Brüssel startet massive Förderung der Wasserstofftechnologie
ahe Brüssel – Die EU-Kommission hat ihre lang erwartete Strategie für einen massiven Ausbau der Wasserstoffmärkte vorgelegt, die eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr und Stromerzeugung in Europa spielen sollen. In dem dreistufigen Konzept bis zum Jahr 2050, das die Brüsseler Behörde gestern veröffentlichte, steht Wasserstoff im Mittelpunkt, der durch Elektrolyse von Wasser (in einem elektrisch betriebenen Elektrolyseur) und mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Kurz- und mittelfristig sieht die EU-Kommission allerdings auch noch andere Formen von CO2-armem Wasserstoff als erforderlich an, um die Emissionen rasch zu senken und die Entwicklung eines tragfähigen Marktes zu unterstützen. Milliardeninvestitionen nötigDie EU will bis 2050 die Klimaneutralität erreichen. EU-Energiekommissarin Kadri Simson verwies gestern in Brüssel darauf, dass aktuell noch 75 % der europäischen Treibhausgasemissionen auf den Energiesektor zurückgehen. “Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, um unsere CO2-Ziele für 2030 und 2050 zu erreichen”, betonte sie. Wasserstoff werde dabei eine Schlüsselrolle spielen.Nach groben Berechnungen der EU-Kommission könnten bis 2050 kumuliert Investitionen in erneuerbaren Wasserstoff von 180 bis 470 Mrd. Euro fällig werden und für CO2-armen, aber auf fossiler Basis erzeugten Wasserstoff noch einmal zusätzliche 3 bis 18 Mrd. Euro. Möglich seien direkt und indirekt bis zu 1 Million neuer Arbeitsplätze. Die Kommission verwies zugleich auf Schätzungen von Analysten, wonach 24 % der weltweiten Energienachfrage bis 2050 mit sauberem Wasserstoff gedeckt werden könnten, was einem Jahresumsatz von etwa 630 Mrd. Euro entspreche.Die erste Phase der jetzt vorgelegten Wasserstoffstrategie (siehe Grafik) sieht vor, bis 2024 zunächst die bereits bestehende fossile Wasserstofferzeugung zu dekarbonisieren und die Nutzung von Wasserstoff für neue Anwendungen zu fördern. Die heutige Elektrolyseleistung soll bis dahin auf mindestens 6 Gigawatt (GW) versechsfacht werden. Das heißt, dass 2024 bis zu 1 Mill. Tonnen erneuerbarer Wasserstoff erzeugt werden könnte. Hierzu wären Investitionen von zunächst 5 bis 9 Mrd. Euro nötig. In der bis 2030 laufenden zweiten Ausbauphase soll Wasserstoff dann zu einem wesentlichen Bestandteil eines integrierten Energiesystems werden. Bis dahin hält Brüssel eine Elektrolyseleistung von mindestens 40 GW für nötig, die zu einer Erzeugungsleistung von bis zu 10 Mill. Tonnen erneuerbaren Wasserstoff führen würde. Das nötige Investitionsvolumen summiert sich in dieser Phase bereits auf 26 bis 44 Mrd. Euro.Die Nutzung von Wasserstoff werde allmählich auf neue Sektoren wie die Stahlerzeugung, Lastkraftwagen, den Schienenverkehr und einige Anwendungen im Seeverkehr ausgeweitet, hieß es in der Strategie der Brüsseler Kommission. Langfristig könne Wasserstoff als Ausgangsstoff für die Herstellung von flüssigem synthetischem Kerosin und anderen synthetischen Kraftstoffen dann auch zu einer Option für die Dekarbonisierung des Luft- und Seeverkehrs werden. In einer dritten Phase bis 2050 sollten die Technologien für erneuerbaren Wasserstoff ausgereift sein und in großem Maßstab eingesetzt werden, hieß es.Die deutsche Wirtschaft spendete im Grundsatz viel Beifall für die Brüsseler Wasserstoffstrategie, drang aber auf eine raschere Umsetzung. Die deutsche Industrie habe das Thema Wasserstoff im Green Deal lange vermisst, erklärte etwa Holger Lösch, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI). Kosten sinken raschDie EU müsse aber die Führungsrolle bei der Entwicklung von Zertifizierungsstandards für die Produktion und den internationalen Wasserstoffhandel übernehmen, so Lösch. Ein entsprechender Vorschlag Brüssels müsse deutlich früher als Juni 2021 auf dem Tisch liegen. Für Unternehmen stellten gerade die fehlenden EU-weiten Standards ein großes Investitionshemmnis dar.Nach Einschätzung von Christian Bruch, CEO von Siemens Energy, sind vor allem Finanzierungskonzepte nötig, um eine rasche Skalierung in Gang zu setzen. Hier verpasse die Brüsseler Strategie wichtige Chancen, kritisierte er. Strom müsse günstiger werden, CO2 teurer, und die Investitionskosten müssten runtergehen. Auch die Wirtschaftsvereinigung Stahl hält es für besonders wichtig, dass “bezahlbarer Wasserstoff möglichst zeitnah im industriellen Maßstab zur Verfügung steht”. Für eine umfangreiche CO2-Minderung in der Stahlproduktion sei der Wasserstoff-Einsatz ohne Alternative, betonte Verbandspräsident Hans Jürgen Kerkhoff.Die EU-Kommission setzt die Kosten für fossilen Wasserstoff in der EU derzeit auf 1,5 Euro je Kilo an, den für erneuerbaren Wasserstoff auf 2,5 bis 5,5 Euro je Kilo – allerdings mit rasch sinkender Tendenz. Die Kosten für Elektrolyseure würden sich bis 2030 aufgrund von Skaleneffekten voraussichtlich halbieren.Gestern startete eine Wasserstoffallianz, die EU-Institutionen, nationale Regierungen und Industrievertreter zusammenzubringen soll, die bei dem weiteren Ausbau der Wasserstofftechnologie, der Ankurbelung der Nachfrage und der nötigen Investitionen eine entscheidende Rolle spielen soll. In diesem Jahr sollen rund 500 Unternehmen beteiligt sein. Diese Zahl soll sich bis 2024 schon verdoppelt haben.