Branchenblick

Chemieindustrie durchforstet ihr Portfolio

Energiepreiskrise und Konjunkturflaute haben die deutsche Chemieindustrie besonders hart getroffen. Die Wettbewerbslage könnte sich dauerhaft eintrüben. Viele Konzerne sehen sich veranlasst, im Portfolio mit Blick auf nachhaltige Rentabilität aufzuräumen.

Chemieindustrie durchforstet ihr Portfolio

Chemieindustrie durchforstet ihr Portfolio

Solvay sorgt mit Aufspaltung für Fantasie – M&A-Pipeline in der Branche gut gefüllt – Neues Bewertungsniveau

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Energiepreiskrise und Konjunkturflaute haben die deutsche Chemieindustrie besonders hart getroffen. Die Wettbewerbslage könnte sich dauerhaft eintrüben. Viele Konzerne in der Branche sehen sich veranlasst, im Portfolio mit Blick auf nachhaltige Rentabilität aufzuräumen.

Die Chemieindustrie steckt in einer schwierigen Marktsituation fest. Die länger als erwartet anhaltende konjunkturelle Nachfrageschwäche beeinträchtigt die Ertragslage. Schon im Herbst hatte es eine Reihe von Gewinnwarnungen gegeben, nachdem klar geworden war, dass die für die zweite Jahreshälfte 2023 erwartete Erholung ausbleiben würde. Zu kämpfen hat die Branche zudem nach wie vor mit hohen Energiekosten, ein Faktor, der die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig schwächen wird. Für alle Unternehmen gibt die aktuelle Situation Anlass, die Nachhaltigkeit ihrer Strategie zu prüfen.

Handlungsdruck

Laufende große Investitionsprojekte werden weiter vorangetrieben, etwa der Aufbau des zweiten großen integrierten Produktionsstandorts der BASF in China. Doch weit oben auf der Agenda steht gegenwärtig in vielen Konzernen das Durchforsten des Portfolios. Dabei geht es um Optimierungen zur Stärkung der Ertragskraft, mancherorts aber auch um Entschuldung und Liquiditätssicherung. So hat die schwer von der Krise getroffene Lanxess ihr Geschäft mit Polyurethanen ins Schaufenster gestellt und mit Blick auf den Schuldenabbau gleichzeitig angekündigt, die Dividende kürzen zu wollen.

BASF in der Bestandsaufnahme

„Die meisten Konzerne schauen sich an, was in ihrem Portfolio zum Kerngeschäft gehört und was in einem neuen Wettbewerbsumfeld überlebensfähig ist“, fasst Martin Bastian, Managing Director und Head of Chemicals Europe der Investmentbank Houlihan Lokey, das Szenario zusammen. Der Handlungsdruck sei unterschiedlich stark ausgeprägt: „In manchen Unternehmen sorgen auch bilanzieller Druck und schwindende Liquidität für Verkaufsdruck.“

Einen tieferen Blick ins Portfolio hat BASF auf ihrem Kapitalmarkttag angekündigt. Der für seine Verbundstrategie bekannte Weltmarktführer will einzelne Bereiche rechtlich verselbständigen und mit eigenen Systemen zur Unternehmenssteuerung ausstatten, um sich mehr Transparenz über die Profitabilität der Sparten zu verschaffen. Dazu kommt eine Steuerung nach neuen Kennzahlen. So soll für die Sparten Coatings, Batteriematerialien und Agrarchemie deutlicher sichtbar werden, wer die Ertragsbringer im Konzern sind und welchen Wert man den Unternehmensbereichen beimessen kann.

Das BASF-Management bekräftigte, dass es hier nicht um die Vorbereitung einer Trennung von diesen Einheiten geht, die Tochtergesellschaften sollen weiterhin fest im Konzern verankert bleiben, BASF soll ein integrierter Konzern bleiben, unterstrich CEO Martin Brudermüller. Der Manager gibt Ende April mit Ablauf der Hauptversammlung sein Amt an Markus Kamieth ab.

