RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: CHRISTIAN MARTHOL

Bundesgerichtshof-Urteil bringt Energieversorger in die Zwickmühle

"Wir gehen davon aus, dass es eine Welle von Rückforderungen geben wird"

Bundesgerichtshof-Urteil bringt Energieversorger in die Zwickmühle

– Herr Marthol, der Bundesgerichtshof hat eine weit verbreitete Klausel in Energielieferverträgen gekippt, mit der RWE die Erhöhung von Gaspreisen in laufenden Verträgen begründet hatte (Az.: VIII ZR 162/09). Damit scheint in Karlsruhe kaum eine Klausel für Preiserhöhungen zu bestehen. Wie können Versorger reagieren?Das Urteil ist eigentlich nicht überraschend, auch wenn die Branche bis zum Ende noch Hoffnung auf einen gegenteiligen Ausgang hatte. Dem BGH blieb nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs keine Wahl, als seine eigene Empfehlung zurückzunehmen. Er hatte die inhaltsgleiche Übernahme des für Tarifkunden geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechts in Sonderkundenverträge ja selbst als Lösung vorgeschlagen. Die EuGH-Richter haben aber beanstandet, dass bei diesem Vorgehen Anlass, Modus und Umfang der Preisänderung für die Kunden nicht transparent genug sind. Die Versorger müssen jetzt – soweit sie diese oder vergleichbare Klauseln verwenden – ihre Verträge ändern.- Bei RWE heißt es, man verwende die Klausel schon lange nicht mehr, die Folgen hielten sich in Grenzen.Nun, die vom BGH gekippten Klauseln waren sehr weit verbreitet. In dem Rechtsstreit ging es ja um eine inzwischen außer Kraft getretene Verordnung, die nicht mehr verwendet wird. Was der BGH aber nun als unwirksam deklariert hat, wurde nahezu unverändert auch in die aktuellen Gas- und Strom-Grundversorgungsverordnungen übernommen. Das Urteil ist also auf die aktuelle Rechtslage übertragbar. Mit dieser Auffassung stehen wir in Fachkreisen auch keineswegs allein da. Eine anschließende höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu liegt allerdings noch nicht vor. Es hilft aber nichts, das Problem jetzt kleinzureden. Nur wer schnell reagiert, kann die Rechtsunsicherheit zumindest für die Zukunft beseitigen und weitere Klagen von Verbrauchern vermeiden.- Sind nur Gasversorger betroffen?Nein, die Klauseln wurden in nahezu allen Verträgen für Energielieferungen an Privat- und Gewerbekunden verwendet. Zwar gilt das Urteil unmittelbar nur für den konkreten Sachverhalt, ist aber übertragbar. Betroffen sind neben Gas- auch Stromlieferverträge, und zwar für private Haushalte und Gewerbetreibende.- Wie teuer wird das für die Versorger?Wir gehen davon aus, dass es eine Welle von Rückforderungen geben wird. Ob diese berechtigt sind, muss allerdings jeweils im Einzelfall geprüft werden. Geklagt hatte ja ursprünglich die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Man muss damit rechnen, dass sich viele Kunden nun auf das Urteil berufen werden und eine Rücknahme der Preiserhöhungen fordern. Die betroffenen Versorger sind gut beraten, hier schnell zu reagieren und das Thema möglichst ohne weitere Gerichtsverfahren zu klären.- Sind denn alle Erhöhungen von Energiepreisen seit 2003 – das war der Beginn des Rechtsstreits – betroffen?Der BGH hat – zum Glück für die Versorger – bereits in anderen Entscheidungen den Zeitraum begrenzt, innerhalb dessen Rückforderungen gestellt werden können. Außerdem können Verbraucher ihre Ansprüche nur durchsetzen, wenn sie der Erhöhung innerhalb von drei Jahren widersprochen hatten. Man sollte aber die Zahl der möglichen Anspruchsberechtigten nicht unterschätzen. Die Energiepreise sind seit Jahren ein Thema, die Verbraucherzentralen sind hier sehr aktiv und haben die Kunden früh sensibilisiert.- Lassen sich denn Preiserhöhungen überhaupt noch durchsetzen?Das Urteil macht es sicher nicht leichter, in laufenden Verträgen müssen Erhöhungen sehr gut begründet werden. Der EuGH stellt hohe Ansprüche an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz. Den Kunden muss ein Widerspruchsrecht eingeräumt werden. Der BGH hat seiner eigenen Empfehlung den Garaus gemacht. Das ist eine Zäsur. Die Energiebranche muss nun umdenken und neue Modelle für die Anpassung der Preise finden.—-Christian Marthol ist als Partner für die energierechtliche Beratung bei Rödl & Partner verantwortlich. Die Fragen stellte Walther Becker.