Chinesen drehen in Deutschland voll auf
Noch nie waren sie so wertvoll wie heute, zumindest aus Sicht der Chinesen: Deutsche Industrieperlen sind in der Volksrepublik als Kaufobjekt beliebter denn je. Im ersten Halbjahr 2016 hat die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY bereits 37 Zukäufe gezählt. Der Einstieg von Midea beim Roboterbauer Kuka ist einer davon. Nur US-Amerikaner und Schweizer kaufen mehr als die Chinesen.ds Frankfurt – Chinesische Investoren haben Deutschland als Ziel für Zukäufe nicht erst gestern entdeckt, aber spätestens seit dem Griff nach dem Roboterbauer Kuka ist klar, dass sie auch vor großen Deals hierzulande nicht zurückschrecken. Allein im ersten Halbjahr haben sie nach 37 Unternehmen die Hand ausgestreckt – das sind schon mehr Transaktionen als im gesamten Jahr 2014 und nur zwei weniger als im gesamten Vorjahr (siehe Grafik).Noch weitaus stärker als die Anzahl der Deals hat sich das Volumen gesteigert. Allein schon der mit 4,7 Mrd. Dollar bewertete Einstieg von Chinas Haushaltsgerätehersteller Midea beim Augsburger Roboterbauer Kuka sprengt alles bisher Dagewesene; hinzu kommen mit dem Müllverbrennungsspezialisten EEW und dem Kunststoffspritzguss-Maschinenhersteller KraussMaffei zwei weitere Milliardendeals, so dass sich das Gesamtvolumen im ersten Halbjahr auf umgerechnet 10,8 Mrd. Dollar summiert – das 20-Fache des Volumens aus dem Vorjahr.In der vergangenen Dekade waren chinesische Investoren in Deutschland vor allem mit ihrem Interesse an Autozulieferern aufgefallen. Aktuell scheinen dagegen vor allem Spezialmaschinenbau, erneuerbare Energie und Umwelttechnik auf dem Einkaufszettel zu stehen, wie der Griff nach den Maschinenbauern Kuka, KraussMaffei und Aixtron, dem Solarspezialisten Manz, dem Offshore-Windparkbetreiber WindMW und Bilfingers Wassertechnik zeigt (siehe Tabelle). Einkauf für die Equity Story”Mit dem verlangsamten Wachstum auf dem Heimatmarkt sehen sich die chinesischen Unternehmen gezwungen, neue Geschäftsfelder aufzubauen und sich von der Massenproduktion in Richtung Spezialisierung und Hochtechnologie zu bewegen”, sagt Yi Sun, Partnerin bei EY Deutschland. “Der kürzeste Weg dahin besteht in Akquisitionen ausländischer Marktführer.” Auf der anderen Seite suchten zurzeit viele chinesische, lokale Private-Equity-Gesellschaften für ihre Portfolio-Unternehmen passende Übernahmeziele und fokussierten dabei auf erfolgreiche und innovative Unternehmen in Europa – mit dem Ziel, eine überzeugende Equity Story für einen späteren Börsengang in Hongkong bieten zu können. “Auch diese Entwicklung führt zu mehr erfolgreichen Abschlüssen in Europa”, sagt Sun.Die Folge: China steht im ersten Halbjahr 2016 auf Platz 3 der größten Investoren in Deutschland hinter den USA (64 Akquisitionen) und der Schweiz (45 Zukäufe). 2015 lag China noch auf dem fünften Rang, 2014 auf dem sechsten Platz. Schon länger ist China der – nach den USA – zweitgrößte außereuropäische Investor in Deutschland.In Europa tätigten chinesische Unternehmen im ersten Halbjahr Zukäufe im Wert von 72,4 Mrd. Dollar nach einem Volumen von knapp 40 Mrd. Dollar im Jahr 2015. Noch deutlicher fällt der Sprung in Deutschland aus: Hier stiegen die Investitionen von 526 Mill. Dollar im Gesamtjahr 2015 auf 10,8 Mrd. Dollar in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Vor Frankreich und EnglandMit 37 getätigten Akquisitionen bleibt Deutschland in Europa das bevorzugte Investitionsziel chinesischer Unternehmen. Auf dem zweiten Platz steht aktuell Frankreich mit 23 Akquisitionen nach 21 im gesamten Vorjahr und schiebt sich damit vor Großbritannien – dort haben chinesische Investoren laut EY bisher 20-mal investiert, 2015 gab es insgesamt 37 Transaktionen.Auch wenn das Jahr 2016 dank mehrerer Megadeals möglicherweise zum Ausnahmejahr wird – es bestätigt eindrucksvoll den Trend, dass chinesische Investoren in Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen am Drücker sind. Im Jahr 2005 wurden gerade einmal 34 europäische Unternehmen von chinesischen Investoren gekauft. Alexander Kron, Partner bei EY, erklärt die stürmische Entwicklung auch damit, dass sich in Europa beziehungsweise Deutschland derzeit viele Private-Equity-Gesellschaften von Beteiligungen trennen wollen und bei chinesischen Investoren auf großes Interesse stoßen. Agrarchemie und SpieleWie der Kuka-Deal zeigt, bieten die Chinesen zudem sehr üppige Prämien, die für die Eigner der Zielobjekte kurzfristig konkurrenzlos scheinen. Besonders wenn chinesische Staatsfirmen im Spiel sind, zeigt sich, dass die Chinesen einerseits mit ihren Akquisitionen langfristige strategische Interessen verfolgen und andererseits ihre gewaltigen Devisenreserven nicht mehr nur in niedrig verzinste Staatsanleihen stecken wollen, sondern auf Industrieperlen ausweichen – kleine und ganz große: Der mit Abstand voluminöseste Deal in Europa ist die noch nicht abgeschlossene Übernahme des schweizerischen Agrarchemiekonzerns Syngenta durch Chemchina für umgerechnet 44 Mrd. Dollar, gefolgt von der Übernahme des finnischen Online-Spiele-Entwicklers Supercell (“Clash of Clans”) für 8,6 Mrd. Dollar. Kuka folgt mit 4,7 Mrd. Dollar auf Rang 3 auf der Liste der europaweiten Ziele der Chinesen im ersten Halbjahr 2016.