ANSICHTSSACHE

Corporate Purpose - mehr als eine Mode

Börsen-Zeitung, 16.3.2019 Unternehmen sollen vor allem Geld verdienen - das war gestern. Heute wollen 92 % der Berufstätigen zwischen 25 und 55 Jahren in Deutschland, dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Also ihre...

Corporate Purpose - mehr als eine Mode

Unternehmen sollen vor allem Geld verdienen – das war gestern. Heute wollen 92 % der Berufstätigen zwischen 25 und 55 Jahren in Deutschland, dass Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Also ihre Entscheidungen nicht nur profitorientiert treffen, sondern auch den Nutzen für die Allgemeinheit in ihr Kalkül einbeziehen. Laut einer repräsentativen Befragung der Kommunikations- und Management-Beratung Hering Schuppener sehen nur 10 % der Befragten den Zweck von Unternehmen allein in der Erzielung möglichst großer Profite. Für ein knappes Drittel steht der Gemeinwohlbeitrag des Unternehmens im Vordergrund. Die Mehrheit hält beide Ziele für vereinbar. Tsunami an VeränderungLarry Fink, CEO der weltgrößten Vermögensverwaltung BlackRock, fordert genau das von Unternehmen, in denen seine Fonds investiert sind: “Unternehmen, die keinen klaren Purpose für sich formuliert haben, werden in der Zukunft verlieren. Millennials werden für sie weniger gern arbeiten und ihr Geld seltener in die Aktien dieser Unternehmen investieren. Auf uns rollt ein Tsunami an Veränderungen zu”, erklärte Fink jüngst in Davos.Diese Sichtweise ist relativ neu, nach Jahrzehnten im Zeichen des Shareholder Value für viele vielleicht sogar revolutionär. Sie knüpft aber an ein traditionelles Verständnis von Unternehmertum an. Unternehmensgründer haben zu allen Zeiten gewusst, welches Problem sie mit ihrem Angebot lösen wollen. Dieses Wissen ist zugleich Voraussetzung für dauerhaften unternehmerischen Erfolg. Denn Menschen, die etwas unternehmen wollen, müssen überzeugen: Kapitalgeber von der Einträglichkeit ihrer Geschäftsidee, Mitarbeiter vom Sinn ihrer Arbeit, Kunden von der Werthaltigkeit des Angebots, Zulieferer von der Verlässlichkeit als Geschäftspartner und staatliche Institutionen vom gesellschaftlichen Nutzen.Grundlage all dessen ist eine klare Vorstellung vom eigentlichen Daseinszweck des Unternehmens – und damit seines übergeordneten Nutzens und seiner Verantwortung für die Gesellschaft. Worin genau diese heute zum Ausdruck kommen soll, darüber gehen die Meinungen von Berufseinsteigern, Angestellten, Führungskräften und Selbständigen auf der einen Seite und Top-Managern auf der anderen Seite auseinander. Vorstände und Geschäftsführer messen etwa Themen wie gerechtem Lohn eine deutlich geringere Bedeutung zu als die übrigen Beschäftigten (19 % vs. 64 %). Auch beim schonenden Umgang mit Natur und Umwelt (36 % vs. 54 %) oder der Schaffung bzw. dem Erhalt von Arbeitsplätzen (29 % vs. 47 %) sind die Unterschiede erheblich.Je größer und diversifizierter Unternehmen werden, desto höher ist die Gefahr, dass der ultimative Daseinszweck aus dem Blick gerät und durch Managemententscheidungen ersetzt wird, die keiner Vision und keinem übergeordneten Zweck mehr dienen. Unmittelbar mag dies keine gravierenden Auswirkungen haben, langfristig verlieren Unternehmen auf diese Weise ihren inneren Kompass und ihre Identität. Shared ValueVor allem die junge Generation erwartet von Unternehmen mehr. Für drei Viertel der 25- bis 35-Jährigen ist es bei der Berufswahl wichtig, dass ihr Arbeitgeber weiß und sich dazu bekennt, wofür er steht. Erst recht in einer Zeit, in der technologische Veränderungen die Erneuerung ganzer Geschäftsmodelle erfordern. Der Harvard-Ökonom Michael Porter spricht sich seit der Finanzkrise für eine Rückkehr der Unternehmen in die Mitte der Gesellschaft aus. Wenn Unternehmen einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, sieht er darin nicht nur eine Strategie zur Verteidigung der gesellschaftlichen Betriebserlaubnis, sondern zur Erschließung erfolgreicher Geschäftsfelder: “Der Zweck von Unternehmen muss neu definiert werden: als Schaffung von gemeinschaftlichem Wert, nicht bloß von Profit an sich. Das wird die nächste Welle der Innovation und Produktivitätssteigerung der Weltwirtschaft antreiben.” Aus Sicht von Porter gibt es keine bessere Strategie, den Bestand eines Unternehmens nachhaltig zu sichern, also Shared Value zu erzeugen.Derzeit kann man am Kapitalmarkt einen interessanten Wandel beobachten, der genau in diese Richtung zeigt. Nicht nur BlackRock-Chef Larry Fink, immer mehr Investoren sind davon überzeugt, dass Klarheit über den Unternehmenszweck eine entscheidende Weichenstellung für langfristigen unternehmerischen Erfolg ist. Für Unternehmen ist es kein leichtes Unterfangen sicherzustellen, dass alle Repräsentanten wissen, wofür ihr Unternehmen steht. Ein gemeinsames Verständnis herzustellen, ist ein mühsamer Prozess. Doch das ist heute mehr denn je eine zentrale Aufgabe der Unternehmensführung. Der politisch volatilen Stimmung in den Industrienationen können Unternehmen nur mit Hilfe von Mitarbeitern begegnen, die ihrer Überzeugung Ausdruck verleihen, dass sie einen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft zu leisten, in der sie leben. BewusstseinswandelDiese Erkenntnis hat mit dafür gesorgt, dass Vorstände und Aufsichtsräte zunehmend der Überzeugung sind, dass ihr Auftrag über die kurzfristige Erzeugung von Profit für Aktionäre hinausgeht. Sie wollen, dass ihre Unternehmen erkennbar dazu beizutragen, die sozialen und ökologischen Herausforderungen zu meistern, die Regierungen allein nicht bewältigen können. Das ist zugleich eine große Verantwortung und eine große Chance für die Wirtschaft, nicht nur ihre Geschäftsmodelle zu modernisieren, sondern ihre Verankerung in der Gesellschaft zu erneuern und die Zukunft zu sichern – die ihrer Unternehmen wie die der europäischen Lebensart.—-Prof. Dr. Christopher Storck lehrt Strategie und Kommunikationsmanagement an der Quadriga Hochschule Berlin und ist Partner der Beratungsgesellschaft Hering Schuppener. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Christopher StorckInvestoren, Kunden und Mitarbeiter wollen wissen, für welche Ziele ein Unternehmen steht und wie es zum Gemeinwohl beiträgt. —–