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Daimler springt zu kurz

Börsen-Zeitung, 28.7.2018 Daimler liegt im Trend, so scheint es. Umbau des Konzerns in eine Holdingstruktur mit drei rechtlich selbständigen, flexibler agierenden Einheiten und Fokussierung der Investitionen auf Zukunftsthemen wie Digitalisierung,...

Daimler springt zu kurz

Daimler liegt im Trend, so scheint es. Umbau des Konzerns in eine Holdingstruktur mit drei rechtlich selbständigen, flexibler agierenden Einheiten und Fokussierung der Investitionen auf Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Elektroantrieb, autonomes Fahren und Mobilitätskonzepte. Allein, die Eigentümer des Konzerns scheinen alles andere als begeistert von Richtung und Veränderungstempo bei Daimler. Die Behauptung von Finanzvorstand Bodo Uebber, Gespräche mit Investoren über den größten Konzernumbau seit der Trennung von Chrysler hätten eine “breite Zustimmung” ergeben, werden von der Aktienkursentwicklung der Daimler-Titel Lügen gestraft. Mit angezogener HandbremseDer kleine Hüpfer, den die Daimler-Aktie am Tag der Strukturankündigung vollzog, war der Erleichterung der Investoren über die vorerst ausbleibenden US-Zölle auf Autos aus Europa geschuldet und keineswegs Beifall für den geplanten Konzernumbau. Am Freitag ging es auch schon wieder abwärts. Denn Daimler springt mit den bisher präsentierten Plänen zur neuen Konzernstruktur deutlich zu kurz. Dass angesichts der epochalen Veränderungen, die der Autoindustrie bevorstehen, Strukturen nötig sind, die den Herstellern schnelle und flexible Reaktionen erlauben, liegt auf der Hand. Insofern hinkt Daimler mit der Anpassung, über die die Aktionäre ja erst in der Hauptversammlung des nächsten Jahres beschließen werden, hinterher. Denn über die eingangs erwähnten Zukunftsthemen wird ja schon seit etlichen Jahren diskutiert. Die Bündelung der bisher fünf Geschäftsfelder in den drei rechtlich selbständigen Einheiten Mercedes-Benz AG, Daimler Truck AG und Daimler Mobility AG ist nicht gerade Rocket Science, zumal auch nicht mit einer strategischen Neuausrichtung verbunden. Vielmehr schafft sie erst eine von mehreren notwendigen Voraussetzungen dafür. Daimler startet in die neue Struktur allerdings mit angezogener Handbremse: Die Ankündigung, sich nicht von einzelnen Geschäftsbereichen zu trennen, lässt ebenso wenig Veränderungsspielraum erkennen wie die bis Ende 2029 vereinbarte Beschäftigungssicherung. Strapazierte FinanzkraftGewiss, die neue Struktur erleichtert Allianzen oder auch gegenseitige Beteiligungen mit strategischen Partnern, um sich Know-how und Marktzugang zu erschließen, beispielsweise mit IT-, Software- und Telekommunikationskonzernen oder mit Zulieferern wie den Batterieherstellern. Das erste Beispiel wird die Zusammenlegung der Mobilitätsangebote von Daimler (Car2go, Mytaxi, Moovel) mit jenen von BMW sein. Dass aber Daimler in der neuen Struktur ausgerechnet die Mobility Services mit den Financial Services verbindet, widerspricht der Logik des Konzernumbaus und scheint nicht sach-, sondern personengetrieben. Denn die in den Mobilitätsdiensten steckende Phantasie könnte separat viel besser genutzt werden. Viele Projekte werden hohe Investitionen erfordern, deren Return in den Sternen steht. Investitionen, die aus den Cash-flows des traditionellen Geschäfts zu leisten sind. In den zurückliegenden Boomjahren der Branche war das ohne größere Probleme darstellbar. Doch jetzt haben Diesel-Rückrufe, Anpassungen in der Modellpalette, Produktionsumstellungen und der Handelskonflikt zwischen den USA, China und Europa die Gewinne einbrechen lassen, bei Daimler im zweiten Quartal um 30 % (vgl. BZ vom 27. Juli). Der freie Cash-flow schrumpfte im Halbjahr von 3 auf 1,8 Mrd. Euro, was für die Finanzierung der Investitionen schlechte Aussichten bedeutet. Umso wichtiger wäre es, den Konzern nicht nur strukturell und gesellschaftsrechtlich neu aufzustellen, sondern damit auch zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und über die drei künftigen Aktiengesellschaften Zugänge nicht nur zum Fremd-, sondern auch zum Eigenkapitalmarkt zu schaffen. Mit den drei AGs ließen sich sehr unterschiedliche Investorengruppen ansprechen, für die derzeit Daimler als automobiler Gemischtwarenladen – vom Smart bis zum 40-Tonner-Lkw, vom Carsharing bis zur Batterieproduktion – zu wenig fokussiert ist. Daimler hat sich verzettelt, und der Vorstand scheint angesichts der vielen unerwarteten Baustellen überfordert. Der Begriff “Schlamassel”, den CEO Dieter Zetsche für das Zoll-Hickhack und die damit verbundene Kundenverunsicherung benutzte, beschreibt auch die Lage des Konzerns insgesamt recht treffend. Von BMW abgehängtIn Sindelfingen mag man dies nicht gerne hören, aber das Urteil des Kapitalmarktes spricht für sich: Dem Wettbewerber BMW fährt Daimler seit langem hinterher. Als Dieter Zetsche 2006 den Chefsessel bei Daimler bestieg, lag die Börsenbewertung des Stuttgarter Autokonzerns mit 44,6 Mrd. Euro fast doppelt so hoch wie jene von BMW mit 23,3 Mrd. Euro. Der Abstand zwischen beiden Premiumherstellern verringerte sich Jahr für Jahr, Ende 2016 übertraf die Marktkapitalisierung Daimlers die des Münchener Wettbewerbers nur noch um 40 %. Seit Jahresbeginn 2018 ging es für die Stuttgarter stark bergab. Nur noch 27 % trennen Daimlers Börsenwert (64 Mrd.) und den von BMW (50 Mrd. Euro). KonglomeratsabschlagDer kleine Vergleich lässt ahnen, welches Wertpotenzial für die Aktionäre bei Daimler und damit für die externe Unternehmensfinanzierung gehoben werden könnte. Daimlers Börsenwert bleibt aktuell weit hinter der Bewertung seiner Konzernteile zurück. Man muss kein Prophet sein für die Voraussage, dass sich die institutionellen Investoren bei Daimler nicht mit den jetzt beschlossenen neuen gesellschaftsrechtlichen Strukturen zufrieden geben werden. Daimler sollte einen größeren Sprung wagen und die neuen Aktiengesellschaften zumindest teilweise an die Börse führen. Sonst sieht der Stuttgarter Autokonzern nicht nur im operativen Geschäft unruhigen Zeiten entgegen. —– c.doering@boersen-zeitung.de—–Von Claus DöringDaimler leidet unter einem Konglomeratsabschlag. Mit der neuen Holdingstruktur sollten Börsengänge der Töchter verbunden werden.—–