RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: ANDREAS GERTEN

Bundesfinanzhof regelt Besteuerung von Sanierungsgewinnen neu

Nach der Entscheidung ist der Gesetzgeber in der Pflicht

Bundesfinanzhof regelt Besteuerung von Sanierungsgewinnen neu

– Herr Dr. Gerten, der Bundesfinanzhof hat in Grundsatzentscheidung den Sanierungserlass des Bundesfinanzministeriums verworfen. Worum geht es?Der Sanierungserlass hat Unternehmen in Schieflage steuerliche Vergünstigungen gewährt, wenn deren Gläubiger mit einem Forderungsverzicht signalisiert haben, dass sie die Sanierung für erforderlich und die getroffenen Maßnahmen für erfolgversprechend halten. Der sich aus dem Forderungsverzicht zum Zwecke der Sanierung ergebende Sanierungsgewinn ist nach der Konzeption des deutschen Ertragsteuerrechts voll steuerpflichtig. Der Erlass wies als verbindliche Verwaltungsvorschrift die Finanzbehörden an, bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen die auf solche Sanierungsgewinne entfallenden Steuern zu stunden oder zu erlassen.- Und damit ist es jetzt vorbei?Ja und nein. Die Entscheidung enthält hierzu drei zentrale Aussagen: Erstens genügen nach Ansicht des Bundesfinanzhofs die im Sanierungserlass für einen Steuererlass genannten Voraussetzungen nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine solche Billigkeitsmaßnahme. Zweitens habe das Bundesfinanzministerium seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschritten, indem es im Sanierungserlass die dem Gesetzgeber vorbehaltenen Entscheidungen getroffen habe, ob und in welcher Form sich der Fiskus an der Sanierung von Unternehmen beteilige. Aus diesen Gründen war der Sanierungserlass nach Ansicht des Gerichts zu verwerfen. Der Bundesfinanzhof hat aber auch – und das ist der dritte Punkt – klargestellt, dass seine Entscheidung einem Erlass von Steuern auf Sanierungsgewinne aus Billigkeitsgründen nach Einzelfallprüfung auch in Zukunft nicht entgegenstehe.- Was bedeutet dies für die betroffenen Unternehmen?Der Bundesfinanzhof hat Unternehmen in Krise und Insolvenz mit einem Federstreich ein in der Praxis erprobtes und bewährtes Sanierungsinstrument genommen. Mit dessen Hilfe waren für alle Beteiligten vorhersehbare Ergebnisse erzielbar. Schnelle Sanierungsentscheidungen wurden hierdurch oft erst möglich.- Steuervergünstigungen nach dem Sanierungserlass wird es also nicht mehr geben?Ja. Andere Gläubiger werden zum Forderungsverzicht kaum mehr bereit sein, wenn sich der Fiskus nicht an der Sanierung beteiligt, im Gegenteil sogar noch den aus dem Verzicht resultierenden Sanierungsgewinn besteuert. Viele befürchten daher zu Recht, dass die Rettung von Krisenunternehmen erschwert und erfolgversprechende Sanierungsmaßnahmen gar nicht erst angegangen werden. Hieran dürfte sich bis zu einer Neuordnung der Besteuerung von Sanierungsgewinnen durch den Gesetzgeber auch nichts ändern.- Ist denn mit einer Reaktion des Gesetzgebers zu rechnen?Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren im Zuge vieler Gesetzesänderungen zu erkennen gegeben, dass er den Sanierungserlass billigt und für erforderlich hält. Zuletzt hat er als flankierende Maßnahme eine gesetzliche Neuregelung geschaffen, um auch für Gewerbesteuer, die anders als die Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht in die Zuständig der Finanzämter, sondern der Städte und Gemeinden fällt, gleichlaufende Entscheidungen über den Erlass von auf Sanierungsgewinne entfallende Steuern sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund und dem drohenden gesamtwirtschaftlichen Schaden erscheint eine Reaktion des Steuergesetzgebers wahrscheinlich. Abzuwarten bleibt, wann der Gesetzgeber reagiert, insbesondere mit Blick auf die anstehenden drei Landtagswahlen im Frühjahr und die Bundestagswahl im Herbst.- Und welche Möglichkeiten verbleiben betroffenen Unternehmen in der Zwischenzeit?Da der Forderungsverzicht aus Sicht der Gläubiger erheblich an Attraktivität eingebüßt haben dürfte, werden zunächst wohl alternative Sanierungsinstrumente in den Fokus rücken. Nicht außer Acht gelassen werden sollte jedoch der vom Bundesfinanzhof ausdrücklich offengelassene Weg einer individuellen Einzelfallprüfung auf Erlassmöglichkeiten. Die Einzelfallprüfung wird erhöhte Anforderungen an die betroffenen Unternehmen, ihre Berater und die beteiligten Finanzbehörden stellen.—-Dr. Andreas Gerten ist Rechtsanwalt im Geschäftsbereich Steuerrecht von CMS in Deutschland. Die Fragen stellte Walther Becker.