"Compliance ist eine Frage der Haltung"

ThyssenKrupp geht im Schienenkartellfall rigoros gegen frühere Vorstände vor - Neue Verfahren starten

"Compliance ist eine Frage der Haltung"

Von Andreas Heitker, DüsseldorfWenn am nächsten Montag vor dem Bochumer Landgericht der zweite Teil der Strafprozesse im sogenannten Schienenkartellfall beginnt, wird einmal mehr das frühere Geschäftsgebaren des Industriekonzerns ThyssenKrupp in den Fokus gerückt. Von den sieben Angeklagten sind vier frühere hochrangige Manager des Dax-Unternehmens. Uwe Sehlbach und Reinhard Quint, gegen die der Stahlkocher auch zivilrechtlich noch vorgeht, waren sogar Segmentvorstände gewesen. Gegen sie macht ThyssenKrupp den kompletten Schaden geltend, den das Schienenkartell bislang im Konzern verursacht hat: mehr als 300 Mill. Euro. Über 300 Mill. Euro SchadenWie im ersten Verfahrensteil im Mai tritt der Dax-Konzern nun erneut als Nebenkläger auf. In dem ersten Prozess ging es um Manager, die weitgehend geständig waren und sich an der Aufarbeitung aktiv beteiligt hatten. Sie erhielten vom Gericht hohe Geldauflagen. Die Angeklagten in der nun beginnenden zweiten Welle sind bisher nicht geständig. “Wir sind beim Versuch der Aufklärung zum Teil systematisch belogen worden”, sagt Donatus Kaufmann, der im ThyssenKrupp-Vorstand seit 2014 das Thema Compliance verantwortet.Das selbst ernannte “Kartell der Schienenfreunde” war 2011 durch einen Kronzeugenantrag des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine aufgeflogen. Bei ThyssenKrupp hat sich die Tochter GfT Gleistechnik an den Preisabsprachen beteiligt. Wie lange das Kartell bestand, weiß bis heute niemand so genau. Das Bundeskartellamt setzte bei seinen Bußgeldberechnungen einen Zehnjahreszeitraum ab 2001 an. Bei ThyssenKrupp geht man mittlerweile aber davon aus, dass die Absprachen zulasten der Deutschen Bahn sowie von kommunalen und privaten Bahnbetrieben bereits deutlich früher begannen – möglicherweise sogar schon in den achtziger Jahren.ThyssenKrupp trennte sich im Zuge der Ermittlungen von 15 Mitarbeitern. In fünf Fällen gab es bislang Verständigungen und Vergleiche. Zehn Verfahren sind noch anhängig. Im Fall der früheren Vorstände Sehlbach und Quint laufen noch die Schadenersatzprozesse vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf beziehungsweise dem Landgericht Dortmund. Auch die Verhandlungen mit den Geschädigten sind noch nicht beendet, auch wenn es mit dem Hauptgeschädigten, der Deutschen Bahn, bereits vor knapp zwei Jahren eine Verständigung gab.Insgesamt hatte ThyssenKrupp 2013 hierfür Rückstellungen von 207 Mill. Euro gebildet. Wie lange die Aufarbeitung eines so großen Kartellfalls dauern kann, weiß der Konzern bereits aus dem Aufzugskartell. Hier wurde dem Unternehmen bereits 2007 ein Rekordbußgeld von der EU-Kommission aufgebrummt. Die Schadenersatzverhandlungen sind auch heute noch nicht beendet. Neue WertekulturFür Konzernvorstand Kaufmann ist es angesichts dieser Fehltritte in der Vergangenheit klar, dass jetzt hart gegen die Verantwortlichen vorgegangen werden muss, auch um ein Zeichen für eine neue Konzernkultur zu setzen: “Uns geht es in erster Linie nicht nur darum, die 300 Mill. Euro wieder hereinzuholen”, so der Jurist. Es sei vielmehr eine prinzipielle Frage. Es gehe darum, den Konzern noch stärker mit einer Wertekultur zu durchdringen. “Compliance ist eine Frage der Haltung.”Kaufmann hat den Compliance-Bereich bei ThyssenKrupp im vergangenen Jahr nach einer eingehenden Risikoanalyse neu aufgestellt. Der jetzt in Bochum beginnende Prozess soll weitere Hinweise liefern, wo das neue System noch nachgebessert werden muss.