DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: THOMAS TOEPFER

Covestro fährt Investitionen hoch

Finanzchef macht absehbar Bedarf für neue Großanlage aus - "Aktienrückkauf ist klares Committent, im Sinne der Aktionäre zu handeln"

Covestro fährt Investitionen hoch

– Herr Toepfer, seit dem Einzug in den Dax geht es mit dem Covestro-Kurs bergab. Woran liegt das?Die Aktie von Covestro ist auch heute noch eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Seit dem IPO im Herbst 2015 hat sich der Kurs mehr als verdreifacht. – Einspruch! Mit dem Aufstieg in den Dax war es mit der guten Kursperformance vorbei.Das hängt vor allem mit makroökonomischen Themen zusammen. Von denen können auch wir uns nicht abkoppeln. Im Augenblick spielen natürlich eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren wie Schutzzölle und Handelsbarrieren eine Rolle. Wir sind aber glücklicherweise so aufgestellt, dass wir überall dort produzieren, wo wir die Produkte auch verkaufen. Aus den USA bearbeiten wir den Nafta-Raum, aus China heraus bedienen wir den gesamten asiatischen Markt. Das Thema Handelsbarrieren betrifft uns insofern nicht so sehr. Aber natürlich wären auch wir betroffen, wenn durch Handelssanktionen das Wachstum der Weltwirtschaft ins Stocken gerät. – Wie groß schätzen Sie das Risiko ein, dass es zu einem globalen Handelskrieg kommt?Meine Glaskugel ist auch nicht durchsichtiger als die von anderen. Ich glaube, das Risiko ist durchaus real, das spiegelt sich auch an der Unsicherheit auf den Kapitalmärkten. Ich glaube aber auch, dass es noch eine gute Chance gibt, die Eskalation zu vermeiden. Momentan lässt sich das schwer vorhersehen. Entscheidend für uns ist, dass wir es geschafft haben, die Widerstandsfähigkeit unserer Geschäfte deutlich zu steigern. – Was meinen Sie mit Widerstandsfähigkeit?Viele Investoren haben noch im Hinterkopf, dass unser Geschäft zyklisch ist. Richtig ist, dass der Markt zyklisch ist. Wir haben es aber geschafft, deutlich mehr Geschäfte konjunkturunabhängiger zu gestalten. Heute sind fast 55 % unseres Produktportfolios, gemessen am Umsatz deutlich weniger schwankungsanfällig. Vor einigen Jahren lag die Vergleichszahl noch bei unter 45 %. Wir haben also rund 10 Prozentpunkte in wenigen Jahren gutgemacht. Daran werden wir weiter arbeiten. – Wie haben Sie das gemacht?Wir sind mit unseren Produkten sehr nah am Kunden. Unsere Ingenieure entwickeln zusammen mit den Kunden Applikationen, sei es in der Automobilindustrie, der Medizintechnik oder in der Windindustrie. Das Grundprodukt ist häufig dasselbe wie das unserer Wettbewerber, aber die Formulierungen und Anwendungen sind kundenspezifisch und daher deutlich weniger schwankungsanfällig.- Gerade mit Blick auf die Automobilindustrie schützt das aber auch nicht vor einer konjunkturellen Abkühlung. Geht die Nachfrage zurück, sinkt auch die Nachfrage der Autoindustrie bei ihren Lieferanten.Das ist richtig, aber dazwischen liegt immer noch ein Multiplikator. Die Automobilindustrie wächst beispielsweise um 3 %, die Substitution von Stahl- und Glaskomponenten im Auto durch neue, leichtgewichtige Materialen – also dem für uns relevanten Anwendungsbereich – wächst aber um 5 %. Gleiches gilt für die Energiewirtschaft. Diese wächst vielleicht noch um knapp 3 %, die Windenergie wächst dagegen noch immer mit knapp 20 %. In dem Maße, in dem wir alte Materialien ersetzen, kommen wir auf einen deutlich höheren Multiplikator im Wachstum unserer Endkundenindustrien.