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Corporate Governance: Retten Aktionäre jetzt die Welt?

Börsen-Zeitung, 25.10.2019 Investoren haben sich schon vielen Bezeichnungen ausgesetzt gesehen. Zunächst als Heuschrecken gebrandmarkt, werden sie seit kurzem als edle Ritter für Klima, gute Unternehmensführung und soziale Belange aufs Podest...

Corporate Governance: Retten Aktionäre jetzt die Welt?

Investoren haben sich schon vielen Bezeichnungen ausgesetzt gesehen. Zunächst als Heuschrecken gebrandmarkt, werden sie seit kurzem als edle Ritter für Klima, gute Unternehmensführung und soziale Belange aufs Podest gehoben. Investoren, Eigentümer, Aktionäre . . . – in den großen deutschen börsennotierten Unternehmen sind dies längst nicht mehr Kleinanleger, sondern mehrheitlich ausländische Kapitalsammelstellen, die ihre Anteile im europäischen Durchschnitt nicht mehr als acht Monate lang halten. Aber das scheint vielen Politikern noch immer nicht bewusst zu sein – mit der Konsequenz, dass über die zweite Europäische Aktionärsrechterichtlinie auch in Deutschland ein zuvor ausbalanciertes Kräfteverhältnis zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Aktionären deutlich zugunsten von Investoren verschoben wird.Allerdings: Vollzug für diese Verschiebung ist noch nicht zu vermelden. Der Referentenentwurf zur nationalen Umsetzung der zweiten Europäischen Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) liegt seit November 2018 vor, der Gesetzentwurf seit Mai 2019. Seither herrscht Stillstand in der Legislative und dies ist aus Unternehmenssicht das eigentliche Drama. Denn die Vorbereitung auf die Hauptversammlungssaison 2020 ist bereits in vollem Gange. Investoren und Stimmrechtsberater haben sich mit ihren Richtlinien zu Governance-Themen festgelegt und erwarten Konsultationen bis Jahresende. Umso ärgerlicher ist das Schweigen seitens der Politik. Eine zeitnahe verbindliche Klärung, wann das neue Gesetz in Kraft tritt und – vor allem – ob noch mit Wirkung zur kommenden Hauptversammlungssaison, ist unabdingbar! Mehr Trainer als SpielerDie Regulierung von Unternehmen ist mittlerweile generell aus den Fugen geraten. Die Vorstandsvergütung ist dafür ein Indikator. Während dem Aufsichtsrat Entscheidungen über hunderttausende Jobs und Milliardeninvestitionen zugetraut werden, wird ihm über Gesetze und den Deutschen Corporate Governance Kodex detailliert vorgegeben, wie Vergütungen auszugestalten sind. Letztlich stehen hier – vergleichbar mit dem Fußball – mehr Trainer an der Seitenlinie als Spieler auf dem Feld. Und die diversen Vorstellungen zu Aktienhaltevorschriften, ESG- und Nachhaltigkeitskriterien , finanziellen Erfolgsgrößen, Wettbewerbervergleichen etc. machen das Spiel am Ende hoch komplex und karikieren den Ruf nach einfachen Vergütungssystemen.Da lohnt ein Blick auf alle “Besserwisser” und deren Professionalität. So verfügten von den 40 größten institutionellen Investoren in Deutschland Ende 2018 mehr als 40 % über keine Grundsätze zur Bewertung von Vorstandsvergütung. Bis auf wenige lobenswerte Ausnahmen wie BlackRock, AGI, Deka oder DWS ist vielen Investoren in diesem Thema tiefere Kenntnis und Interesse abzusprechen.Warum ist das gefährlich? Investoren interessiert nicht die Vergütung selbst! Ihr Augenmerk gilt den zugrunde liegenden Kennzahlen, der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und dem Anspannungsniveau in den Zielsetzungen. Dies sind per heute ureigene Aufgaben des Vorstands zusammen mit dem Aufsichtsrat. Durch die vorgesehene Zuständigkeit der Hauptversammlung kommt es jedoch zu einer Kompetenzverschiebung weg vom Aufsichtsrat hin zu Investoren mit ihren speziellen Interessenlagen, die sich keineswegs mit jenen der Unternehmen decken (müssen).Beim Blick auf Investoren dürfen Stimmrechtsberater nicht außer Acht gelassen werden. Mit ISS bewegt ein amerikanischer, global dominierender Stimmrechtsberater durchschnittlich etwa 30 % der Voten auf einer deutschen Hauptversammlung – zusammen mit Glass Lewis als Co-Duopolisten sind es noch mehr. Gerne wird argumentiert, dass Stimmrechtsberater nur investorenspezifische Richtlinien prüfen. Das ist in der Tat unkritisch. Zum Problem werden die Services, wenn Investoren nicht willens oder in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden und blind die Empfehlungen von ISS & Co in ihr eigenes Stimmverhalten umsetzen, ohne dies transparent zu machen. Ruf nach RegulierungAuch sollten Stimmrechtsberater aus Unabhängigkeitsgründen grundsätzlich allein für Investoren tätig sein. Der größte Stimmrechtsberater, ISS, generiert aber einen nicht unerheblichen Anteil seines Umsatzes aus der Beratung von und der Lizenzvergabe an Unternehmen. Dieser Interessenkonflikt ist dem Tatbestand der Selbstprüfung nahe und aus wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich. Das ARUG II sieht dazu eine freiwillige Transparenz vor. Diese wird aber dem Sachverhalt nicht gerecht. Beratungsleistungen, die inhaltlich mit der Stimmabgabe zu tun haben, sind rechtlich zu untersagen. Hier ist auch die Kapitalmarktaufsicht gefordert.Investoren argumentieren in ihrem Mitspracheverlangen mit treuhänderischer Pflicht ihren Geldgebern gegenüber. Das Konzept der Treuhandschaft setzt aber – in der Mehrheit bislang kaum gelebte – zentrale Regeln voraus: die Veröffentlichung von Abstimmungsrichtlinien, die elektronische, zentrale Meldung des Abstimmungsverhaltens und schließlich die Veröffentlichung des Prozesses, mit dem Emittenten auf Investoren zugehen können. Das ARUG II fordert dazu einmal mehr nur freiwillige Transparenz ein. Aber auch hier gilt: Das ist zu wenig!Mit der erweiterten Mitsprache von Investoren in Fragen der Corporate Governance und Vorstandsvergütung geht eine zunehmende Verantwortung einher. Und verantwortliches Investieren braucht klare Spielregeln, wie sie beispielsweise der britische Stewardship Code definiert. Regulatoren und Gesetzgeber sollten sich diesem Hebel zuwenden. Die Stellschraube der Corporate Governance für die Unternehmen selbst hingegen ist überdreht. Michael H. Kramarsch ist Delegierter des Verwaltungsrats und Managing Partner der HKP Group. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Michael H. KramarschDie Kompetenzverschiebung weg vom Aufsichtsrat hin zu Investoren verlangt nach klaren Spielregeln wie zum Beispiel im britischen Stewardship Code.