Das Delisting wird einfacher

Bundesgerichtshof macht Kehrtwende - Rückzug von der Börse ohne Aktionärsbeschluss und Abfindung

Das Delisting wird einfacher

Unternehmen können sich künftig deutlich einfacher von der Börse zurückziehen. Nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs muss für das Delisting nicht die Hauptversammlung gefragt werden, und die Anteilseigner haben keinen Anspruch auf Abfindung. Damit kippt das Gericht seine bisherige Rechtsprechung.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtJuristen werten es als eine der wichtigsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) in diesem Jahr. Nach einem Beschluss des II. Zivilsenats haben Aktionäre beim Rückzug eines Unternehmens von der Börse keinen Anspruch auf Barabfindung. Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie im regulierten Markt durch die Gesellschaft bedarf es “weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebots”, heißt es in der gestern veröffentlichten Entscheidung. Damit hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung aus dem Jahr 2002 (“Macrotron-Urteil”) aufgegeben.Hintergrund des jüngsten Beschlusses war der Fall des Bremerhavener Tiefkühlkostanbieters Frosta, der im Februar 2011 zwar kein Delisting, aber den Wechsel vom regulierten Markt in den Entry Standard des Freiverkehrs beschlossen hatte. Aktionäre hatten daraufhin ein Spruchverfahren beantragt, um eine angemessene Abfindung durchzusetzen. Gleichwohl hat der BGH die Gelegenheit genutzt, sich auch zum Delisting zu äußern.Der BGH hat nun also nicht nur ein Pflichtangebot für den Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freiverkehr verneint, sondern auch für den Fall des vollständigen Rückzugs von der Börse. Die Steilvorlage hatte im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht geliefert, das die bisherige Praxis mit Abfindung und Hauptversammlungsbeschluss zwar für rechtmäßig erklärte, sie aber nicht für verfassungsrechtlich zwingend befand.Unter Juristen wurde der BGH-Beschluss positiv aufgenommen, bei Kleinaktionären dürfte er auf weniger Gegenliebe stoßen. “Das Urteil ist erfreulich knapp und direkt”, lobte Benedikt Gillessen, Partner der Kanzlei White & Case. “Der BGH hat das Downlisting zum Anlass genommen, um das komplette Haus abzureißen”, würdigt Alexander Kiefner, ebenfalls Partner von White & Case die Abkehr des BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung.”Mit dem Beschluss ist Rechtssicherheit eingetreten”, urteilt Nikolaos Paschos, Partner der Kanzlei Linklaters. Es sei allerdings nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber das Thema aufgreift, falls das Urteil eine Welle von Protesten auslösen sollte. “Doch der Gesetzgeber hätte schon in der Vergangenheit Gelegenheiten gehabt, das Delisting im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Änderungen zu regeln, dies aber – wenn auch auf Grundlage der nun aufgegebenen BGH-Rechtsprechung – offensichtlich nicht gewollt”, gibt Paschos zu bedenken.”Eine rechtliche Notwendigkeit hierzu besteht nicht”, meint auch Gillessen in Richtung Gesetzesinitiative. Aus seiner Sicht werden bei dem Thema in der Praxis oft gesellschaftsrechtliche und kapitalmarktrechtliche Aspekte vermischt. “Wenn der Gesetzgeber das Delisting regeln wollte, müsste es ins Kapitalmarktrecht und nicht ins Gesellschaftsrecht”, erklärt Gillessen. In den StartlöchernAnwälte gehen davon aus, dass zahlreiche Unternehmen in den Startlöchern sitzen. Nach einer Statistik der Deutschen Börse sind von 2009 bis 2013 gut 40 Unternehmen vom regulierten Markt in den Entry Standard gewechselt. Nun ist der Weg für den völligen Rückzug von der Börse ohne die Unwägbarkeiten eines Spruchverfahrens geebnet. “Es gibt sicherlich viele börsennotierte Gesellschaften, die den Zugang zum Kapitalmarkt nicht mehr benötigen und durch das Delisting die Kosten der Börsenzulassungsfolgepflichten einsparen werden”, sagt Jörgen Tielmann, Leiter der Kapitalmarktrechtspraxis von Luther.Eine große Fallgruppe dürften Unternehmen sein, die nahe an der Anteilsschwelle für einen Squeeze-out stehen. Für sie ergibt sich mit der erleichterten Delisting-Möglichkeit ein Druckmittel, um die verbliebenen Aktionäre loszuwerden, denn das Delisting ist nicht an Beteiligungsquoten geknüpft.Der BGH-Beschluss strahlt auf laufende Fälle aus. “Das Urteil hat nicht nur Bedeutung für Gesellschaften, die sich mit dem Gedanken eines zukünftigen Börsenrückzugs tragen. Es ist vielmehr auch für laufende Spruchverfahren zur Überprüfung bereits unterbreiteter Pflichtangebote von Belang. Diese Verfahren dürften sich mit der Entscheidung des BGH erledigt haben, also nicht mehr zum Erfolg führen können”, erläutert Cornelius Götze, Partner von Gleiss Lutz.Kiefner betont, dass der BGH-Beschluss keinen Freibrief ausstellt, um Unternehmen von der Börse zu nehmen. “Die Geschäftsführung muss immer noch sorgfältig die Konsequenzen eines Delistings für ein Unternehmen prüfen.”