- Sie sagen fast 55 % des Umsatzes sind heute weniger konjunkturanfällig. Das heißt im Umkehrschluss, dass noch 45 % des Konzernumsatzes zyklisch sind.Gerade im TDI-Geschäft haben wir im letzten Jahr von einer Fly-up-Marge profitiert. Hier wird es absehbar zu einer Normalisierung kommen. Nichtsdestotrotz erwarten wir in diesem Jahr im Konzern ein Jahresergebnis in etwa auf Höhe des Vorjahres, welches wiederum ein Rekordergebnis war. Daran sieht man, dass wir in der Lage sind, Rückgänge in einzelnen Produkten durch quantitatives Wachstum in den anderen Bereichen zu kompensieren. – Die gute Entwicklung im Geschäft mit weichen Kunststoffschäumen (TDI) war nicht zuletzt dadurch bedingt, dass BASF und Dow/Sadara Probleme beim Hochfahren ihrer neuen Anlagen hatten. Sind die Kapazitäten der Wettbewerber inzwischen am Markt?Da müssen Sie im Zweifel bei den Wettbewerbern nachfragen. Soweit wir wissen, werden die Anlagen hochgefahren. Das genau hatten wir erwartet. Insofern kommt es angebotsseitig zu einer gewissen Normalisierung.- Können Sie das bereits an den Absatzpreisen ablesen?Ja, allerdings erst in einem gewissen Umfang. Wir sehen die Entwicklung prinzipiell aber auch eher positiv. Denn ein Markt, der langfristig nicht genügend Angebot hat, ist kein vernünftiger Markt. Die Bewegung hin zu einem besseren Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ist wünschenswert.- Wo liegen im TDI-Geschäft die normalen Margen?In Summe geht es für uns um rund 500 Mill. Euro an Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.) durch die sogenannte Fly-up-Marge. Die eine Hälfte wird sich nach unserer Einschätzung in diesem Jahr normalisieren, die andere Hälfte im kommenden Jahr. Dies haben wir auch so an den Markt kommuniziert. Dann sollte aus heutiger Sicht eine Normalisierung erreicht sein.- Ist das Geschäft mit harten Kunststoffschäumen (MDI) stabiler?Der MDI-Markt ist grundsätzlich stabiler, auch wenn wir hier momentan vorteilhafte Marktbedingungen haben. Das liegt aber vor allem daran, dass wir uns in stabilere Geschäftsbereiche hineinbewegt haben. Dazu möchte ich noch einmal das Thema Windenergie bemühen. Bei unseren Rohstoffen, aus denen die Rotorblätter gefertigt werden, handelt es sich um Polyurethanlösungen, bei denen wir die Innovations- und Marktführerschaft innehaben. Auch das Thema Gebäudeisolierungen ist ein absolutes Zukunftsthema, denn dies ist eine Hauptmöglichkeit, die Energieeffizienz von ganzen Volkswirtschaften zu optimieren. – Die Chemieindustrie hat das Problem, dass Angebotsknappheit die Anbieter meist zeitgleich zum Aufbau neuer Kapazitäten verleitet. Ergebnis sind Überkapazitäten und nachfolgend Preisverfall. Wie kann diese bekannte Spirale künftig vermieden werden?Ich sehe das nicht ganz so dramatisch. In der Rückschau gab es eine herausfordernde Situation aufgrund der Weltwirtschaftskrise 2008/09. Diese war aber so im Vorfeld sicherlich nicht absehbar. Entsprechend gab es zunächst einen Nachfrageschock. Zugleich hatte die Industrie mit einem aus heutiger Sicht zu hohen Wachstum der Weltwirtschaft gerechnet und große Anlagen auf den Weg gebracht, die 2011, 2012 und 2013 an den Markt kamen. Entsprechend folgte dem Nachfrageschock ein Angebotsschock. – Wie sieht es heute aus?Schaut man sich die Situation heute an, erkennt man, dass die Wachstumsannahmen jetzt deutlich realistischer sind. Wir haben eine relativ hohe Visibilität, was die Kapazitäten in unseren relevanten Segmenten über die nächsten drei bis fünf Jahre angeht. Wir sehen nichts, was die mittelfristige Balance gefährdet. Von daher schauen wir sehr zuversichtlich nach vorn und gehen weiterhin davon aus, dass das angekündigte Angebotswachstum insgesamt eher im Gleichlauf mit dem erwarteten Nachfragewachstum sein wird.- Aufgrund der Angebotssituation haben Sie Ihre TDI-Anlagen 2017 unter Volllast gefahren. Hat sich die Situation inzwischen wieder etwas entspannt? Wir sind immer noch sehr, sehr gut ausgelastet. Nichtsdestotrotz haben wir gesagt, dass wir dieses Jahr auch in unseren Mengen wachsen wollen, im unteren bis mittleren einstelligen Prozentbereich und langfristig mit etwa 4 %. Das sollte uns mit unserem aktuellen Investitionsansatz auch gelingen. Ziel ist es, kontinuierlich Engpässe in unseren Produktionsanlagen zu beseitigen. Diese Investitionen zahlen sich recht schnell aus, weil Engpässe zeitnah beseitigt werden. Dadurch schaffen wir es, unsere Mengen kontinuierlich zu steigern. – Wie passt der sogenannte Smart-Capex-Approach mit den in Ihrer Industrie üblichen World-Scale-Anlagen zusammen? Wir verfügen über eine große installierte Basis, die über die Jahre gewachsen ist. Bei diesen Anlagen tun sich über die Jahre – auch aufgrund von Produkt-Mix-Verschiebungen – immer wieder Engpässe auf, die wir beseitigen. Umgekehrt wird sich aber auch bei uns zu irgendeinem Zeitpunkt die Frage nach einer neuen World-Scale-Anlage stellen, um das Nachfragewachstum zu bedienen.