Buhlen um Vegetarier und Veganer
Ob breit aufgestellte Lebensmittelkonzerne wie Nestlé oder auf Wurst und Fleisch spezialisierte Firmen wie Rügenwalder – branchenweit gibt es eine Angebotsoffensive, die auf Anhänger spezieller Ernährungsweisen, vor allem Vegetarier und Veganer, zielt. Doch eine Umfrage zeigt, dass viele Maximen kurzlebig und die Anteile der Vegetarier und Veganer relativ gering sind.Von Martin Dunzendorfer,FrankfurtKoffeinfreier Kaffee, alkoholfreies Bier, zuckerfreie Cola. Wieso also nicht auch vegetarischer Schinken und vegane Frikadellen? Denn längst ist es nicht mehr größtes Ziel der Bundesbürger, satt zu werden, sondern sich gesund zu ernähren. Zahllose Ernährungsmaximen gibt es, die das gewährleisten sollen. Eine nach der anderen wird wie die sprichwörtliche neue Sau durchs Dorf getrieben. Low Carb, Super Food, Trennkost – um nur einige in jüngerer Zeit populäre Trends zu nennen. Gemeinsam ist vielen dieser Ernährungsweisen, dass sie gemäß einer Studie von einem ansehnlichen Anteil der Bevölkerung zwar ausprobiert, aber von einem Großteil nach einiger Zeit wieder aufgegeben wurden. Drei Ziele sind von Dauer Drei Ernährungsziele werden dauerhaft und von einem großen Teil der Bevölkerung verfolgt: wenig Zucker, fettarm und wenig Salz (siehe Grafik). Diesen allgemeinen Zielen, denen die Industrie schon seit langem Tribut zollt, stehen Maximen gegenüber, die von einigen Verbrauchern – zumindest zeitweise – wie eine Ersatzreligion behandelt werden. Wie in der Mode gibt es aber auch hier Trends, die sich kaum länger als eine Saison halten. In einer Umfrage des Marktforschers IfD Allensbach, die im Auftrag des Lebensmittelkonzerns Nestlé durchgeführt wurde, sollten die Befragten sagen, welche Maximen sie “früher mal ausprobiert” haben und welche sie “gerade machen”. Besonders hohe Unterschiede in den zustimmenden Antworten, die auf ein Auslaufen des Trends hindeuten, gab es u. a. bei Low Carb (kohlenhydratarme Nahrung), Intervallfasten (tage- oder stundenweiser Verzicht auf Nahrung), Heilfasten (Verzicht auf bestimmte Nahrung zugunsten von Obst, Gemüse und Säften) und Trennkost (bei einer Mahlzeit werden eiweiß- und kohlenhydrathaltige Lebensmittel nicht gleichzeitig gegessen). Vom Bio- zum NischenmarktSich als Unternehmen auf eine oder mehrere Ernährungsformen einzulassen, indem etwa die Produktentwicklung und/oder Werbung stark auf Anhänger dieser Trends ausgerichtet wird, kann also leicht schiefgehen. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass sich viele große Lebensmittelkonzerne sowie Fleisch- und Wurstfabrikanten – von Nestlé bis Unilever, von Rügenwalder Mühle bis Wiesenhof – auf Vegetarier (laut Umfrage derzeit 11 % der Bevölkerung) und vor allem Veganer (2 %) fokussieren. Sie dürften vom Siegeszug des Bio-Trends ermutigt worden sein. Hersteller und Handel haben mit Erfolg die “Konventionalisierung der Bio-Branche” vorangetrieben, also die Annäherung des Bio-Massenmarktes an die konventionelle Lebensmittelproduktion in Marketing und Vertrieb. Nun sollen wohl die Nischenmärkte folgen.Die Lebensmittelindustrie in Deutschland kommt auf einen Jahresumsatz von etwa 180 Mrd. Euro; davon etwa zwei Drittel im Inland. Hinzu kommen importierte Waren, so dass die Verbraucher hierzulande rund 155 Mrd. Euro für Nahrungsmittel ausgeben. Der Werbeetat der Nahrungsmittelhersteller in Deutschland ist riesig; Schätzungen zufolge beläuft er sich auf 2,8 Mrd. Euro. Damit wäre er bei weitem höher als das Budget der Automobilindustrie, das bei 1,8 Mrd. Euro liegen soll. Wie hoch die Anteile an den gesamten Entwicklungsausgaben, Herstellungskosten und am Werbeetat sind, die für konventionelle Lebensmittel, Bio-Lebensmittel oder vegetarische bzw. vegane Nahrung aufgewendet werden, darüber schweigen sich die Unternehmen aus. Doch dürften zumindest die Anteile für vegetarische und vegane Produkte inzwischen ein erkleckliches Maß erreicht haben.Neben dem zurzeit wachsenden Absatzpotenzial gibt es noch einen zweiten Grund, der das Engagement der Lebensmittelhersteller für spezielle Ernährungsformen erklärt: die im Vergleich zu konventionellen Produkten höheren Margen. Es müssen ja nicht immer gleich die Gesundheit beeinträchtigende Füll- oder Ersatzstoffe sein, die statt Fleisch und Wurst für die Zubereitung von Speisen für diese Zielgruppen verwendet werden. Aber Soja oder Tofu sind nun mal billiger. Und je spezieller, desto größer der Preisaufschlag.Letztlich wird die Antwort auf die Frage, ob sich die Ausgaben für vegetarische und vegane Produkte rechnen, die Zeitspanne geben, über die solches Essen in ausreichendem Volumen und zu einem gewinnbringenden Preis verkauft werden kann.