Brexit-Vorteile für britische Winzer
Brexit-Vorteile für britische Winzer
Tresterwein wird zugelassen – Neue Flaschengrößen, einfachere Verpackung
Von Andreas Hippin, London
Britischer Wein ist jenseits der Landesgrenzen des Vereinigten Königreichs noch kein großes Thema. Man nimmt seine Existenz eher belustigt zur Kenntnis. Doch ist die heimische Produktion in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Seit 2017 hat sich die Zahl der abgefüllten 750-ml-Flaschen vervierfacht. Der Erzeugerverband Wines of Great Britain (WineGB) schätzt, dass es im vergangenen Jahr nach einer Rekordernte bis zu 22 Millionen waren. Die genutzte Anbaufläche verdoppelte sich auf rund 3.400 Hektar. Der Klimawandel dürfte dafür sorgen, dass sich die Qualität der Weine weiter verbessert. Sektmarken wie Nyetimber haben sich bereits einen Namen gemacht.
Entschlackung der Regulierung
Die britische Regierung will den Winzern nun unter die Arme greifen. Der EU-Austritt ermöglicht es dem Land, sich von den komplexen bürokratischen Vorgaben des bestehenden 400-seitigen Regelwerks für Wein zu verabschieden. "Rentabler, dynamischer und nachhaltiger" sollen Umweltminister Steve Barclay zufolge die Weinproduzenten und Händler durch eine Reihe von Reformen werden, die zu Jahresbeginn in Kraft traten. Seinem Ministerium zufolge gibt es fast 900 Weingüter. Die Branche beschäftigt 2.300 Menschen. Bis 2025 sollen es doppelt so viele sein.
Bahn frei für Gesindewein
Die stärksten Auswirkungen dürfte haben, dass Winzer künftig "Piquette" erzeugen dürfen. Hinter dem französischen Begriff verbirgt sich Tresterwein, der aus Pressrückständen (Trester) erzeugt wird. In der Europäischen Union darf das alkoholarme, gerbstoffreiche Produkt, wenn vom jeweiligen Mitgliedsland überhaupt erlaubt, nur zur Destillation verwendet werden – oder für den Eigenbedarf des Weinbauern. Es war schon in der Antike das Getränk der Armen, später nannte man es Gesindewein oder auch Wasserwein. Brüssel wollte mit dem Verbot einem Überangebot von Billigwein vorbeugen. Barclays Ministerium wertet die Zulassung als „Option, neue Einkommensströme zu erzeugen, und die Nachfrage der Verbraucher nach Getränken mit niedrigerem Alkoholgehalt anzuzapfen".
Weniger Verpackungsmüll
Seit Jahresbeginn müssen Hersteller von Schaumwein keine pilzförmigen Korken mehr verwenden. Auch die Folie um den Flaschenhals ist nicht mehr vorgeschrieben. Das kommt Anbietern entgegen, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben haben. „Es wird Hersteller geben, die jede mögliche Option nutzen werden, das Material auf den Flaschen zu reduzieren", sagte Nicola Bates, CEO von WineGB.
Pint-Flaschen für Sekt und Wein
Vor dem Jahreswechsel hatte die Regierung bereits angekündigt, dass Wein und Schaumwein künftig auch in 500-ml- und 200-ml-Behältnissen angeboten werden dürfen. Das würde den Herstellern den Einstieg ins Geschäft mit Dosenwein ermöglichen. Zudem soll es auch Pint-Flaschen (568 ml) geben – angeblich die Lieblingsgröße von Winston Churchill, wenn es um Champagner ging. Genau genommen ist es ein Comeback, denn bis zum EU-Eintritt des Landes vor einem halben Jahrhundert waren sie in den Regalen britischer Supermärkte zu finden.
Wichtiger Markt für Weinexporteure
Großbritannien ist, gemessen am Wert, der zweitgrößte Weinimporteur der Welt. Der Markt hat ein Volumen von mehr als 10 Mrd. Pfund. Der Handel hat daran einen Anteil von fast drei Vierteln, der Rest wird über die Gastronomie vertrieben. Auf dem Etikett von aus dem Ausland eingeführtem Wein muss künftig nicht mehr die Adresse des Importeurs stehen.
Chapel Down geht an die LSE
Das dürfte die Weinhändler freuen, unter denen sich auch börsennotierte Gesellschaften wie Naked Wines oder Virgin Wines befinden. Wer in den britischen Weindurst investieren wollte, konnte das bislang nur über Aktien dieser Unternehmen tun, wenn er sein Geld nicht in Kleinstwerte stecken wollte. Doch Anfang Dezember zog der größte britische Weinproduzent, Chapel Down, mit seiner Börsennotierung von der auf kleine Gesellschaften spezialisierten Aquis Stock Exchange ans Wachstumssegment AIM der London Stock Exchange um. Das Unternehmen aus Kent wurde einst von Frazer Thompson, einem ehemaligen Heineken-Manager, gegründet.