Daimler nach der Modelloffensive
Bei Daimler wird es nach der rasanten Aufholjagd auf BMW und die VW-Tochter Audi in China und dem Erreichen der Zielmarge im Pkw-Segment im zweiten Quartal Zeit für eine neue Zukunftsvision. In der Elektromobilität nimmt Daimler derzeit keine führende Rolle ein. Dagegen hat der Konzern beim autonomen Fahren die beste Startposition unter den Premiumherstellern.Von Isabel Gomez, StuttgartAuf dem Papier steht Daimler glänzend da. Zum zweiten Quartal konnte Vorstandschef Dieter Zetsche neben einem Absatzplus bei Pkw um 20 % und einem um mehr als die Hälfte gestiegenen operativen Ergebnis vermelden, dass die Stuttgarter im Pkw-Segment mit 10,7 % die angestrebte operative Marge aus dem laufenden Geschäft von 10 % erreicht haben. Das Ziel der Stuttgarter ist nun, dieses Niveau bis 2020 nachhaltig zu halten, um sich dann endlich wieder – vor BMW und Audi – Marktführer im Premiumsegment nennen zu können.Bisher läuft dabei alles nach Plan. Die operative Rendite der Stuttgarter verbessert sich stetig (siehe Grafik), und Analysten gehen davon aus, dass die Marge in den nächsten zwölf Monaten auf bis zu 11 % klettern könnte.Um das zu erreichen, hat Daimler in den vergangenen Jahren auf der einen Seite sehr viel Geld in die Hand genommen, in Werke investiert und neue Modelle entwickelt und auf der anderen Seite zwischen 2011 und 2014 gut 2 Mrd. Euro Kosten in der Pkw-Produktion und im Vertrieb eingespart. Bis 2020 sollen die Einsparungen Zetsche zufolge noch höher ausfallen.Allein der chinesische Markt war dem Konzern in den vergangenen Jahren 4 Mrd. Euro Investitionen wert. Der Aufwand hat sich bisher gelohnt. In China wächst Daimler mit der Marke Mercedes zweistellig und ist dank niedrigerer absoluter Absatzzahlen dennoch weniger stark vom nachlassenden Wachstum betroffen als BMW oder die VW-Tochter Audi. Das Ziel, nach 270 000 Fahrzeugen im Vorjahr 2015 mehr als 300 000 Wagen in China zu verkaufen, steht trotz der Marktschwankungen. Währungsrisiken hat Daimler in China für das laufende Jahr fast komplett und für 2016 bereits zu mehr als der Hälfte abgesichert. Der Konzern rechnet auf das Gesamtjahr gesehen mit positiven Währungseffekten von 1 Mrd. Euro. Das Jahr des SUVDer Hauptgrund für den derzeitigen Erfolg ist die Modelloffensive der Schwaben in den vergangenen Jahren. Vor allem die seit Mitte 2013 erhältliche S-Klasse und die Neuauflage der C-Klasse im März 2014 treiben die Ergebnisse. Im Juni wurde der Geländewagen GLC vorgestellt, und 2016 wird die E-Klasse erneuert. Bis 2017 sind zehn Plug-in-Hybride angekündigt. Zudem schaffte es Konzernlenker Zetsche, der im Vorstand auch die Marke Mercedes verantwortet, die Profitabilitätsschwäche im mittleren Segment unter Kontrolle zu bringen, etwa bei der neuen A-Klasse.Doch nach wie vor verdient der Konzern sein Geld vor allem mit Geländewagen und hochmotorisierten Autos. 2015 wurde gar zum Jahr des SUV ausgerufen, denn damit sind nun einmal die hohen Margen zu erwirtschaften, die Daimler anstrebt.Investoren honorieren die Anstrengungen der Stuttgarter durchaus. Seit der Aufsichtsrat Zetsches Vertrag im Februar 2013 nur um drei statt wie geplant um fünf Jahre verlängert hatte, stieg der Aktienkurs um rund 70 %. Die BMW-Aktie legte im gleichen Zeitraum um 24 % zu, VW um 19 %. Damals stand Zetsches Karriere auf der Kippe. Zu weit war Daimler hinter den Wettbewerbern abgeschlagen. Also sprachen sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegen eine Verlängerung um fünf Jahre aus. Vom Vorstandschef heißt es, er habe aus diesem Schock gelernt und gehe mit mehr Weitsicht an Zukunftsthemen heran.Doch was kommt in Stuttgart nach der Marktführerschaft? Bei den beiden Megatrends alternative Antriebe sowie vernetztes und autonomes Fahren hat Daimler nur in einem Bereich die Nase vorn. Kein alternatives KonzeptIm Gegensatz zu BMW hat Daimler kein ganzheitliches Konzept bei alternativen