Brexit lässt britische Autobranche ums Überleben bangen
Von Andreas Hippin, LondonDrei Viertel aller Unternehmen der britischen Automobilbranche haben in einer Umfrage des Verbands SMMT die Angst geäußert, dass ein “No Deal”-Brexit ihre Überlebensfähigkeit gefährden würde. “Reibungsloser Handel als Teil des gemeinsamen Markts der EU und der Zollunion hat den Erfolg der britischen Autoindustrie angetrieben”, sagt Mike Hawes, CEO der Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT). “Deshalb schmerzt die Tatsache, dass wir austreten, jetzt schon, und sie verursacht bereits Schäden.” Ein Viertel der befragten Unternehmen gab an, wegen des Brexit Investitionen zurückgestellt zu haben. Knapp 7 % haben bereits Investitionen gestrichen. Jeweils 12 % nannten Stellenstreichungen und die Verlagerung von Geschäft ins Ausland als Gegenmaßnahmen, die sie vorbereiten oder bereits ergriffen haben.” Ohne einen Deal auszutreten, wäre katastrophal”, sagt Hawes. Werke würden geschlossen, Arbeitsplätze gingen verloren.”In der Autoindustrie geht es um umfangreiche Investitionen”, sagt Alexander Börsch, Chefökonom bei Deloitte Deutschland. “Deshalb sind die ganz großen strategischen Entscheidungen noch nicht gefallen. Dazu ist die Unsicherheit zu groß.” Produktion für den ExportDie europäische Autoindustrie ist in hohem Maße integriert. Acht von zehn in Großbritannien hergestellten Autos werden exportiert. 2017 waren es rund 1,7 Millionen Fahrzeuge. Mehr als die Hälfte der britischen Autoexporte (54 %) werden in andere EU-Staaten verschifft. Vier Fünftel der im Vereinigten Königreich verbauten Komponenten stammen von dort. Täglich treffen 1 100 Lkw mit Auto- und Motorenteilen aus der EU ein. Sie liefern Komponenten im Wert von 35 Mill. Pfund für die “Just in Time”-Produktionsmodelle, die den Fahrzeugherstellern die Minimierung ihrer Lagerbestände ermöglichen. Die Bundesrepublik ist dabei der größte Exporteur. Jedes fünfte in Großbritannien verbaute Autoteil stammt aus deutscher Produktion. Im Vereinigten Königreich sind zudem 30 der größten deutschen Autozulieferer mit eigener Produktion vertreten. Andererseits werden knapp zwei Drittel der in Großbritannien produzierten Komponenten nach Resteuropa exportiert. Der Ford Fiesta führte 2018 bei den Pkw die Bestseller-Liste an, gefolgt vom VW Golf und dem Vauxhall Corsa. Die Parkstreifen der mittelständischen Wohngegenden erinnern an eine Leistungsschau der deutschen Automobilindustrie.”Bei einem ,No Deal` verlieren die deutschen und europäischen Hersteller am meisten, weil sie sowohl von Zöllen als auch von einer Abwertung des Pfund betroffen wären”, sagt Börsch. “Wer nur in Großbritannien und nur für den britischen Markt produziert, hat einen relativen Vorteil: Die Konkurrenz wird teurer.”In Deutschland gehört die Autoindustrie zu den Kronjuwelen der Wirtschaft. Von der britischen hört man dagegen vergleichsweise wenig. Große Namen wie Bentley (Volkswagen), Lotus (Geely/Etika), MG (SAIC) oder Rolls-Royce (BMW) befinden sich in ausländischem Besitz. Selbst die London Taxi Company gehört mittlerweile der chinesischen Geely. Bristol, Morgan, Caterham und McLaren, die vier Unternehmen, die sich noch in britischer Hand befinden, spielen am Markt keine große Rolle. Dafür produzieren zahlreiche ausländische Hersteller auf der Insel, die sich den flexiblen Arbeitsmarkt und das wirtschaftsfreundliche Umfeld Großbritanniens zunutze machen wollen. Der Zugang zum europäischen Markt ist für sie von entscheidender Bedeutung. Vauxhall (GM) stellt in Ellesmere Port den Astra her, in Luton den Lieferwagen Vivaro. BMW lässt den Mini in Oxfordshire vom Band rollen, Nissan montiert die Modelle Juke, Leaf und Qashqai in Sunderland. In Derbyshire baut Toyota den Corolla. Die inzwischen der indischen Tata Motor gehörenden Marken Jaguar und Land Rover werden in den West Midlands und in Liverpool hergestellt. “,No Deal` ist