Chemieindustrie senkt Jahresziele
Chemieindustrie senkt Jahresziele
Keine Erholung in Sicht – Branche befürchtet anhaltende Wettbewerbsnachteile durch höhere Energiekosten
Schwache Nachfrage, hohe Produktionskosten und trübe Konjunkturaussichten machen der deutschen Chemieindustrie schwer zu schaffen. Der Branchenverband VCI senkt seine Prognose für 2023 deutlich und erwartet Einbrüche bei Produktion und Umsatz. Eine Aufhellung ist nicht in Sicht.
swa Frankfurt
Nach zahlreichen Gewinnwarnungen aus der Chemieindustrie schraubt nun auch der Branchenverband VCI seine Jahresziele zurück. „Die Konjunktur spielt nicht mit, die Lage am Standort Deutschland ist ernst “, warnt VCI-Präsident Markus Steilemann. Seit Wochen würden die Erwartungen in der Branche nach unten korrigiert, Deutschland und Europa seien in der Rezession, die USA werden in den kommenden Monaten folgen, auch in China habe sich die Konjunktur deutlich abgekühlt, umreißt Steilemann das Marktumfeld. „Wir sehen keine echte Belebung in irgendeiner Art und Weise “, sagt der Manager – im Hauptberuf Chef des Chemiekonzerns Covestro, der gerade vom arabischen Ölkonzern Adnoc als mögliches Übernahmeziel ins Visier genommen wird.
Die Branche sieht kein Licht am Ende des Tunnels. Vor einigen Monaten hatten die Firmen noch auf eine Erholung in der zweiten Jahreshälfte gehofft. Doch der Auftragseingang ist nach Angaben des VCI seit mehr als einem Jahr rückläufig. Hohe Produktionskosten belasten. Zwar sind die Energiepreise rückläufig, sie übersteigen aber immer noch das Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2019. Die Chemikalienpreise sind unter Druck, liegen im ersten Halbjahr 5% über Vorjahr.
Nicht ausgelastet
Der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie schrumpfte in den ersten sechs Monaten um 11,5% auf 114 Mrd. Euro. Dabei brach der Inlandsumsatz um 15,5% ein, das Auslandsgeschäft war etwas moderater um 8,5% rückläufig. Die Produktion ging im ersten Semester um 10,5% zurück, ohne Pharmageschäft ging es sogar um 16,5% bergab. Am stärksten getroffen sind die Anbieter chemischer Grundstoffe mit deutlich zweistelligen Produktionseinbußen, während die Spezialchemie in der Produktion um 6% unter Vorjahr liegt. Mit durchschnittlich 77% sind die Kapazitäten nicht ausgelastet.
Für 2023 erwartet der Verband nun einen Rückgang der chemisch-pharmazeutischen Produktion um 8%, ohne das Pharmageschäft könnte es auf ein Minus von 11% hinauslaufen. Der Branchenumsatz dürfte um 14% sinken. Bislang war der Verband von einem Rückgang der chemisch-pharmazeutischen Produktion von 5% und einem Umsatzminus von 7% ausgegangen. Für die Chemie ohne Pharma war bislang ein Produktionsrückgang um 8% vorhergesagt worden.
„Nicht wettbewerbsfähig “
„Die Zahlen für das erste Halbjahr sind rot und die Produktionskosten am Standort Deutschland nicht wettbewerbsfähig “, kritisiert Steilemann und verweist auf deutlich niedrigere Industriestrompreise in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Deutschland sei hier hinter Dänemark fast „einsame Spitze “. Die Branche ist aus Sicht des Managers mit einem „Klumpenrisiko “ konfrontiert. Hohe Energiepreise und Unternehmenssteuern, schlechte Infrastruktur, Fachkräftemangel, Digitalisierungsstau und „Bürokratiewahnsinn “ raubten den Unternehmen die Zuversicht.
Die Chemie sei auf wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen und kämpfe für einen Industriestrompreis für die Zeit, bis genügend Energie aus erneuerbaren Quellen bereitstehe. „Wir bleiben bekennende Marktwirtschaftler “, so Steilemann, ein zeitlich befristeter Preisdeckel sei aber entscheidend, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Unter „besten Annahmen “, wenn die für 2030 gesteckten Ausbauziele für Erneuerbare erreicht würden, könnte der Industriestrompreis auf sechs bis sieben Jahre begrenzt werden, meint Steilemann und ergänzt: „Wir möchten der Gesellschaft nicht auf der Tasche liegen. “