Crispr Therapeutics revolutioniert Gentherapie

Neues Produkt des Schweizer Konzerns soll bald erstmals wie ein Medikament im Körper von Patienten mit ererbten Blutkrankheiten wirken

Crispr Therapeutics revolutioniert Gentherapie

cru Frankfurt – Der Biotechnologie und der Pharmaindustrie steht eine Revolution bevor, wenn Gentherapien künftig auf ähnlich unkomplizierte Art wie herkömmliche Medikamente eingesetzt werden. Das zeichnet sich ab. Gezielte Eingriffe in das Erbgut von Menschen könnten bald eine größere Anzahl schwerer Erbkrankheiten heilen, von denen Millionen Menschen betroffen sind – oder die Eigenschaften von Kulturpflanzen für die Sicherung der Ernährung erheblich optimieren.Besonders das an der Nasdaq notierte Unternehmen Crispr Therapeutics mit Sitz am steuergünstigen Standort Zug in der Schweiz und Forschungslabors in Massachusetts treibt die neue Technik der sogenannten Gen-Editierungsverfahren mit klinischen Versuchen an Menschen im Eiltempo voran. Der Aktienkurs hat sich deshalb 2019 mehr als verdoppelt. Grund dafür sind Berichte über eine bisher unveröffentlichte klinische Studie, in deren Verlauf zwei Patienten, die an der tödlichen Blutkrankheit Beta-Thalassämie litten, geheilt worden sein sollen.Neuigkeiten zu den Fortschritten der sogenannten Genschere vom Typ “Crispr/Cas9” hat Crispr-Vorstandschef Samarth Kularni, der das Unternehmen seit 2017 führt, gerade erst am Donnerstagabend bei der großen Healthcare-Investorenkonferenz “A view from the top” der US-Investmentbank Goldman Sachs in New York vorgetragen: Erstmals wird die neue Gentherapie des Konzerns im Jahr 2020 wie ein Medikament vor Ort im Körper des Patienten eingesetzt. Zellen werden entnommen, verändert und wieder injiziert. “Das Schneiden der DNA ist nicht neu. Das gab es schon in den 70er Jahren. Aber jetzt sind wir viel präziser geworden beim Schneiden”, sagte Kularni vor den Investoren.Den Kapitalmarkt überzeugt das Innovationspotenzial trotz der damit verbundenen Risiken schon längst. Goldman-Sachs-Analyst Salveen Richter spricht von “beeindruckenden” Ergebnissen. Der Crispr-Konzern hatte erst vor einigen Monaten mit den Studien in der klinischen Forschung, also der Erprobung am Menschen, begonnen. Unter anderem ein Wirkstoff namens CTX001 wurde in zwei Studien an Patienten mit den Blutarmut-Erbkrankheiten Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie getestet – und zog eine Kapitalspritze neuer Investoren von 270 Mill. Dollar an.Goldman Sachs sagte allein diesem Wirkstoff zur Bekämpfung der beiden Erbkrankheiten schon 2018 in der Studie “The Genome Revolution” ein Umsatzpotenzial von 350 Mill. Dollar bzw. 1,7 Mrd. Dollar für Crispr nach. Bald dürfte das Geschäft tatsächlich gemacht werden: “Crispr Therapeutics und der (größere Biotech-Partner) Vertex gaben positive erste klinische Ergebnisse der laufenden Crispr/Cas9-Gen-Editing-Ph1/2 CTX001-Studie bei transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie (TDT) und Sichelzellanämie (SCD) bekannt”, schrieb kürzlich Goldman-Analyst Richter. Bei beiden Erbkrankheiten werden zu kleine oder nicht ausreichend rote Blutkörperchen gebildet. Jedes Jahr werden laut Angaben von Crispr in einer Investorenpräsentation 360 000 Menschen mit diesen beiden Krankheiten geboren und sind auf teure Bluttransfusionen angewiesen.Analyst Richter zeigt sich begeistert: “Nach neunmonatiger Nachbeobachtung bleibt der anfängliche TDT-Patient transfusionsunabhängig und produziert normale Gesamthämoglobin(Hb)-Spiegel von 11,9 g/dL (10 bis 11g/dL ist normal). Nach viermonatiger Nachbeobachtung ist der anfängliche SCD-Patient frei von vaso-okklusiven Krisen (im Vergleich zur siebenjährigen Vorbehandlung) und weist einen Gesamt-Hb-Spiegel von 11,3 g/dL auf.” Die US-Zulassungsbehörde FDA hat der Therapie den sogenannten “Fast-Track-Status” erteilt, der eine schnellere Entwicklung ermöglicht.Wichtigste Konkurrenten von Crispr Therapeutics sind die US-Unternehmen Intellia Therapeutics und Editas Medicine – ein Biotech-Unternehmen aus Boston, das ererbte Blindheit zu heilen versucht. Intellia forscht an einer Gentherapie für ererbte Leberleiden. Gemessen am Börsenwert von 3,6 Mrd. Dollar ist jedoch Crispr das wertvollste Unternehmen der Branche. In nur einem Jahr hat sich die Marktkapitalisierung verdoppelt. Auch große deutsche Unternehmen wie Bayer oder Merck interessieren sich inzwischen stark für die neue Technik.Crispr/Cas ist eine molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern. Gene können mit dieser Form des Gen-Editings eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden. Entdeckt wurde die neue Technik im Jahr 2012 bei der Erforschung des Immunsystems von Bakterien. Crispr/Cas9 wiederum ist eines von vier Gen-Editierungsverfahren. Es gilt laut Goldman-Sachs-Genomstudie von Salveen Richter als das am ehesten bezahlbare Verfahren – im Vergleich zu anderen Therapien aus der Branche, die pro Patient einen Millionenbetrag kosten können. Derzeit noch VerlusteCrispr Therapeutics macht noch Verlust. Das Unternehmen hat jedoch den Umsatz in den vergangenen drei Jahren um jährlich knapp 90 % und den Aktienkurs um jährlich rund 40 % gesteigert. Die Bilanz für 2019 wird am 24. Februar vorgelegt.Die neue Technik macht allerdings auch auf negative Art von sich reden: Dabei geht es nicht nur darum, dass die Crispr-Technik nur einen Teil der DNA verändern kann. Wenn die Genschere das angepeilte Genom verfehlt, können Mutationen oder sogar Krebs die Folge sein. Ein Jahr nachdem in China Zwillinge geboren wurden, deren Erbgut gezielt als Embryonen durch die Genschere Crispr/Cas9 verändert worden war, wurde kürzlich der leitende Wissenschaftler des verantwortlichen Forschungsteams zu drei Jahren Haft verurteilt.