- Um welche Produktkategorie geht es dabei?Entscheidungen sind natürlich noch keine gefallen, aber insbesondere im Bereich MDI sehen wir langfristig Bedarf für eine solche Anlage. Die Entscheidung werden wir in der nächsten Zeit treffen, eine neue Anlage würde allerdings erst in vier oder fünf Jahren in Betrieb gehen- Ist damit auch eine Entscheidung getroffen, in welcher Region die Anlage gebaut wird?Nein, dazu gibt es noch keine Aussage. Das müssen wir genau analysieren, denn damit sprechen wir ein Commitment zu einer Region über die nächsten Jahrzehnte aus.- Wie lange dauert es von der Entscheidung bis zur Inbetriebnahme?Da kann man gut mit fünf oder mehr Jahren rechnen. Es geht um Themen wie Konzeption und Engineering, Genehmigungsverfahren, die durchlaufen werden müssen, und zu guter Letzt um Konstruktion und Inbetriebnahme. Nach 2023 ist entsprechend ein belastbarer Zeithorizont.- Sie hatten bereits angekündigt, die Investitionen in den nächsten Jahren kontinuierlich hochzufahren. Käme das Investitionsvolumen für eine neue Anlage on top?In der Investitionsplanung ist der Bau einer neuen World-Scale-Anlage inbegriffen. Das Investitionsvolumen fällt ja nicht auf einen Schlag an, sondern verteilt sich auf mehrere Jahre. Das jährliche Investitionsvolumen sehen wir künftig, je nach Entscheidung in einem Korridor von 700 Mill. bis 1,2 Mrd. Euro für die nächsten drei Jahre. – Ab wann werden Sie in diese Größenordnung vorstoßen? In den letzten Jahren lagen die Investitionen unter den Abschreibungen.Für dieses Jahr haben wir bereits Investitionen von 650 bis 700 Mill. Euro budgetiert, was bereits einer deutlichen Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren entspricht. Diese Zunahme bei Investitionen wollen wir in den nächsten Jahren beibehalten, wobei die Obergrenze erst bei knapp 1,2 Mrd. Euro liegt.- Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum Sie ein 1,5 Mrd. Euro schweres Aktienrückkaufprogramm fahren?Es geht darum, eine sinnvolle Balance zwischen langfristigen Investitionen zur Absicherung künftigen Wachstums und der kurzfristigen Rückgabe frei verfügbarer Mittel an die Investoren zu finden. Wir haben uns Ende 2017 für den Aktienrückkauf entschieden. Diesen Schritt hat der Kapitalmarkt ausgesprochen positiv aufgenommen. – Die positive Kursreaktion auf die Ankündigung, Aktien zurückzukaufen, ist für gewöhnlich nur von kurzer Dauer. Zugleich ist die Maßnahme das Eingeständnis, als Unternehmens nichts Sinnvolles mit dem Geld anfangen zu können. Wie sehen Sie das?Ich sehe es eher als klares Commitment des Managements, im Sinne der Aktionäre zu handeln. Wir haben im letzten Jahr einen so hohen Cash-flow generiert, dass wir uns dazu entschlossen haben, einen Teil davon an die Aktionäre zurückzugeben. Das wurde extrem positiv aufgenommen. Außerdem glauben wir, dass unsere eigene Aktie ein gutes Investment ist.- Was machen Sie mit den zurückgekauften Papieren und wie weit sind Sie mit dem Programm?Die Aktien werden wir einziehen. Die erste Rückkauftranche im Volumen von 400 Mill. Euro haben wir abgeschlossen. Jetzt läuft die zweite Tranche noch bis spätestens 10. August, voraussichtlich aber eher etwas kürzer. Dafür haben wir bis zu 450 Mill. Euro budgetiert. Insgesamt wollen wir das Programm, entweder 1,5 Mrd. Euro oder 10 % des Grundkapitals, bis spätestens Mitte 2019 abschließen. – Zugleich haben Sie versprochen, auch künftig überschüssige Mittel an die Investoren zurückzugeben. Heißt das, dass nach Ablauf des ersten Programms gleich das nächste startet?Wir werden uns das jederzeit anschauen. Allerdings wäre dafür ein neuer Beschluss der Hauptversammlung nötig. Ganz grundsätzlich wollen wir überschüssige Mittel an die Aktionäre zurückgeben, wenn das die sinnvollste Lösung ist.