Chinas Liebe zum Luxus wird auf harte Proben gestellt
Auf den unersättlichen Hunger chinesischer Konsumentennach westlichen Labels ist im jetzigen Konjunkturklima nur noch bedingt Verlass. Die Luxusgüterbranche macht sich auf einen schwierigeren Markt gefasst. Hinzu kommt Pekings neue Linie zum Unterbinden der Geschenketradition im öffentlichen Dienst.Von Norbert Hellmann, SchanghaiDas Lederwaren- und Modehaus Louis Vuitton will es im chinesischen Markt mit einer Ladeneröffnung der Superlative wissen. Inmitten Chinas exklusivster Shopping Mall, dem Plaza 66 in Schanghai, steht nun ein vierstöckiger Luxustempel, dessen aufwendige Fassade das ikonische Louis-Vuitton-Design repliziert und dessen Eröffnung den 20-jährigen Geburtstag der Präsenz in China markiert.Nach dem LV Maison genannten Konzept der französischen Traditionsfirma soll das Ensemble einem exklusiven Penthouse gleichen, wobei den Clou das “Apartment” im obersten Stock abgibt: eine für die VIP-Klientel reservierte und nur auf Einladung zugängliche Etage, wo die “big spenders” nach eigener Vorstellung gefertigte Einzelstücke von der Handtasche über den Koffer bis zum Schuhwerk ordern – zu Preisen, die einem die Schuhe ausziehen, versteht sich. USA und Japan vorneDass Louis Vuitton das weltweit nur sparsam verwendete Maison-Konzept nach China gebracht hat, spricht Bände über die Einschätzung des Reifegrades des Luxusgütermarktes. Dass er riesig ist und überdurchschnittliches Wachstumspotenzial aufweist, weiß man natürlich. Binnen weniger Jahre ist China zum weltweit drittgrößten Edelwarenabsatzmarkt nach den USA und Japan avanciert und dürfte bei Fortsetzung des Trends bis 2015 rund 20 % des globalen Marktanteils für sich beanspruchen, dabei aber für etwa 70 % des Wachstums stehen.Der Branchenverband World Luxury Association (WLA) erwartet, dass China bis Jahresende Japan als größten asiatischen Markt für Luxuskonsum abgelöst haben wird. Der WLA zufolge können 16 % der chinesischen Bevölkerung und damit etwa 200 Millionen Konsumenten als regelmäßige Käufer für die kleinen feinen Dinge des Lebens gelten.Dass China als Markt für die exklusivsten Modeketten zu einem entscheidenden Absatzgebiet herangewachsen ist, liegt nicht zuletzt an dem gewaltigen Reservoir an High Net Worth Individuals, sprich Millionären. Die unausgeglichene Einkommensverteilung bedingt aber, dass es jenseits der Superreichen noch an einem Mittelbau mit Gutverdienern fehlt, wie man ihn beispielsweise in Japan vorfindet. Dafür zeigen sich Chinesen schmerzunempfindlicher, wenn es darum geht, einen signifikanten Anteil des verfügbaren Einkommens in teure Modeartikel, Accessoires und Geschenke zu versenken. Wie Erhebungen bei der Unternehmensberatung McKinsey zeigen, sind chinesische Käufer bereit, 10 bis 15 % ihres verfügbaren Einkommens auf Luxusartikel zu verwenden, während es in Japan nur etwa 4 % sind.Louis Vuittons Vizepräsident mit Zuständigkeit für Asien-Pazifik, Christopher Zanardi-Landi, hält den Zeitpunkt für eine Maison-Eröffnung für gut gewählt, weil sich der Sophistizierungsgrad der Kundschaft im Reich der Mitte dramatisch gewandelt habe. Vor zehn Jahren gab es zwar bereits reichlich betuchte Chinesen, die westlichen Modehäusern die Ware aus den Händen rissen, dabei aber blindlings logogetrieben vorgingen. Nun aber, meint Zanardi-Landi, habe sich eine sehr kritische, im Luxusgütermarkt bewanderte Käuferschicht entwickelt, die es einzufangen gelte. Dies färbt auf die Expansionsstrategie des Hauses ab. Statt weiter in die Fläche, sprich die weniger bekannten chinesischen Millionenstädte zu ziehen, geht es um eine Aufwertung und Differenzierung der Verkaufsstellen in Städten wie Schanghai oder Peking.Den Exklusiv- und Traditionsanspruch eines französischen Hauses mit den Charakteristika eines chinesischen