GastbeitragHauptversammlungen

Das Beschlussmängelrecht hat weiteren Reformbedarf

Eine Reform des Beschlussmängelrechts ist für eine moderne und attraktive Hauptversammlung unerlässlich. Insbesondere muss das Anfechtungsrisiko bei der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein angemessenes Maß reduziert werden.

Das Beschlussmängelrecht hat weiteren Reformbedarf

Gastbeitrag

Das Beschlussmängelrecht hat weiteren Reformbedarf

Von Claudia Junker, Stephan Semrau und Kerstin Lappe*)

Rechtspolitiker der Regierungskoalition haben im Zuge der Reform der virtuellen Hauptversammlung angekündigt, eine Reform des Beschlussmängelrechts im Aktienrecht angehen zu wollen. Das ist begrüßenswert: Eine Reform des Beschlussmängelrechts ist für eine moderne und attraktive Hauptversammlung unerlässlich. Die Reform muss insbesondere das erhebliche Anfechtungsrisiko bei der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein angemessenes Maß reduzieren.

Reformbedarf wird auch in der Rechtswissenschaft gesehen: Die Wirtschaftsrechtliche Abteilung des 72. Deutschen Juristentags sowie die Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht hatten sich bereits vor Jahren für eine grundlegende Reform des Beschlussmängelrechts ausgesprochen.

Insbesondere seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie“ (ARUG) im Juli 2009, mit dem das deutsche Aktienrecht an EU-Richtlinien angepasst worden ist, ist die Zahl von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse deutscher Aktiengesellschaften zurückgegangen. Ermöglicht wurde dies u. a. durch die Einführung des sogenannten Freigabeverfahrens bei bestimmten eintragungsbedürftigen Beschlüssen. „Räuberischen Aktionären“ und ihren missbräuchlichen Anfechtungsklagen wurde mit dem Freigabeverfahren ein Hebel für den Missbrauch aus der Hand genommen.

Offene Debatten ermöglichen

Gleichwohl ist weiterer Reformbedarf vorhanden. Denn das bestehende Beschlussmängelrecht ist nach wie vor entscheidender Maßstab für die Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen. Es steht eben nicht der von allen Seiten gewünschte lebendige Meinungsaustausch bei Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen im Vordergrund – sondern die Vermeidung von Anfechtungsgefahren. Das unbestrittene und richtige Ziel einer lebendigen und offenen Kommunikation kann nicht erreicht werden, wenn jedes „falsche“ Wort des Versammlungsleiters zu einem Beschlussmangel führt und dadurch jeder Aktionär ohne Rücksicht auf die konkrete Beteiligungshöhe und Beschlussmehrheiten zu einer Anfechtungsklage berechtigt ist – mit der Folge, dass der gesamte Beschluss von Beginn an („ex tunc“) unwirksam ist.

Eine aktuelle Untersuchung des Beschlussmängelrechts im Rechtsvergleich von Philipp Buchs (Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020) hat deutlich gemacht, dass keines der sieben untersuchten Länder (außer Österreich) materiell-rechtlich derart rigoros wie Deutschland mit seinem Kassationsautomatismus vorgeht.

Flexible Rechtsfolgen

Eine Reform muss zum Ziel haben, die stets eingeforderte offene und lebendige Debattenkultur in deutschen Hauptversammlungen möglich zu machen. Vor diesem Hintergrund regt der Bundesverband der Deutschen Industrie eine Reform des Beschlussmängelrechts mit folgenden punktuellen Änderungen an:

Die Anfechtung fehlerhafter Beschlüsse sollte nicht in jedem Fall zur „Kassation“ des Beschlusses, also seiner Vernichtung von Anfang an, führen. Stattdessen müssen alternative Rechtsfolgen zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Aufhebung eines Beschlusses nur mit Wirkung für die Zukunft („ex nunc“), die Gewährung von Schadenersatz oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses. Das Gericht sollte bei der Auswahl der jeweils angemessenen Rechtsfolge beurteilen, ob es tatsächlich zweckmäßig ist, den fehlerhaften Beschluss für von Anfang an nichtig zu erklären („Kassation“), oder ob andere Rechtsfolgen angemessener sind.

