Tagen den vertraglich vereinbarten Strom produziere, brauche niemand, sagte etwa Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. “Wir haben in Deutschland auch keine Pferdekutschen für den Fall, dass alle Rettungswagen im Einsatz oder kaputt sind.”