keine Option””,No Deal` ist keine Option”, sagt Tony Walker, Managing Director von Toyota Motor Europe. “Ein Herausbrechen aus der EU hätte unmittelbare und verheerende Auswirkungen.” Chaos an den Grenzen würde die “Just in Time”-Basis, auf der die Industrie arbeite, stören. “Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir freien und reibungslosen Handel mit gemeinsamen technischen Standards haben. Ansonsten laufen wir Gefahr, alles zu verlieren, was wir beim Aufbau einer Automobilindustrie von Weltklasse erreicht haben.”Jaguar Land Rover kündigte im Sommer an, im Falle eines “schlechten” Brexit-Deals die für die kommenden fünf Jahre geplanten Investitionen von 80 Mrd. Pfund auf den Prüfstand zu stellen. “Ein schlechter Brexit-Deal würde Jaguar Land Rover mehr als 1,2 Mrd. Pfund Gewinn pro Jahr kosten”, sagte CEO Ralf Speth (vgl. BZ vom 6. Juli). Sein Unternehmen benötige dringend mehr Klarheit, um weiter in Großbritannien investieren zu können. Jaguar Land Rover hatte schon im Mai angekündigt, die Produktion des SUV-Modells Discovery komplett aus den Midlands in das neue Werk in der Slowakei zu verlegen. Anfang des Jahres wurde mitgeteilt, dass die Produktion in Halewood, Merseyside, zurückgefahren werden soll. Nachdem JLR für das Ende September abgelaufene Quartal vor Steuern einen Verlust gezeigt hatte, kündigte Speth “weitreichende” Maßnahmen zur Kostensenkung und zur Verbesserung des Cash-flows an. Der war zuletzt wegen hoher Investitionen negativ. Das Werk in Solihull wurde wegen der “fluktuierenden Nachfrage” für zwei Wochen geschlossen. In Castle Bromwich wurde die Drei-Tage-Woche eingeführt. Die “Financial Times” berichtete zuletzt, dass das Unternehmen 2019 im Zuge eines Kostensenkungsprogramms, das 2,5 Mrd. Pfund einsparen soll, die Streichung von bis zu 5 000 Stellen ankündigen wird.Aber gibt es in Südostasien nicht auch ohne gemeinsamen Binnenmarkt und Zollunion Just-in-Time-Beschaffungsketten der Autoindustrie? “Anders als in Asien geht es um völlig integrierte Märkte, die auseinanderdividiert werden müssten”, sagt Börsch. “Eine unterschiedliche Regulierung ist das, was dabei disruptiv wirken würde. Wenn man fünf Jahre weiterschaut, werden sich die Unternehmen angepasst haben. Aber der Weg dorthin wäre schmerzhaft.” Autozulieferer, die in den vergangenen Jahrzehnten ausschließlich in Europa tätig gewesen seien, müssten sich auf einmal mit Zollthemen auseinandersetzen. Diesel-TroubleDer Brexit ist aber nicht das einzige Problem der britischen Autoproduzenten. Die CO2-Emissionen von Neufahrzeugen sind im vergangenen Jahr erstmals seit 1997 gestiegen, was der Verband auf den niedrigeren Absatz von Dieselfahrzeugen zurückführt. Die britische Regierung wird den Verkauf neuer Dieselfahrzeuge und Benziner ab 2040 verbieten, um die Luftqualität zu verbessern. Umweltminister Michael Gove folgte damit dem Beispiel Frankreichs. Dort hatte Energieminister Nicolas Hulot einen Klimaplan vorgestellt, mit dem das Land bis 2040 einen CO2-emissionsneutralen Autoverkehr anstrebt. Nach den Vorgaben von Transport for London müssen ab Anfang kommenden Jahres alle neuen Taxis (Black Cabs) in der Lage sein, “emissionsfrei” zu fahren. Die letzten Dieseltaxis dürften 2032 von den Straßen Londons verschwinden, denn nach 15 Jahren müssen Fahrzeuge ausgemustert werden. Viele Uber-Fahrer greifen bereits auf das Toyota-Hybridmodell Prius zurück. Der Wiederverkaufswert von Diesel-Kfz brach dramatisch ein. Zur Jahrtausendwende war es noch in die andere Richtung gegangen. Der Labour-Politiker Gordon Brown hatte 2001 als Schatzkanzler mit Blick auf die britischen Klimaziele die Steuer für Diesel gesenkt. Zudem führte er Kfz-Steuererleichterungen für Fahrzeuge mit niedrigem CO2-Ausstoß – sprich Diesel – ein. Die britischen Käufer reagierten prompt auf die Wende. Neuzulassungen von Diesel-Pkw gingen 2018 bis Ende November um knapp 30 % zurück.