GRENZEN DES WACHSTUMS

Cybergefahren werden weniger virtuell

Sorge um Robotikspezialisten schlägt Sorge um Netze

Cybergefahren werden weniger virtuell

Von Sebastian Schmid, FrankfurtDie Angst vor Angriffen im Internet ist in den USA zum Jahreswechsel so groß wie selten zuvor. Dass russische Hacker die Präsidentschaftswahl entscheidend beeinflusst haben, gilt wenigstens für die Hälfte der Bevölkerung als erwiesen. Wirtschaftlich fürchtet man sich derweil stärker vor chinesischen Unternehmen. Sie stehen fast schon im Generalverdacht, das amerikanische Netz zu unterwandern und systematisch auszuhorchen – mit direktem Draht nach Peking. Entsprechend machen Netzwerkausrüster wie ZTE und Huawei, die in Europa bedeutende Marktanteile gewinnen konnten, jenseits des Atlantiks praktisch keinen Stich.Wie hoch die Angstwelle mittlerweile schlägt, zeigte im Herbst eine Geschichte von “Bloomberg Businessweek” über einen reiskorngroßen Spionagechip, den ein chinesischer Zulieferer des US-Konzerns Super Micro Computer auf den Hauptplatinen von Servern verbaut haben soll, die unter anderem bei Apple und Amazon eingesetzt werden. Insgesamt sei so die IT-Infrastruktur von 30 US-Unternehmen unterwandert worden. Über Wochen hielt sich das Thema – trotz der Dementis aller Beteiligten. Auch nachdem eine renommierte externe Detektei berichtet hatte, dass keinerlei Hinweise auf verdächtige chinesische Chips gefunden wurden, blieben bei manchem Restzweifel.Unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Berichts ist die Vermutung, dass Staaten sich und ihre Unternehmen gegenseitig ausspähen, spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden traurige Gewissheit. Die erhöhte Gefahr durch Cyberangriffe geht daher nicht nur davon aus, dass solche gehäuft festzustellen sind. Vielmehr fallen mit der Vernetzung ganzer Wertschöpfungsketten die potenziellen Schäden durch Angriffe deutlich höher aus: Intelligente Stromnetze, autonom fahrende Autos, in Echtzeit gesteuerte Produktionsstätten etc. – die Angriffsflächen werden stetig größer. In Sachen Cybersicherheit ist das Spiel im Prinzip das gleiche geblieben, nur der Einsatz hat sich erhöht. Industriekonzerne beschäftigen daher längst Heerscharen an Sicherheitsingenieuren. Allein bei Siemens sind dies, wie Uwe Bartmann, Chef von Siemens Deutschland, im Herbst ausführte, knapp 1300 Personen. Während in den Unternehmen das Gefahrenbewusstsein wächst – nur knapp ein Drittel der in Deloittes “Cyber Security Report 2018” befragten Unternehmer glaubt an effektiven Schutz von Netzwerken gegen Hackerangriffe – bleibt die deutsche Politik großteils naiv optimistisch – hier halten immerhin 60 % einen effizienten Schutz gegen Hacker für realistisch. Wachsender AufwandDer Aufwand zur Gefahrenabwehr steigt jedenfalls. Die weltweiten Ausgaben für Cybersicherheit erreichen im Jahr 2019 erstmals mehr als 120 Mrd. Dollar, schätzt Gartner. Gut 30-mal so viel wie noch 15 Jahre zuvor. Bis Mitte der nächsten Dekade, schätzen manche Branchenkenner, könnte das Budget für Informationssicherheit auf mehr als 1 Bill. Dollar anwachsen. Dass das Rückgrat der Internetinfrastruktur in Deutschland und vielen anderen EU-Ländern mittlerweile überwiegend von dem staatlich-chinesischen Konzern Huawei gebildet wird, ist auch ein Beispiel dafür, dass die Cyberangriffsgefahr offenbar als vergleichsweise gering eingeschätzt wird. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sieht jedenfalls keine Veranlassung, dem Druck der USA nachzugeben und Huawei-Technologie aus deutschen Netzen herauszuhalten. Für gravierende Entscheidungen wie einen Bann brauche man Belege, sagte BSI-Präsident Arne Schönbohm unlängst.Eine vergleichbare entspannte Haltung zu Geschäften mit chinesischen Firmen besteht in Deutschland indes nicht. Während man Huawei bereitwillig am Herz der deutschen Internetarchitektur operieren lässt, gerät die Politik regelmäßig in Wallung, wenn ein chinesischer Investor ein deutsches Mittelstandsunternehmen wie etwa den Robotikspezialisten Kuka schlucken oder auch nur einen Minderheitsanteil von 20 % am deutschen Stromnetzbetreiber 50Hertz übernehmen will. Die jüngste Anpassung des Außenwirtschaftsgesetzes ist auch ein Reflex auf genau die damit verbundenen Ängste. Das Thema Cybersicherheit wird derweil – zumindest in der Politik – oft noch recht sorglos betrachtet. Die stärker wachsende Gefahr ist in mancher Hinsicht noch immer die unterschätzte.