Einkaufserlebnisses zu verbinden, erfordert aber dennoch eine gewisse Anpassungsfähigkeit. Während Modetempel in Bestlagen der europäischen Hauptstädte eine gewisse Aura verbreiten, die nicht jeden willkommen heißt, lässt sich in China eine an Äußerlichkeiten aufgehängte Kundenfilterung kaum durchsetzen. Dass sich jede Menge Spaziergänger und Badeschlappen tragende Familien im Plaza 66 einfinden, wird in Kauf genommen – eine nicht ganz unwichtige Facette einer Marktstrategie, die – bei allen Lippenbekenntnissen zum Exklusivitätsanspruch im Maison-Konzept – die Notwendigkeit zum Einfangen neuer Laufkundschaft unterstreicht. Von wegen LoyalitätDas Klischee des auf bestimmte Nobelmarken fixierten und damit leicht einzufangenden chinesischen Kunden muss mittlerweile revidiert werden, zeigt eine Studie der Beratungsfirma Bain & Company. Chinesen sind demnach abenteuerlustige Shopper und stets bereit, sich auf neue Namen einzulassen. Auch die These vom Kunden, der im Zuge wachsender Kennerschaft eine zunehmende Loyalität an den Tag legt, wird von der Untersuchung verneint. Dies ist eine für Brand Manager wichtige, aber auch ernüchternde Erkenntnis, zumal die rasanten Wachstumsraten im chinesischen Luxusartikelmarkt der letzten Jahren nicht als gegeben angesehen werden dürfen.Im Zuge des frostigeren Konjunkturklimas lassen sich Expansionsraten von 25 bis 30 %, auf die sich die marktführenden großen westlichen Namen bislang stützen konnten, nicht mehr fortschreiben. Im laufenden Jahr ist das Marktwachstum unter die 20-%-Marke gedrückt worden. Indizien für einen Dynamikverlust des chinesischen Luxusgeschäfts gibt es zuhauf. Adressen wie Burberry und Prada, die mittlerweile rund ein Viertel ihrer Konzernumsätze aus dem großchinesischen Markt ziehen, berichteten zuletzt von einem stark abgebremsten Absatzwachstum. Auch die Louis-Vuitton-Mutter LVMH oder Financière Richemont, dazu Juwelierketten wie Tiffany und der chinesische Marktführer im Schmuckretailing Chow Tai Fook aus Hongkong berichten von einem getrübten Geschäft.Verflogen ist zudem die Euphorie der Luxusartikelhersteller, ihre starke Geschäftspräsenz vor Ort mit begleitenden Kapitalaufnahmen via Börsengänge in Hongkong zu unterstreichen. Während die Aktien der 2011 neu in Hongkong gelisteten Adressen wie Prada und Chow Tai Fook bereits unter ihren Ausgabepreis gegangen sind, haben andere Adressen ihre Pläne zunächst einmal zurückgestellt. Als besondere Enttäuschung gilt der Rückzieher des Londoner Juwelierhauses Graff Diamonds, dessen gut 1 Mrd. Dollar schweres IPO in Hongkong mangels Investorennachfrage und mit Blick auf eine unattraktive Marktbewertung abgeblasen wurde.McKinsey zufolge wird die Nachfrage nach Luxuskonsumgütern in den kommenden drei Jahren durchschnittlich immer noch um 18 % zulegen können. Diese Einschätzung reflektiert allerdings nicht die möglicherweise gravierende Dämpfungswirkung auf den Markt, die von neuen Regularien zur Begrenzung der in Regierungs- und Beamtenkreisen überhandnehmenden Geschenketradition ausgeht. RückschlagpotenzialEs mag wie ein Randaspekt wirken, tatsächlich aber ist der chinesische Luxusmarkt wie kein zweiter auf der Welt vom Gefälligkeitenkarussell – um nicht zu sagen Korruptionszyklus – auf allen Ebenen des politischen Wirkens geprägt. Peking erlässt nun zum 1. Oktober ein offizielles Verbot für Angestellte des öffentlichen Dienstes, Regierungsmittel zum Kauf von Luxusartikeln gleich welcher Zweckbindung zu verwenden. Hier kann man sich in der Branche auf herbe Rückschläge gefasst machen. Während man bei Bain etwa 20 % des Luxusartikelmarktes mit der Beschenkung von Offiziellen und der Geschäftskontaktpflege in Verbindung bringt, spricht die Nachrichtenagentur Xinhua mit Berufung auf Regierungskreise von bis zur Hälfte des Luxusartikelmarktes.