Chemie befürchtet Erosion der Forschung in Deutschland
Chemie befürchtet Erosion der Forschung in Deutschland
Branche sieht "Regulierungsdickicht" als größtes Innovationshemmnis und hofft auf schnelle Umsetzung der erweiterten steuerlichen Förderung
swa Frankfurt
Deutschland droht aus Sicht der chemischen Industrie im globalen Wettbewerb als Innovationsstandort weiter zurückzufallen. Die Branche führt das vor allem auf ungünstige Rahmenbedingungen für die heimische Forschung zurück. Die deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen beklagen laut einer Umfrage des Branchenverbands VCI "die Regulierungswut" aus Brüssel und Berlin sowie "die unzuverlässigen politischen Rahmenbedingungen" als die größten Hemmnisse für Innovationen. Deshalb wandere Forschung zunehmend ins Ausland ab. Auch der Fachkräftemangel sei ein Problem.
Stabile Forschungsbudgets
Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat ihre Forschungsetats nach Angaben des Verbands trotz der schwierigen Wirtschaftslage stabil gehalten und auch 2022 rund 14 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Dabei wurden 8,7 Mrd. in der Pharma ausgegeben, 5,3 Mrd. entfallen auf die Chemie. Für 2023 werde mit weitgehend stabilen Budgets gerechnet. Der VCI wertet dies als "starkes Signal in Richtung Politik". "Die Branche hat den Standort Deutschland nicht aufgegeben, jetzt aber muss die Politik dieses Signal mit klaren Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit erwidern. Sonst folgt der Stagnation eine Reduktion", sagt Thomas Wessel, Vorsitzender des VCI-Ausschusses Forschung, Wissenschaft und Bildung.
Bewegung ins Ausland
Wenn man die Entwicklung anderer Länder betrachte, seien stagnierende Forschungsbudgets in der Chemie schon heute ein Rückschritt, heißt es vom VCI. Den Unternehmen mangele es nicht am Willen, in Forschung zu investieren, das Geld bleibe aber nicht mehr unbedingt in Deutschland. In der chemisch-pharmazeutischen Industrie gingen mittlerweile fast 60% aller externen Forschungsaufträge ins Ausland. Zudem folge die Forschung der Produktion, wo es ebenfalls eine Bewegung aus Deutschland heraus gebe. Wenn nicht ausreichend in neue Produkte, Verfahren oder Geschäftsmodelle investiert werde, verliere Deutschland weiter an Wettbewerbsfähigkeit, was die Deindustrialisierung verstärke, warnt der VCI. Speziell die Chemie als energieintensive Branche steht seit dem Energiepreisschub vor dem Problem, dass bestimmte Produkte nicht mehr rentabel hergestellt werden können. Das gilt zum Beispiel für Ammoniak als Ausgangsstoff für Düngemittel, so dass etwa BASF eine von zwei Anlagen in Ludwigshafen stilllegt.
Warnsignale
Aus Sicht des VCI ist der deutsche Innovationsstandort grundsätzlich noch leistungsfähig. Im Vergleich von 35 Ländern habe sich Deutschland laut BDI-Innovationsindikator 2023 auf Platz 10 behauptet. Diese Platzierung sei aber seit 15 Jahren mehr oder weniger eingefroren. Es fehle hierzulande an Fachkräften, Investitionen in Wagniskapital und Engagement in Schlüsseltechnologien, etwa neuen Materialien. Andere Länder hätten rasant aufgeholt. So habe China in allen Technologiefeldern Boden gutgemacht und sich im Ranking der Schlüsseltechnologien von einem Platz im Mittelfeld in Richtung Spitzengruppe auf den fünften Rang hochgearbeitet und liege nun zwei Plätze vor Deutschland. "Das lässt bei uns alle Warnlampen aufleuchten", sagt Wessel. China, inzwischen global der größte Chemiemarkt, investiere wie kaum ein anderes Land in Forschung und Entwicklung, was sich in der exorbitant gestiegenen Zahl von Patentanmeldungen spiegelt.
Der VCI wiederholt in dem Szenario die Forderung an die Politik, einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis einzuführen, so lange bis genügend erneuerbare Energien verfügbar seien. Der Bedarf der Branche ist riesig. Um die gesamte deutsche Chemieproduktion zu elektrifizieren, bräuchte es laut VCI zusätzlich 500 Terawattstunden Strom, also etwa so viel, wie 2022 insgesamt aus inländischer Produktion ins deutsche Stromnetz eingespeist wurde.
Die im Wachstumschancengesetz ausgeweitete steuerliche Forschungsförderung wird im VCI begrüßt. "Es ist ein guter Schritt, der schnell umgesetzt werden sollte", sagt Wessel.