RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: ALEXANDRA HAGELÜKEN UND SIBYLLE MÜNCH

Darlehensverträge im Hinblick auf zusätzliche Schulden heute viel flexibler

Reduzierung von Finanzkennzahlen bedeutet Reduzierung des Frühwarnsystems

Darlehensverträge im Hinblick auf zusätzliche Schulden heute viel flexibler

– Frau Hagelüken, Frau Münch, aktuell gibt es erneut eine Welle von Refinanzierungen vornehmlich bei Portfoliounternehmen von Private-Equity-Investoren. Wie schätzen Sie den Markt ein?Hagelüken: Es gibt sehr hohe Liquidität im Markt, das Kreditangebot übersteigt in Deutschland deutlich die Nachfrage. Dabei überwiegen Refinanzierungen, mit denen Unternehmen sich bessere Konditionen verschaffen, sowohl auf der Preis- als auch der Dokumentationsseite.- Wie haben sich in der Niedrigzinsphase Konditionen und Dokumentation verändert?Münch: Es ist eine deutliche Abschwächung der früheren Standards zugunsten der Darlehensnehmer zu beobachten. Dies betrifft zum einen die Finanzkennzahlen; sehr verbreitet ist ein deutlich reduziertes Finanzkennzahlenpaket (Covenant-Loose-Transaktionen), bei dem der Darlehensnehmer nur noch eine Finanzkennzahl (überwiegend einen Verschuldungsgrad, Leverage Ratio) einhalten muss. Und es gibt mittlerweile zahlreiche Transaktionen im deutschen Markt, die gar nicht mehr die Einhaltung von Finanzkennzahlen auf laufender Basis vorsehen (Covenant-Lite-Transaktionen).- Worum geht es noch?Hagelüken: Um Amortisierung. Während in früheren Leveraged-Buy-out-Transaktionen mindestens 75 % des überschüssigen Cash-flow zur Rückzahlung der Darlehen verwendet werden musste (Cash Sweep), ist dieses “Opening level” eigentlich durchgängig auf 50 % gesunken. Gleichzeitig gibt es kaum noch amortisierende Kreditlinien. Die meisten sind endfällig.- Und noch weitere Aspekte?Münch: Zudem sind Darlehensverträge heute im Hinblick auf eine zusätzliche Aufnahme von Verschuldung deutlich flexibler angelegt. Die Incremental Facilities finden sich heute in sehr vielen Darlehensverträgen.- Das bedeutet?Hagelüken: Incremental Facilities sind Kreditlinien, für die es noch keine Kreditzusage gibt, die aber im Kreditvertrag bereits vorgesehen sind und die der Darlehensnehmer so bei Bedarf jederzeit aktivieren kann. Lediglich wenige vorher vereinbarte Parameter sind einzuhalten. Da diese Kreditlinien mitbesichert sind, kommt es zu einer Verwässerung der Besicherung. Gleichzeitig sind die Bedingungen, unter denen Kreditgeber ihre Kreditbeteiligungen übertragen können, vertraglich weiter eingeschränkt worden und die Mehrheitsanforderungen für eine Änderung von Klauseln in Kreditverträgen immer weiter gesenkt worden.- Welche rechtlichen Änderungen hat dies zur Folge?Münch: Die Verträge werden nicht zwingend kürzer, sondern teilweise noch komplexer. Die Darlehensnehmer erhalten durch die neuen Trends deutlich mehr Flexibilität.- Sind Finanzkennzahlen oder Covenants nicht geradezu ein Fremdwort geworden? Welche Folgen kann dies bei wieder anziehenden Zinsen haben?Münch: Die Reduzierung oder Aufgabe von Finanzkennzahlen im Vertrag ist immer auch eine Reduzierung des Frühwarnsystems, das mit diesen Auflagen etabliert werden soll. Darlehensverträge werden in der Regel nicht gekündigt, weil Finanzkennzahlen nicht eingehalten werden. Aber ihre Nichteinhaltung zwingt die Parteien frühzeitig an den Verhandlungstisch. Diese Warnfunktion wird zeitlich hinausgeschoben oder entfällt ganz, wenn die vertraglichen Auflagen zur Einhaltung von Finanzkennzahlen erleichtert werden oder entfallen. Wenn sich bei steigenden Zinsen die Liquiditätssituation eines Kreditnehmers verschlechtern sollte, werden die Kreditgeber ohne Finanzkennzahlen erst sehr spät die Möglichkeit haben, den Kreditnehmer zu zwingen, mit ihnen zu verhandeln.- Wie wird entgegengewirkt?Hagelüken: Nach unseren Erfahrungen aus den Zeiten der Finanzkrise suchen viele Kreditnehmer sowieso proaktiv in schwierigen Situationen das Gespräch mit den Kreditgebern, um eine spätere Konfrontation zu vermeiden. Und das Fehlen von Finanzkennzahlen kann in solchen Situationen auch bedeuten, dass der Kreditnehmer sich zunächst auf die Umstrukturierung seines operativen Geschäftes konzentrieren kann. Wie überall im Leben ist also auch bei den Trends im Darlehensmarkt nicht alles schwarz oder weiß.—-Alexandra Hagelüken ist Partnerin, Sibylle Münch Counsel bei Latham & Watkins. Die Fragen stellte Walther Becker.