Chinas Autokäufer werden erwachsen, und das wird teuer
Von Norbert Hellmann, SchanghaiWas vermag Chinas rasante Wohlstandsmehrung und das Konsumpotenzial einer aufstrebenden Mittelschicht besser zu dokumentieren als die Lust am Automobil? Wir zählen den 333. Tag im laufenden Jahr und an 239 der bisherigen Tage hat in einer der Hunderten chinesischen Großstädte eine Autoausstellung mit flottem Kundenzulauf und (für chinesische Verhältnisse) extrem flott gekleideten Fotomodellen stattgefunden. Gerade läuft die zu den Topveranstaltungen zählende Guangzhou Auto Show 2012.Angesichts der flauen Absatzperspektiven auf westlichen Kfz-Märkten ist das China-Engagement der großen Autokonzerne der vielleicht wichtigste Bestimmungsfaktor für den künftigen Konzernerfolg. Allein die demografischen Voraussetzungen machen den Zukunftsplanern glänzende Augen. Da wäre eine gigantische Population von einem Fünftel der Weltbevölkerung, deren durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen sich im Laufe der Dekade mehr als verdoppeln dürfte und die derzeit eine noch extrem geringe Pkw-Eigentümerrate aufweist (siehe Grafik). Von einer Sättigungsgrenze ist man meilenweit entfernt.Es gibt also jede Menge Raum für Wachstum, auch wenn es zwangsläufig nicht mehr so rasant ausfallen wird wie in den vergangenen Jahren. Zwischen 2005 und 2011 betrug das durchschnittliche Jahreswachstum beim Pkw-Absatz 24 %, es zeigt aber im laufenden Turnus konjunkturbedingt Schleifspuren auf. Nach zehn Monaten sind die Verkäufe nur um knapp 7 % vorangekommen. Branchenexperten rechnen allerdings mit einer Stabilisierung des Marktes, weil insbesondere im Segment der höherpreisigen Limousinen der Zustrom von sukzessive besser verdienenden Neukunden ungebrochen bleibt, während bei zahlreichen Erstkäufern der vergangenen Jahre nun Ersatzkäufe anstehen.Eine zum Start der Guangzhou Auto Show lancierte Branchenstudie der Unternehmensberatung McKinsey steckt für den Zeitraum bis 2020 das durchschnittliche jährliche Wachstum im chinesischen Kfz-Markt bei satten 8 % ab. Zu Beginn der neuen Dekade wäre der chinesische Markt laut dieser Projektion dann mit einem auf 22 Millionen Stück veranschlagten jährlichen Fahrzeugverkauf größer als das Absatzvolumen in Nordamerika und Europa zusammengenommen. Luxus hat ZukunftAls gute Nachricht für europäische und insbesondere deutsche Autobauer mag gelten, dass das projizierte jährliche Wachstum im von ihnen gut besetzten Segment der Luxuslimousinen (jenseits von 600 000 Yuan oder 75 000 Euro Kaufpreis) mit rund 12 % bis zum Jahr 2015 und danach 10 % bis 2020 höher als für den Gesamtmarkt ausfallen dürfte. Für die westlichen Limousinenfabrikanten und ihre chinesischen Kooperationspartner mag dies eine Bestätigung sein, dass ihre erheblichen Anstrengungen bei der Aufrüstung von Produktionskapazitäten vor Ort richtungweisend waren. Sie werden sich aber dennoch im chinesischen Markt wesentlich schwerer tun als bislang.Da man in den zurückliegenden fünf Jahren im chinesischen Luxuslimousinenmarkt Wachstumsraten von über 40 % sah, werden die niedrigen zweistelligen Expansionsraten der Zukunft in jedem Fall wie ein Abstieg wirken. Und selbst etablierte westliche Marken werden keinen so leichten Stand mehr beim betuchten chinesischen Kunden haben. Chinas Autokäufer werden laut McKinsey sophistizierter. Das heißt, sie erwarten gerade in den höherpreisigen Modellklassen mehr Auto beziehungsweise mehr Schnickschnack fürs Geld und beschwören damit einen Ausrüstungswettlauf herauf.Die Fähigkeit zur Befriedigung chinaspezifischer Kundenbedürfnisse, angefangen beim verlängerten Radstand (für die oft chauffierten Privatfahrzeuge), wird ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Ringen um eine laut Marktforschern tendenziell weniger markenfixierte Klientel sein. Das dürfte Produktionskosten hochtreiben und Margen drücken. Gleiches gilt für den Werbeaufwand in einem verschärften Wettbewerbsumfeld. Abgesehen davon hat das im Mittelpunkt einer optimistischen Absatzprognose stehende Einkommenswachstum natürlich eine Kehrseite: Denn der wachsende chinesische Wohlstand fußt nicht zuletzt auf kräftigem Lohnwachstum im verarbeitenden Gewerbe. Die Autoindustrie muss sich auf einen in ihre Margen fressenden Kostenanstieg des Faktors Arbeit gefasst machen. Ab in die ProvinzUnd dann ist da noch ein räumlicher Faktor. Chinas Kundenreservoir mag aufs Erste unerschöpflich wirken, aber das Land ist auch in seinen geografischen Ausmaßen schwer zu fassen. Die Masse der Autokäufer der Zukunft lebt weniger in den bereits gut abgegrasten und mittlerweile vom Verkehrsinfarkt geprägten Metropolen wie Peking, Schanghai, Shenzhen und Guangzhou als in den Dutzenden Millionenstädten der sogenannten dritten und vierten Liga in entlegeneren Gebieten.Dort manifestiert sich zwar jene Einkommensdynamik, die gerade auch den Limousinenbauern neuen Erstkundenzulauf bringen könnte, sie kann aber nur angezapft werden wenn die markengebundenen Händler- und Werkstattnetze sich entsprechend verästeln. Der chinesische Automarkt bietet damit Chancen, die nur mit der Annahme einer logistischen Herausforderung der besonderen Art zu erschließen sind. Sie können für die erfolgsverwöhnten westlichen Autobauer aus einer Goldgrube leicht ein Kostengrab machen.