Antrieben. Parallel arbeitet der Konzern an Brennstoffzellen und am Elektroantrieb, meist endet es bei einer Hybrid-Version aus Verbrenner und Elektromotor, der einige Kilometer weit die Arbeit übernimmt. Einen durchschlagenden Erfolg konnte Daimler mit dieser Strategie bisher nicht feiern.2014 wollte der Konzern ein mit Brennstoffzellen betriebenes Auto auf den Markt bringen. Daraus wurde erst 2015, dann 2017. Als Grund nennt Herbert Kohler, Leiter Konzernforschung und Nachhaltigkeit, die 2014 eingegangene Kooperation mit Nissan und Ford zur gemeinschaftlichen Entwicklung eines günstigen und damit serientauglichen Brennstoffzellen-Systems. Als reines Elektroauto ist derzeit nur die B-Klasse vorhanden, seit die Produktion des Elektro-Smart bis Mitte 2016 auf Eis gelegt wurde.Die verschiedenen Antriebstechnologien sieht Daimler einem Sprecher zufolge “in einer Koexistenz und nicht in einer Konkurrenz zueinander”. Ob diese Strategie aufgeht, ist offen. Allerdings zeigen die niedrigen Verkaufszahlen des i3 bei BMW, von dem 2014 aber immerhin mehr Wagen zugelassen wurden als vom E-Smart, dass der Markt offenbar noch nicht bereit für reine E-Autos ist. Das liegt aber vor allem an den hohen Preisen und der noch immer geringen Reichweite.Auch wenn der i3 bei BMW nicht für sprudelnde Umsätze sorgt: Vor allem in der Außenwahrnehmung hinkt Daimler in der Elektromobilität kräftig hinterher. Daimler pusht dafür das autonome Fahren umso mehr. So stellte Daimler auf der IAA Pkw 2013 bereits eine autonom fahrende S-Klasse vor und im März 2015 das autonom fahrende Forschungsfahrzeug F015 Luxury in Motion, das gegenwärtig Mittelpunkt einer Werbekampagne ist.Daimler steckt aus dem Gesamtetat für Forschung und Entwicklung (siehe Grafik) zunehmend Geld in den Ausbau des autonomen Fahrens, wie ein Sprecher sagt. Einen konkreten Anteil wollte er nicht nennen. In dieser Technologie profitiert Daimler von seiner breit aufgestellten Lkw-Sparte. Sie ist das ideale Experimentierfeld für diese Zukunftstechnologie, denn das autonome Fahren wird sich allein aus Sicherheitsgründen zunächst im Frachtverkehr durchsetzen.Im US-Bundesstaat Nevada erlangte Daimler als erster Hersteller eine Zulassung für zwei autonom fahrende Schwerlaster der Marke Freightliner. Das darin verbaute System “Highway Pilot” besteht aus zwei Radarsystemen für unterschiedliche Entfernungen, einer Stereokamera sowie Assistenzsystemen wie einem Abstandsregeltempomat. Die Radargeräte beobachten den vorausfahrenden Verkehr auf 250 und 70 Meter aus unterschiedlichen Winkeln. Die Stereokamera im Rückspiegel prüft die Fahrbahnmarkierungen.In abgewandelter Form steckt diese Technik auch im “Future Truck”, den der Konzern im vergangenen Jahr auf einer Teststrecke in Deutschland vorgestellt hat. Wolfgang Bernhard, im Vorstand für die Sparte Trucks zuständig, kündigte an, dass sich der Konzern derzeit um eine Zulassung für das Gefährt bemüht. Technik leicht übertragbarDas Problem: Es gibt keinen verbindlichen Rechtsrahmen für das autonome Fahren. Noch immer gilt das Wiener Übereinkommen von 1968, nach dem der Fahrer jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug haben muss. Es gibt zwar eine Ergänzung aus dem Jahr 2014, wonach autonome Fahrsysteme zulässig sind, solange sie jederzeit manuell gestoppt werden können. Diese Regelung ist aber noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Zudem gibt es versicherungstechnische Hürden und den Aspekt der Datensicherheit. Diese Punkte müssen geklärt werden, bevor autonom fahrende Autos zugelassen werden.Sobald das der Fall ist, hat Daimler in diesem Bereich leichteres Spiel als die Wettbewerber. Die notwendigen Technologien sind fertig entwickelt und können auf Knopfdruck serienmäßig verbaut werden. Eine Vorschau darauf soll die neue E-Klasse geben, sie kann immerhin schon auf Befehl des Smartphones einparken.—-Bisher erschienen:- BMW, 29. August- Volkswagen, 28. August