- Eine andere Verwendungsmöglichkeit überschüssiger Mittel sind Akquisitionen.Beim Thema M&A haben wir in der Vergangenheit sehr wenig getan, das soll sich ändern. Deshalb schauen wir natürlich rechts und links, welche Möglichkeiten es gibt, ohne dass wir uns in irgendeiner Weise unter Druck setzen lassen. Alles, was wir tun, muss aus Sicht der Aktionäre sinnvoll und für das Unternehmen wertschaffend sein. – Geht es bei potenziellen Akquisitionen um Arrondierungen oder können Sie sich auch eine größere Transaktion vorstellen?Der Fokus liegt darauf, das Portfolio zu verbessern im Sinne einer höheren Stabilität durch den Zyklus. Das kann auch anorganisch sein. Die Größe ist dabei nicht das entscheidende Kriterium, vielmehr geht es um die Frage, ob ein Zukauf sinnvoll und wertschaffend ist.- Ich nehme an, bei Akquisitionen geht es in erster Linie um das kleinste Segment Coatings, Adhesives, Specialties, kurz CAS.Ja, dort sehen wir gute Opportunitäten. Das Segment CAS ist insgesamt bereits relativ konjunkturunabhängig und erwirtschaftet eine stabile Ebitda-Marge von 20 % plus. Diese Geschäfte sind es, die Covestro zu Stabilität verhelfen. – Das CAS-Segment hat aber doch im vierten Quartal 2017 und auch im Auftaktquartal dieses Jahres eher enttäuschende Zahlen abgeliefert. In beiden Quartalen war das Ergebnis rückläufig.Das sehe ich nicht so, denn gerade im ersten Quartal sind wir gegen ein sehr starkes Vorjahresquartal angelaufen. Auch 2018 wird CAS sehr profitabel sein und zum Wachstum von Covestro beitragen.- Wie sieht es mit den Preisen bei M&A aus? Der kürzlich ausgeschiedene CEO Patrick Thomas hatte mehrfach betont, dass es auf dem jetzigen Niveau keine Möglichkeit für wertschaffende Transaktionen gebe.Die Landschaft hat sich nicht grundlegend verändert. Ob eine M&A-Transaktion sinnvoll ist, hängt natürlich vom Preis ab. Zugleich muss man aber auch schauen, welchen Wert man damit schaffen kann. Dabei geht es einerseits um Synergien und andererseits um die strategische Passgenauigkeit. Unser gesamtes Spezialitätengeschäft greift beispielsweise auf das gleiche chemische Rückgrat zurück wie die beiden anderen Segmente. Darin liegt eine große Stärke von Covestro, denn wir können zwischen verschiedenen Business Units Synergien schaffen. Synergien können natürlich auch aus anderen Gründen entstehen. Wertsteigernde Synergien sind bei Akquisitionen ein wichtiger Faktor. Insofern ist es zu kurz gesprungen, nur auf die Kaufpreise zu schauen.- Wenn Sie von Synergien sprechen geht es dabei um vertikale Integration?Im Zentrum steht dabei die optimale Anlagenauslastung und Nutzung unserer globalen Marktzugänge in verschiedene Kundenindustrien. Unsere Anlagen sind gesamtheitlich zu betrachten, da sie auf die gleichen chemischen Grundstoffe zurückgreifen. – Zum Thema Portfoliooptimierung gehören auch Desinvestitionen. Kürzlich haben Sie das PC-Plattengeschäft in den USA veräußert. Wann werden sie das übrige PC-Plattengeschäft abstoßen? Ganz grundsätzlich gilt, dass wir aus den Geschäften oder Produkten herausgehen, die bei uns nicht oder nicht mehr wertschaffend sind. Vor 20 Jahren war das Plattengeschäft ein interessantes Geschäftsfeld. Heute können wir uns damit nicht mehr ausreichend stark differenzieren. Das ist ein gutes Beispiel für unsere Strategie: Wir investieren dort, wo wir großes Differenzierungspotenzial ausmachen. Umgekehrt ziehen wir uns konsequent dort zurück, wo wir der Meinung sind, dass das Geschäft bei uns nicht mehr optimal aufgehoben ist. In den USA ist das Plattengeschäft verkauft, das Closing erwarten wir im zweiten Halbjahr. – Haben Sie weitere Geschäfte im Portfolio, bei denen Sie zu vergleichbaren Einschätzungen kommen?Das sehen wir im Augenblick nicht. Das Interview führte Annette Becker.