Der mögliche Ausschluss der Kassationswirkung sollte hierbei nicht auf strukturverändernde Beschlüsse begrenzt sein, sondern auf alle Beschlüsse erstreckt werden können. Auch die erfolgreiche Anfechtung anderer Beschlüsse, wie die Bestellung des Abschlussprüfers oder Satzungsänderungen oder eine erfolgreiche Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, hat bei einer rückwirkenden Nichtigkeit gravierende Rechtsfolgen.

Über die Frage, ob der Beschluss bei einem Erfolg der Klage tatsächlich und mit welcher Wirkung aufgehoben wird, sollte jedenfalls bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen in maximal drei Monaten rechtskräftig entschieden werden, auch wenn das Verfahren im Übrigen weiter betrieben wird.

Rechtstechnisch bliebe der eigenständige Nichtigkeitstatbestand des § 241 Aktiengesetz (AktG) erhalten, müsste aber beschränkt und präzisiert werden. Insbesondere Verstöße gegen gläubiger- und gemeinwohlschützende Normen sollten jedoch weiterhin erfasst sein.

Anfechtungsrisiken entschärfen

Von entscheidender Bedeutung für die unternehmerische Praxis ist die Neugestaltung des Anfechtungsrechts bei Auskunftsfehlern: So kann ein Hauptversammlungsbeschluss nach geltendem Recht wegen „unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen“ bereits angefochten werden, wenn „ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte“.

Dass die Mehrheit der Aktionäre oder gar alle übrigen Aktionäre die erteilten Antworten für ausreichend hielten – oder gar die Frage für irrelevant – und den fraglichen Beschluss auf Basis der gegebenen Antwort fassen wollten, spielt bei der gerichtlichen Bewertung der gegebenen Antwort nach geltendem Recht keine Rolle.

Wer jemals in einer Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft den stundenlangen Fragen- und Antwortenmarathon erlebt hat, der in weiten Teilen ohne praktische Relevanz ist, weiß um die Paradoxie der Situation.

Aufgelöst werden könnte die Situation, indem für das Erheben einer Anfechtungsklage wegen Auskunftsfehlern eine neue, in der Praxis leicht implementierbare Hürde kodifiziert würde. In Betracht kommen hierzu ein Mindestquorum als Relevanzfilter, also eine Mindestanzahl an Aktien seitens der klageerhebenden Aktionäre, oder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Schadenersatz bei Missbrauch

Um „räuberische Aktionäre“ weiter abzuschrecken, kann auch an eine gesetzliche Schadenersatzpflicht gedacht werden. Kläger sollten danach der Gesellschaft gegenüber verantwortlich sein, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig unbegründete Anfechtungsklagen erhoben haben.

Zur Sicherung möglicher Ersatzansprüche sollte das Gericht dabei berechtigt sein, bereits im Vorfeld von klagenden Aktionären eine Sicherheitsleistung zu verlangen.

Mit Blick auf die Dauer der aktuellen Legislaturperiode von Herbst 2021 bis Herbst 2025 wird es höchste Zeit, dass den Ankündigungen der Ampel-Koalition Taten folgen und ein Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Beschlussmängelrechts eingeleitet wird.

*) Dr. Claudia Junker, Deutsche Telekom, ist Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dr. Stephan Semrau, Bayer, ist Vorsitzender des BDI-Arbeitskreises Unternehmensrecht und Dr. Kerstin Lappe Syndikusrechtsanwältin des Verbands.

Dr. Claudia Junker

von der Deutschen Telekom ist Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

Dr. Stephan Semrau

von Bayer ist Vorsitzender des BDI-Arbeitskreises Unternehmensrecht.

Dr. Kerstin Lappe

ist Syndikusrechtsanwältin des BDI.