Der Neue an der Konzernspitze dürfte in Zukunft darüber entscheiden, ob BASF nach der Bestandsaufnahme noch der beste Eigentümer ist. Über den Verkauf der Energietochter Wintershall Dea ist jüngst entschieden worden, auch über die Trennung vom rechtlich separierten Geschäft mit Autokatalysatoren wird im Markt spekuliert.

Separiert stärker

Wie man über einen neuen Zuschnitt Wert schaffen kann, hat jüngst der belgische Chemiekonzern Solvay demonstriert. Das Management hatte im März 2022 Pläne bekannt gegeben, die Gesellschaft in zwei unabhängige börsennotierte Unternehmen aufzuspalten. Als Ziel war ausgerufen, „zwei starke Branchenführer“ zu schaffen, „die von der strategischen und finanziellen Flexibilität profitieren, um sich auf ihre unterschiedlichen Geschäftsmodelle und Prioritäten bei Märkten und Stakeholdern zu konzentrieren“.

Die neue Solvay (Projektname war Essential Co) umfasst die Grundstoffchemie mit auf Monotechnologien basierenden Geschäftsfeldern wie Natursoda, Natriumbicarbonat, Kieselsäure, Wasserstoffperoxid sowie Lösungsmittel. Dieses Geschäft erreichte 2022 einen Nettoumsatz von 5,6 Mrd. Euro.

Die zweite neue Gesellschaft Syensqo (Projektname Specialty Co) fokussiert nach eigenen Angaben unter anderem auf ein breites Portfolio von „einzigartigen patentierten Werkstoffen auf der Basis von Hochleistungspolymer- und Carbon-Faserverbundtechnologien“.

Dazu setzt die neue Firma auf vier Wachstumsplattformen in den Bereichen Batterien, grüner Wasserstoff, thermoplastische Verbundwerkstoffe sowie erneuerbare Materialien und Biotechnologie. Die unter dem Dach separierten Geschäftsfelder erzielten 2022 einen Nettoumsatz von 7,9 Mrd. Euro.

An der Börse wurde die Aufspaltung – zumindest zum Start – euphorisch aufgenommen. Erstnotiz der beiden neuen Gesellschaften war am 11. Dezember an der Euronext Brüssel und Paris. Die Titel steigerten ihren gemeinsamen Marktwert in den ersten beiden Handelstagen laut Bloomberg um 13% oder in Summe 1,6 Mrd. Euro.

Inzwischen sind Handelsvolumen und Kurse wieder abgebröckelt. Der Erfolg schürt gleichwohl Hoffnung im Markt, dass weitere Spin-offs folgen werden. „Die ersten Marktreaktionen auf den Spin-off der Solvay lassen erkennen, dass Fokussierung belohnt wird“, sagt Bastian.

Mit Blick auf das Transaktionsgeschäft rechnet der Branchenexperte von Houlihan Lokey mit einer Belebung. „Die M&A-Pipeline an sich ist gut bestückt. Sowohl Unternehmen als auch Private Equity wollen Assets verkaufen“, sagt Bastian. Viele Transaktionen seien vorbereitet, aber erstmal auf Halten gesetzt. „Einige Assets sollten gleichwohl in den nächsten Monaten auf den Markt kommen.“

"Seltenheitswert"

Interesse auf Käuferseite sei da, „zumal Transaktionen derzeit einen gewissen Seltenheitswert haben“. Die zum Verkauf gestellten Aktivitäten dürften aber nicht von den aktuellen Problemen zu stark in Mitleidenschaft gezogen sein, „ansonsten sind teilweise deutliche Wertabschläge einzuplanen“, warnt Bastian und ergänzt: „Stabile Nischen- und Spezialgeschäfte gehen eigentlich immer – auch zu attraktiven Bewertungen.“

Mit Blick auf die Bewertungen werde sich absehbar zeigen, ob man sich auf Verkäuferseite schon an niedrigere Kapitalmarkt-Bewertungen gewöhnt habe und bereit sei, nicht mehr die erhöhten Ebitda-Multiples der vergangenen Jahre von teilweise über zehnmal bis elfmal, sondern eher „im hohen einstelligen Bereich“ zu akzeptieren. „Das wird zum Lackmustest“, resümiert Bastian.

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